WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistent für alle Fragen und Lebenslagen
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Literatur
  4. Friedrich der Große: Das Glück, nur sich selbst zu gehören

Literatur Friedrich der Große

Das Glück, nur sich selbst zu gehören

Leitender Feuilletonredakteur
Friedrich II., auch Friedrich der Große genannt (1712-1786), König von Preußen. Das Gemälde zeigt Friedrich II. vor einer Kampfszenerie im Schlesischen Krieg (1740-42). Gemälde von Antoine Pesne. Foto: Heliogravüre, Corpus Imaginum, Sammlung Hanfstaengl. (Aufnahmedatum: 01.01.1712-31.12.1786) Friedrich II., auch Friedrich der Große genannt (1712-1786), König von Preußen. Das Gemälde zeigt Friedrich II. vor einer Kampfszenerie im Schlesischen Krieg (1740-42). Gemälde von Antoine Pesne. Foto: Heliogravüre, Corpus Imaginum, Sammlung Hanfstaengl. (Aufnahmedatum: 01.01.1712-31.12.1786)
„Das Wichtigste ist, glücklich zu sein.“: Friedrich II.
Quelle: picture alliance / SZ Photo/Blanc Kunstverlag
Mitten im Siebenjährigen Krieg ritt Friedrich der Große nach Rosswald, um incognito den „Zauberwald“ des Grafen Hoditz zu inspizieren. Hier fand er ein Künstlerdorf und einen Mann ganz nach seinem Geschmack. Hoditz widmete er zwei Gedichte, die nun erstmals auf Deutsch zu lesen sind.

Die unselige Hohenzollerndebatte hat sich offenbar in Wohlgefallen aufgelöst. Das ist ein guter Moment für ein Buch, das zwar nicht gerade eine Lanze für Preußen bricht, aber doch für ihre markanteste Figur, die wir noch immer „Friedrich den Großen“ nennen. Der Schweizer Publizist Hans-Peter Kunisch (nicht verwandt mit Johannes Kunisch, der vor zwanzig Jahren eine biedere Biografie Friedrichs vorgelegt hat) ist der Autor.

Bei Recherchen zu seiner eigenen Familiengeschichte ist Kunisch auf den Grafen Albert von Hoditz gestoßen. Bei dem handelt es sich um einen jener Glücksritter und Lebemänner, wie sie das 18. Jahrhundert so zahlreich hervorgebracht hat. Hoditz besaß ein Schloss in Rosswald, unweit von Troppau (heute tschechisch), das schon zu seiner Zeit ein gottverlassener Winkel war. Doch ausgerechnet hier installierte der „mährische Epikureer“ eine ganz und gar ungewöhnliche Hofhaltung.

Er schuf ein Künstlerdorf. Zu Einwohnern und Bediensteten macht Hoditz nur junge Leute, die auch als Sänger, Schauspieler, Tänzer, Dekorationsmaler taugten. Denn Hoditz war Opern- und Theaterfan. Einige Mitglieder seiner Kunstenklave machten später groß Karriere. So gab die Sängerin Anna Gottlieb in der Urauffführung von Mozarts „Hochzeit des Figaro“ die Barbarina. Und die Rolle der Pamina aus der „Zauberflöte“ soll der Komponist sogar eigens geschrieben haben für diese Frau, die offenbar auch seine letzte Liebe war.

Incognito im Zauberwald

Natürlich verbreitete sich der Name Hoditz schnell im galanten Europa von 1750. Und so erweckte er auch die Neugier des überwiegend mit Eroberungsfeldzügen beschäftigten Preußenkönigs Friedrich. Mitten im Siebenjährigen Krieg ritt er, als einmal keine Schlacht geschlagen wurde und auch kein Flötenkonzert anstand, nach Rosswald, um incognito den „Zauberwald“ des Grafen Hoditz zu inspizieren, der allerdings im Herrschaftsbereich seiner Todfeindin Maria Theresia lag.

Hoditz roch den Braten, respektierte aber das Incognito des großen Königs, den er sehr verehrte, und führte ihn höchstselbst in Schloss und Dorf umher. Friedrich war entzückt. Der Kontakt war hergestellt. Und als die Waffen 1763 endlich schwiegen, entwickelte sich eine Korrespondenz zwischen den beiden nun nicht mehr ganz jungen Herren. Als Hoditz schließlich 1771 Friedrich nach Rosswald zu einer ganzen Reihe von opulenten Festivitäten einlud, kannte dessen Begeisterung keine Grenzen. Und wie immer, wenn Friedrich Feuer fing, schrieb er auf den Bewunderten ein Gedicht.

