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Kultur Friedrich Gottlieb Klopstock

Der Superstar und seine gescheiterte Reform

Klopstock (1724-1803) war europaweit berühmt. Dieses Porträt bestellte der französische Gesandte in Hamburg Klopstock (1724-1803) war europaweit berühmt. Dieses Porträt bestellte der französische Gesandte in Hamburg
Klopstock (1724-1803) war europaweit berühmt
Quelle: Heritage Images/Getty Images
Vor 300 Jahren wurde Friedrich Gottlieb Klopstock geboren. Gefeiert wird er für seine Poesie. Vergessen sind dagegen Klopstocks Vorschläge für eine radikal neue Orthografie. Dabei hatte er einen extrem einflussreichen Anhänger. Eine besondere Rolle spielte dabei Niedersachsen.
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„Kein Laut darf mer als Ein Zeichen; und kein Zeichen mer als Einen Laut haben … Wir müssen weder ferschwenden, noch geizen.“ Der das schreibt, ist kein radikaler Orthografiereformer unserer Tage, sondern der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock, geboren am 2. Juli 1724d in Quedlinburg, gestorben 1803 in Hamburg. Dass seine phonetische Neuschreibung gewöhnungsbedürftig war, ließ er nicht als Einwand gelten: „Ich läugne äben so wenig, daß mein Auge durch alles dis Ungewönliche anfangs auch beleidigt wurde. Aber das war bald forbei. Jezt se ich es gern so rein for mir, wi mans hört und spricht.“

Klopstock war alles andere als ein verschrobener Sonderling. Er war der literarische Superstar seines Zeitalters, der umjubelte Meister prunkender Sprachbilder und wogender Rhythmen, der Mann, der das dichterische Potenzial des Deutschen freisetzte und die engen Grenzen der rationalistischen Regelpoetik sprengte. Sein Riesenepos „Messias“ und seine hymnischen Oden, die Themen wie Religion, Liebe, Freundschaft, Vaterland und Naturerlebnisse expressiv zur Sprache brachten, waren „Kult“. Goethes ‚Werther‘ gibt einen Eindruck davon: „Sie stand auf ihrem Ellenbogen gestützt und ihr Blik durchdrang die Gegend, sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge thränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige und sagte – Klopstock! Ich versank in dem Strome von Empfindungen, den sie in dieser Loosung über mich ausgoß. Ich ertrugs nicht, neigte mich auf ihre Hand und küßte sie unter den wonnevollesten Thränen“.

Der manchmal das Hysterische streifende Klopstock-Enthusiasmus ist heute nur noch schwer nachzuvollziehen, zu oft kippt für unseren Geschmack in seinen Versen der hohe in den hohlen Ton. Doch Klopstock hat auch zeitlose Meisterwerke hinterlassen, zum Beispiel das Gedicht „Die frühen Gräber“: „Willkommen, o silberner Mond / Schöner, stiller Gefährte der Nacht! / Du entfliehst? Eile nicht, bleib, Gedankenfreund! / Sehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hin.“

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Wie seine Dichtungen riefen auch Klopstocks Rechtschreibinnovationen starke Gefühle hervor, allerdings von anderer Art. „Der alte stolze Narr ist dem delirio nahe“, raunzte der Dichter, Philosoph und Theologe Johann Gottfried Herder und erregte sich über dessen „lächerliche und unsere ganze Nation beschimpfende Sprachverwirrung“. Georg Christoph Lichtenberg, der scharfzüngige Physiker aus Göttingen, spottete über Klopstocks Vorhaben, es werde „file ferfüren, mich ferfürz nicht … Was die Engländer in der Füsik, die Franzosen in der Metafüsik sind, sind die Deutschen unstreitig in der Ortokrafi“. Klopstock nahm die Spötteleien und satirischen Flugblätter, die auf ihn herabregneten, gelassen: „Wider die Ortografi, die ich forschlage [ist] noch kein Einwurf gemacht worden, dän ich nicht in der Ferne kommen gesen“.

Erst in der zweiten Lebenshälfte des Dichterfürsten rückte die Rechtschreibung in seinen Fokus. 1778 präsentierte er unter dem Titel „Über di deütsche Rechtschreibung“ sein Reform-Regelwerk. Aber erste Vorschläge hatte er bereits vier Jahre zuvor in seinem Buch „Die deutsche Gelehrtenrepublik“ veröffentlicht, einer Mischung aus Fiktion und Programmschrift, die eine freie Entfaltung von Wissenschaft und Literatur propagiert. Klopstock lebte damals schon seit einigen Jahren in Hamburg, zuvor hatte er zwei Jahrzehnte in Kopenhagen am dänischen Hof zugebracht, wo der König seine Dichterexistenz finanziert hatte.

Klopstocks Engagement für eine Reform der Rechtschreibung war nur Teil seines umfassenden Interesses an sprachlichen Fragen. Als Poet, der antike Versmaße in die deutsche Dichtung einführte, beschäftigte er sich schon früh mit dem Silbenbau und dem Lautbestand der deutschen Sprache. Hinzu kam sein sprachpatriotischer Ehrgeiz, die Gleichwertigkeit des Deutschen mit den anderen europäischen Bildungssprachen – vor allem dem Französischen – nachzuweisen, zusammen mit seiner Begeisterung für die Geschichte der deutschen Sprache und Literatur und ihre Vorstufen wie Gotisch oder Altsächsisch.

Viel tiefer als seine Schriftstellerkollegen arbeitete sich Klopstock in die Grammatik und Phonetik, die Metrik und die Verschriftungsprinzipien des Deutschen ein. Diese Studien inspirierten ihn zu den „Grammatischen Gesprächen“, in denen er „die Aussprache“ als personifizierte Zuchtmeisterin auftreten lässt, die die durcheinander wuselnden Laute zur Ordnung ruft: „So werdet denn endlich ruhig, und setzet euch, ihr Sauser und Brauser, ihr Zitternden und Bebenden, ihr Stotterer, Mämpflinge, Juckser und Ohrenbläser.“

Durch Buchstaben Laute wiederzugeben, ist der Hauptzweck von Alphabetschriften. Doch in der deutschen Rechtschreibung sind damals wie heute daneben noch andere Prinzipien wirksam, die die Eins-zu-eins-Zuordnung von Lauten und Buchstaben in bestimmten Fällen außer Kraft setzen: Dazu gehört zum Beispiel die visuelle Unterscheidung gleichlautender Wörter (malen / mahlen; Lid / Lied) oder die Kennzeichnung gemeinsamer Wortstämme (lieben / lieb statt liep, Kinder / Kind statt Kint).

Doch „fon der Schreibung des Ungehörten“ hielt Klopstock nichts. Für ihn, den rezitierenden Lyriker, war Sprache vor allem Klang. Ihn sollte die Schrift wiedergeben, sonst nichts. Außerdem setzte er darauf, dass seine Reform das Ansehen der deutschen Sprache, die „durch Zweifel, wi dis und das zu schreiben sei, ser oft ferdrüslich macht“, im Ausland steigern werde. Dabei wusste Klopstock sehr gut, dass im Französischen und Englischen die Beziehungen zwischen Lauten und Buchstaben noch bedeutend unübersichtlicher waren als im Deutschen.

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Klopstocks Reformideen riefen nicht nur erbitterte Gegner, sondern auch Gleichgesinnte auf den Plan. Diese Bundesgenossen erweckten im Dichter allerdings zwiespältige Gefühle. Sie wollten der neu zu schaffenden Schreibung ihre jeweils eigenen Mundarten zugrundelegen und machten dadurch deutlich, welche Tücken Klopstocks Maxime „Schreib wie du sprichst“ innewohnen.

Deutsch auf pfälzischer Grundlage

Einer dieser Neuerer war Jakob Hemmer aus Mannheim, im Hauptberuf Hofgeistlicher, außerdem Sprachforscher und Meteorologe, der sich durch die Verbesserung des Blitzableiters bleibende Verdienste erworben hat. Hemmer wollte das „heutiche wichtiche Ferbesserungsgescheft“ der Rechtschreibreform auf der pfälzischen Sprachgrundlage seiner Heimat betreiben und plädierte für das Recht aller Deutschen, in den verschiedenen „gechenden zu schreiben, was di fon inen selbst für deutsch erklerte Aussprache hören lest“.

Das kam für Klopstock nicht infrage. Dialektale Liberalität, das war ihm klar, würde bei einer konsequent phonetischen Orthografie wieder zurück in frühmittelalterliche Schreibgewohnheiten führen und die in Jahrhunderten erreichte Einheitlichkeit der deutschen Schriftsprache zerstören. Dann, so kritisierte er, dürfte man ja auch Buach, ischt, Mensgen, beite, beteren (statt betören), ibel, beflisen, Puch, lawen (statt laufen), cheklaubt, keklaubt oder jejlaubt schreiben.

Aber an welcher Aussprache sollte man sich orientieren? Für Klopstock lag die phonetische Musterregion ganz in der Nähe seiner Heimatstadt Hamburg: „In gewissen Gegenden von Nidersaxen … wird beina alles ausgesprochen, was fon der Nazion, als deütsche Aussprache, festgesezt ist.“ Die „gewissen Gegenden“ lagen für Klopstock vor allem an der Unterelbe. Dort und „auf allen Seiten so fil weiter hin, als das Plattdeûtsche reicht, mischen sich di Mundart und di Sprache auf keine Weise unter einander, weder in Absicht auf di Aussprache, noch in anderer Betrachtung. Wen da Fälerhaftes ist; so enstez nicht durch den Misch der Mundart. Denn diser findet, wägen des grossen Abstands zwischen beiden, gar nicht stat. Di lezte ist beina eine zweite Sprache. Allein in dem südlichen Deütschland ist di Sache ganz anders. Da fermischen sich Sprache und Mundart in jeder Rüksicht.“

Konrad Duden gefällt das

Klopstock hatte die sprachliche Situation gut erfasst. Für die Norddeutschen war das Plattdeutsche – dem der Dichter übrigens sehr zugetan war – die Muttersprache. Hochdeutsch lernten sie fast wie eine Fremdsprache quasi vom Blatt und gewöhnten sich dadurch eine ziemlich buchstabengetreue Leseaussprache an, die sich allmählich als anerkannte Hochlautung durchsetzte. Dieses „Niederhochdeutsch“ unterschied die stimmlosen und die stimmhaften Verschlusslaute (Bauer statt Pauer), erweichte das k nicht zum g (hacken statt haggen) unterschied s und sch (Ast statt Ascht) sowie e und ö (schön statt schee). Auch ihr s-pitzes S-prechen galt damals – weil s-treng nach der Schrift – als vorbildlich.

In den südlichen Regionen, wo hochdeutsche Dialekte gesprochen wurden, war der Abstand von der Sprech- zur Schriftsprache aus historischen Gründen geringer. Deshalb trennte man auch weniger strikt zwischen der dialektalen und der hochsprachlichen Artikulation. Vor diesem Hintergrund erklärten auch andere Schriftsteller Niedersachsen – gemeint war in etwa das heutige Bundesland – zur phonetischen Musterregion, darunter der Lyriker Barthold Hinrich Brockes (1680 –1747) oder Karl Philipp Moritz (1756 – 1793), der mit seiner Autobiografie „Anton Reiser“ einen Meilenstein der psychologischen Literatur setzte. Auch der Weimarer Theaterdirektor Goethe lobte die norddeutsche Sprechweise, weil sie keine mundartliche Färbung habe.

Dass Klopstock seine Rechtschreibung fest an die norddeutsche Lautung knüpfte, war also folgerichtig, vergrößerte allerdings nicht gerade seine gesamtdeutschen Erfolgschancen. Entscheidend dafür, dass er scheiterte, war aber, dass es zu seiner Zeit bei aller mundartlichen Vielfalt im Sprechen, bereits eine ziemlich einheitliche und gefestigte Schriftsprache gab. Sie hatte sich in den Kanzleien, Schreibstuben und Druckereien vom Ausgang des Mittelalters an von selbst, ganz ohne amtliche Rechtschreibkommissionen, herausgebildet.

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Es war Klopstocks Gegenspieler, der Grammatiker und überzeugte Aufklärer Johann Christoph Adelung (1732–1806), der diese gewachsenen Prinzipien in Regelwerken und Wörterbüchern festhielt. Vom späten 18. bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein waren sie die autoritativen Standardwerke in den höheren Schulen, Gelehrtenstuben, Redaktionen und Druckereien aller deutschsprachigen Gebiete. Auch Schriftsteller von Rang und Namen orientierten sich daran. „Den Adelung erbitte ich mir, wenn Sie ihn nicht mehr brauchen; ich habe allerlei Fragen an dieses Orakel zu tun“, schrieb Schiller im Jahre 1804 an Goethe und bekam zur Antwort: „Hier schicke ich meinen Adelung. Verzeihen Sie daß ich den Ihrigen wohl eingepackt an Voß geschickt habe, der dessen zu einer Recension von Klopstocks Grammatischen Gesprächen höchst nöthig bedurfte“.

Adelung, der tat, als hielte er Klopstocks Orthografieideen für einen Scherz, war ein Pragmatiker. Er strebte keine Reform an, sondern nur die behutsame Vereinheitlichung und Systematisierung des historisch gewachsenen Schreibgebrauchs. Überregionale Einheitlichkeit der Orthografie und eine breite Akzeptanz durch die schon damals eher konservativ gestimmte Sprachgemeinschaft waren ihm wichtiger als die hundertprozentige Logik der Regeln. Den von ihm fixierten Prinzipien folgt im Wesentlichen noch unsere heutige Rechtschreibung.

Klopstock, der Virtuose des Pathos, verachtete Adelung als einen dieser „Gemechlichen und Endrungsscheüen, di nichz untersuchen mögen, und kein höheres Gesez, als di Mode, kennen“. Da mochte allerdings auch Neid eine Rolle spielen, denn Klopstock, der jahrelang an einer Grammatik des Deutschen gearbeitet hatte, musste erleben, dass Adelung ihm zuvorkam.

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Anfang der Achtzigerjahre beendete der prominente Dichter nach einem knappen Jahrzehnt plötzlich sein Engagement für die Orthografiereform. Vielleicht aus Resignation, vielleicht weil ihm anderes wichtiger war. Nur wenige seiner Werke erschienen in der reformierten Orthografie, darunter einige Exemplare des ‚Messias‘ („Fergäbens erhub sich / Satan wider den götlichen Son; umsonst stand Juda / Wider in auf: är taz, und folbrachte di grosse Fersönung.“).

Klopstocks Vorschläge zum Radikalumbau der Rechtschreibung aber sind nicht untergegangen. Konrad Duden – selbst ein Anhänger der phonetischen Schreibung – fand sie „vortrefflich“, und sie gelten überzeugten Orthografieformern bis heute als anzustrebendes Ideal.

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