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Justus Frantz wird 80

Zwischen Genie und Russland-Nähe – „Ich lasse mir meinen Mund nicht verbieten“

Autorenprofilbild von Jana Werner
Von Jana WernerFreie Autorin
Veröffentlicht am 24.05.2024Lesedauer: 6 Minuten
Justus Frantz
Der Pianist und Dirigent Justus Frantz in seiner Hamburger WohnungQuelle: Bertold Fabricius

Der Dirigent Justus Frantz feiert seinen 80. Geburtstag. Während er selbst mit sich im Reinen ist, zählen ihn seine Kritiker zu jenen Persönlichkeiten, denen der „Ja, aber“-Makel anhaftet – eine Karriere zwischen Genie, Sorglosigkeit und der Nähe zu Russland.

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Es ist einer der ersten Sätze, der an diesem lauen Abend im Mai in den Privaträumen von Justus Frantz fällt, im Hochparterre einer Altbauvilla im Hamburger Stadtteil Rotherbaum, in der der Dirigent und Pianist seit 60 Jahren lebt – in seiner „Bastion“, wie er es nennt, fernab vom Großstadttrubel, zurückgezogen in einer ruhigen Wohnstraße, inmitten von gut situiertem Bürgertum. „Es ging teilweise hoch her“, richtet der Autor Jens Meyer-Odewald seine Worte an Frantz, der an einem seiner Flügel lehnt – ein Satz, der die 26 Begegnungen zwischen beiden in den vergangenen Monaten beschreibt und zugleich das Leben des Hausherren kaum treffender zusammenfasst.

Frantz lacht keck, die etwa zwei Dutzend geladenen Gäste schmunzeln genüsslich, darunter Familie, Freunde und Wegbegleiter wie sein Sohn Konstantin, seine frühere Ehefrau, die PR-Managerin Alexandra von Rehlingen, sowie die Modedesignerin Jil Sander. Frantz selbst, gerade von einer Blutvergiftung genesen, ist mit sich im Reinen, wie er mehrfach an diesem Abend betont. Seine Kritiker indes zählen ihn zu jenen Persönlichkeiten des Landes, denen der „Ja, aber“-Makel anhaftet, eine Karriere zwischen musikalischen Höhen und gesellschaftlichen Tiefen, zwischen Genie, finanziellen Abstürzen und einer vermeintlich zu großen Nähe zu Russland.

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Anlass genug für den Maximilian Verlag, eine Biografie über den Protagonisten zu veröffentlichen. Das Werk trägt den Titel „Justus Frantz – Künstler zwischen den Welten“, verfasst von dem langjährigen „Hamburger Abendblatt“-Journalisten Meyer-Odewald und pünktlich zum 80. Geburtstag von Frantz am kommenden Sonnabend (18. Mai) erhältlich.

Herausgekommen sei „keine Lobeshymne“, erklärt Meyer-Odewald. Stattdessen habe sich der Jubilar eine „kritische Betrachtung seines Lebens“ gewünscht, die Folge seien „turbulente und lebhafte“ Gespräche bei Keksen und Ingwer-Tee gewesen, bei denen sie sich „manchmal gefetzt“ hätten und Frantz wutentbrannt aus dem Zimmer gebraust sei. Zwar sei er immer wieder zurückgekehrt, doch „gefällt Professor Frantz längst nicht jeder Satz in dieser Biografie“, erklärt Meyer-Odewald, was Frantz prompt mit einem lauten „Nee“ kommentiert.

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Die 208 Seiten – gegliedert in zwölf Kapitel, gespickt mit einer Vielzahl von bisher unveröffentlichten Fotos – lassen die wechselhaften Stationen des Pianisten und Dirigenten kurzweilig Revue passieren, von seiner prägenden Kindheit auf dem schleswig-holsteinischen Gut Testorf, über seine perfektionistische Liebe zur Musik bis zu seinen weltweit gefeierten Auftritten mit den Dirigenten Herbert von Karajan und Leonard Bernstein. Frantz, der zudem eng mit dem früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt und dessen Frau Loki befreundet war, habe viel gearbeitet, gepaart mit Dolce Vita. Doch seine finanzielle Sorglosigkeit in jüngeren Jahren mit lukrativen Posten als Professor oder Intendant habe sich im Alter gerächt, verrät die Biografie, ein harmonischer Spagat zwischen Genie und Geld sei dem „Weltmeister im Geldausgeben“ nicht immer gelungen.

„Ich bin Putin zwei-, dreimal begegnet“

Um Russland soll es an dem Abend in der Hamburger „Bastion“ eigentlich nicht gehen, sagt Meyer-Odewald – und wird, wie so häufig, sogleich von Frantz unterbrochen. „Das klingt immer so“, sagt der Jubilar, „als wenn ich Herrn Putin dauernd verteidigen würde oder mit ihm befreundet wäre.“ Tatsächlich wird Frantz eine zu wohlwollende Einstellung gegenüber Russland und eine „bedenkliche Nähe“ zu Präsident Wladimir Putin vorgeworfen, was er entschieden zurückweist. „Ich bin ihm zwei-, dreimal in größerer Runde mit Künstlern begegnet, darüber hinaus habe ich nichts über Putin zu sagen“, betont der 79-Jährige.

In seiner Biografie, in Kapitel 11 „Freunde in Russland. Meinungsfreiheit und Spagat“, wird der Maestro deutlicher – und versteht die Aufregung nicht. Selbstverständlich befürworte er den Überfall auf die Ukraine nicht, ferner sei er alles andere als ein Anhänger des Autokraten Putin. Vielmehr setze er, von jeher, auf die Kraft der Musik als völkerverbindendes Instrument. „Nur: Kann man Politik und Kultur komplett trennen“, fragt der Autor der Biografie – und Frantz entgegnet: „Kultur darf niemals Waffe sein, doch immer Brücke.“ Sie müsse helfen, kleine und große Verbindungen zu erhalten.

Diese Einschätzung vertritt Frantz seit Jahrzehnten, begründet in seinen familiären Wurzeln und seiner Geburt 1944 in Hohensalza, im heutigen Polen. „Ich bin meiner Linie treu geblieben“, sagt er – in Zeiten des Kalten Krieges mit der Sowjetunion, während der Entspannung mit Glasnost und Perestroika, aber eben auch heute. Hinzu kommt, dass der Dirigent Valery Gergiev zu seinen engsten Vertrauten in Russland gehört. Und nicht zuletzt tritt Frantz trotz des Angriffskrieges gegen die Ukraine nach wie vor regelmäßig in Russland auf – als Dirigent, Pianist und Jurymitglied bei Wettbewerben.

Sowohl in Russland als auch in der Ukraine hat Frantz eigenen Angaben zufolge Freunde. Weitgehend herrsche Einigkeit, sagt er, dass es sich um „zwei Schurkenstaaten“ handele. Während hierzulande jedoch die Ukraine heiliggesprochen werde, sei Russland zum „Land des Teufels“ degradiert, so Frantz. Abweichende Sichtweisen würden in Deutschland nicht toleriert. Dabei sei es wichtig, „jede Art von Kontakt wie eine zarte Pflanze zu hegen“.

Mit Worten wie diesen stößt Frantz auf Protest. So ist der meinungsfreudige Maestro inzwischen für die aktuellen Verantwortlichen des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) – jenes selbsternannte Kulturereignis, das Frantz 1986 gründete und bis 1994 als Intendant leitete – eine Persona non grata, unerwünscht an den Festspielorten zwischen Scheunen, Kirchen und Schlössern. „Eine Vielzahl von Gründen hat eine Einladung von Justus Frantz unmöglich gemacht“, begründet Festivalleiter Christian Kuhnt die Distanzierung. „Sein Engagement in Russland ist einer davon.“

Eine Entwicklung, die Frantz verletzt. Zu seiner Meinung hingegen steht er. „Es gibt in unserer Zeit nichts Wichtigeres, als sich für den Frieden und den Ausgleich zwischen den Nationen einzusetzen.“ Und der Mann mit den drei Handys und darauf gespeicherten 9000 Kontakten und 121.000 Mails im Posteingang fügt hinzu: „Ich lasse mir meinen Mund nicht verbieten.“ Es ist nur eine Facette im scheinbar unendlichen Kosmos Frantz, der „grundsätzlich immer das letzte Wort hat“, sagt Meyer-Odewald und dessen Biografie ebenso enthüllt, dass der Maestro neben Frauen auch „langjährige Beziehungen mit Männern“ einging.

Rückzug in Oase mit Hühnern

Seinen 80. Geburtstag verbringt Frantz mit Freunden – in St. Petersburg, wo er an der Seite von Gergiev auftritt. Ab November plant er eine Tournee mit der Philharmonie der Nationen, darunter russische und ukrainische Musikerinnen und Musiker. Um kommod über die Runden zu kommen, seien die Konzerte notwendig, heißt es aus seinem Umfeld.

Den Jubilar belastet der anhaltende Termin- und Auftrittsdruck keineswegs, die Liebe halte ihn jung, ferner die Musik als Konstante in seinem Leben. Geht es ihm mal nicht so gut, spielt er Beethoven am Klavier in seiner „Bastion“ in Hamburg-Rotherbaum. Dort findet Justus Frantz seinen Frieden, sagt er, umgeben von einem üppig gewachsenen Garten aus Rosen und einer kleinen Herde von Hühnern, die ihm täglich frische Eier schenkt.