Lesen Sie auch
Sein Bart war „rötlich“ schreibt Thomas Mann
Familienzwist bei den Royals

Friedrichs Gedichte! Nicht viele Deutsche machen sich einen Begriff von ihrer geistreichen Anzüglichkeit, ihrem queeren Charme und unverstellten Hedonismus, denn sie wurden nie vollständig aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt! Da muss erst ein Schweizer kommen, damit nach 250 Jahren zwei so kluge wie einfühlsame Texte des bedeutendsten deutschen Herrschers des 18. Jahrhunderts ein heimisches Publikum erreichen können. Im unverklemmteren Frankreich undenkbar.

Friedrichs erstes Gedicht, „O singulier Hoditz!“ (oh einzigartiger Hoditz!) überschrieben, gibt eine Art Resümee dessen, was er bei seinem Besuch in Rosswald erlebt hat. Friedrich, der sich schon mal einem Tänzer, der sein Wohlgefallen erregte, als potenzielle Mätresse anbot, präsentiert sich dem neuen, allerdings prononciert heterosexuellen Freund brieflich kokett als „Königin von Saba“.

„Das Wichtigste ist, glücklich zu sein.“

In seinem Gedicht ergeht er sich dann in Anspielungen auf die Körperkraft seines „herkulischen“ Gastgebers, in dessen „Serail“ die jungen Damen auf die Begattung durch den Grafen geradezu zu gieren scheinen. Diese Huldigungsgirlanden sind nach heutigem Verständnis nicht ganz unproblematisch, aber sie verraten einiges über Friedrichs eigene, wohl nicht – oder nicht mehr – ausgelebte Sexualität, denn auch der große König hätte es vielleicht ganz gern gehabt, dass Hoditz ihm „sein Taschentuch wirft“, so wie es Friedrich selbst, Voltaire zufolge, einst oft genug getan hatte – allerdings vor junge Pagen und, nun ja, „Leibburschen“.

Doch entscheidender ist die charakterliche Beschreibung von Hoditz, in der Friedrich ein subtiles Porträt seiner eigenen hedonistischen Seite gibt, die mit den Jahren (und Kriegen) immer mehr in den Hintergrund getreten war, auch wenn sie im Bilderschmuck seiner Gemächer, in den Fantasien eines friedlichen dolce vita auf den Gemälden der von ihm geliebten Maler Watteau oder Lancret natürlich immer um ihn war.

Lesen Sie auch
Anzeige

„Schön ist es, dem Diadem nahe zu sein, / Aber besser noch ist es, nur sich selbst zu gehören“, heißt es in „O singulier Hoditz“. Und wie der Seufzer über einen verschollenen Lebensentwurf wirkt Friedrichs Ausrufs „Das Wichtigste ist, glücklich zu sein.“ In dieser Hinsicht mochte Hoditz Friedrich an seine eigenen Jahre in Rheinsberg erinnern, als auch er noch tun und lassen konnte, was er wollte.

Doch Friedrich hatte sich irgendwann entschlossen, pflichtbewusst sein Regierungsamt auszuüben. Anders als Kunisch durchblicken lässt, erschöpfte sich das allerdings nicht im Kriegführen. Friedrich setzte auch zahlreiche Reformen in Gang. Das erotische Lotterleben überließ der König nicht ohne Neid seinem Bruder Heinrich, für dessen Heißhunger auf Männer er zwar Verständnis hatte, jedoch als Lebensmodell für sich selbst verwarf.

Trost der Literatur

Eben darum konnte er dann auch das zweite Gedicht auf Hoditz schreiben, das nun allerdings ganz andere Töne anschlug. Drei Jahre nach „Oh einzigartiger Hoditz“ ist der Adressat in „Je vous ai vu“ (Ich habe Sie gesehen) ein kranker Mann. Und ein offenbar wehleidiger dazu. Da erinnert ihn Friedrich daran, dass er doch „Philosoph“ sei, also ein Mann der Vernunft. „Ihr wart an der Reihe. Andere sollen sich jetzt erfreuen“, ruft er ihm zu und empfiehlt ihm, wie er selbst es tut, Trost aus der Beschäftigung mit Literatur und den schönen Künsten zu ziehen – und zu akzeptieren, dass er nun ein alter Mann sei.

Doch bei einer Lektion in Lebensklugheit bleibt es nicht. Der König holt den Grafen nach Potsdam, wo er in Ruhe sterben kann. „Beruhigen Sie sich mit der Versicherung, dass ich Sie liebe und niemals aufgeben werde“, schreibt er ihm noch in einem letzten Brief. Auch das war der „alte Fritz“: mitfühlend, großzügig, treu. Auch so war Preußen.

Hans-Peter Kunisch: „Schach dem König. Friedrich der Große und Albert von Hoditz. Eine ungewöhnliche Freundschaft“. dtv, 281 S., 25 Euro.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema