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Literatur 47. Ingeborg-Bachmann-Preis

„Ich betrachte mich als gebrochene Autorin“

Managing Editor im Feuilleton WELT und WELT am Sonntag
Tanja Maljartschuk gewann 2018. Jetzt hielt sie die Eröffnungsrede Tanja Maljartschuk gewann 2018. Jetzt hielt sie die Eröffnungsrede
Tanja Maljartschuk gewann 2018. Jetzt hielt sie die Eröffnungsrede
Quelle: Johannes Puch/ORF
Was kann Literatur ausrichten, wenn Krieg herrscht? Mit einer Rede der ukrainischen Autorin Tanja Maljartschuk eröffneten die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Munter wettgelesen wurde dann trotzdem. Gibt es schon Favoriten?
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Im Vordergrund steht beim Bewerb um den 47. Ingeborg-Bachmann-Preis 2023 natürlich das Wettlesen. Zwölf Autoren präsentieren einer siebenköpfigen Jury ihre Texte, welche diese danach in Anwesenheit der Autoren zerpflückt, zelebriert und sich dabei nicht selten in den Haaren liegt. Hier wurden schon Karrieren beendet, bevor sie richtig begonnen hatten, andere profitierten lebenslang von dem verliehenen Ingeborg-Glanz. Die Preisvergabe findet am Sonntagmorgen statt, die Juroren vergeben dabei ihre Punkte live.

Doch wie jedes Jahr erfasst das Turnierfieber beim jährlichen Klassentreffen der Literaturbranche in Klagenfurt am Wörthersee auch die meisten anderen Bereiche: Traditionell wird ein Wettschwimmen im türkisblauen See veranstaltet, dahin wird wettgeradelt, auf Twitter hat jemand einen Gewinn für den besten, unter #tddl veröffentlichten Tweet ausgeschrieben, auch ein offizielles „tddl-2023-Bingo“ macht die Runde, mit Feldern wie „Thomas Bernhard Vergleich“, „Klaus Kastberger trägt ein Message-T-Shirt“ und „Kärnten-Doku läuft auf 3sat nach den tddl“.

Jayrôme C. Robinet (r.) zieht das Los, als erster zu lesen
Jayrôme C. Robinet (r.) zieht das Los, als erster zu lesen
Quelle: Johannes Puch/ORF

Derweil diskutieren die Zuschauer in den sozialen Medien, welcher Juror das größte Wasserglas vor sich stehen hat. Wie Wolfgang Herrndorf in seinem Essay „Klagenfurt“ beschreibt, widmete sich der Autor einst sogar ehrgeiziger als seiner Textauswahl der Kleidungsfrage, für die er schon im Dezember beim Organisationskomitee anrief, „um herauszufinden, welche Farbe der Studiohintergrund diesmal haben würde“. Dieses Jahr ist dieser weiß wie ein unbeschriebenes Blatt Papier, nur im Garten, wo die Livemusik spielt und man die Castingshow vom Liegestuhl aus auf der großen Leinwand verfolgen kann, strahlt es grün.

Das erste Bingo-Kreuz lässt sich schon bei der Eröffnung am Mittwochabend setzen, auf dem Feld mit dem Inhaltspunkt „Chat GPT und KI werden thematisiert“. Ein Avatar erklärt zunächst prägnant, was dafür und dagegen spreche, seine Texte als Kunst zu begreifen. Dagegen spreche, dass er keine menschlichen Erfahrungen mache. Und so übergibt die Maschine einsichtig an die menschlichen Redner, von denen Tanja Maljartschuk, Bachmannpreisträgerin von 2018, mit ihrer Rede „Hier ist immer Gewalt“ besonders bewegt.

Hatte sich kurz zuvor noch Herta Stockbauer, die Vorstandsvorsitzende der BKS Bank, für erheiternde, nicht belastende Literatur ausgesprochen, zückt die in Wien lebende Ukrainerin den notwendigen Realitätshammer: „Die Realität gewinnt jedes Mal“, wenn sie auf die Literatur treffe, sagt Maljartschuk. „Ich betrachte mich selbst als eine gebrochene Autorin, eine ehemalige Autorin, eine Autorin, die ihr Vertrauen in die Literatur und – schlimmer noch – in die Sprache verloren hat.“

Dann dreht sie eine Adorno-Gewissheit um: Man solle nicht fragen, ob Literatur nach dem Grauen noch möglich sei, sondern wie man das Grauen verhindere. „Vielleicht würden wir gar keine Gedichte mehr brauchen, hätten wir den Weg gefunden, eine Welt ohne Gewalt zu erschaffen.“

Ist das schon Literatur?

Was die Kraft der Literatur betrifft, herrscht auch am folgenden ersten Lesungs-Tag in der Jury selten Einigkeit – neben der Vorsitzenden Insa Wilke gehören ihr Mara Delius, Herausgeberin der „Literarischen Welt“, Klaus Kastberger, Brigitte Schwens-Harrant, Philipp Tingler und die zwei Neuzugänge Mithu Sanyal und Thomas Strässle an.

Der eine Text erscheint den Kritikern zu konventionell, der andere zu prätentiös. Der eine zu zeitgeistig, der andere zu zeitlos („Hätte vor 30 Jahren schon genauso geschrieben werden können“). Sanyal entschuldigt sich bei der Maske fürs Weinen, Delius ruft zur Disziplin auf, dazu, über Sprache statt über Identifikationsmöglichkeiten zu diskutieren.

Ist das überhaupt Literatur oder werden wir hier auf den Arm genommen? Diese Frage zieht sich durch die Kontroversen, angesichts von Anna Giens Traumtagebuch wird sie explizit gestellt.

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Kastberger weist darauf hin, dass das Gesamtpaket stimmen müsse: Neben dem Text spiele auch die Vortragsweise, das Porträtvideo und die Persönlichkeit des Autors eine Rolle. Bei Jayrôme C. Robinet stimme alles. Erstmals wird Kandidaten nach der Jurykritik die Möglichkeit gegeben, auf das Gesagte einzugehen. Die meisten begnügen sich jedoch mit einem zwar einfachen, aber stilsicheren „Danke“.

Mindestens ein literarischer Paradigmenwechsel sei nicht zu übersehen, so Kastberger, von zwölf Texten des Wettbewerbs sei nur ein einziger nicht in der Ich-Perspektive verfasst: Valeria Gordeevs Schilderung eines Mannes, der obsessiv und minutiös seine Wohnung putzt, wird dann auch einhellig gelobt. Vor acht Jahren etwa, so Kastberger, seien Ich-Texte noch in der Minderheit gewesen.

Valeria Gordeevs Text „Er putzt“ über einen Reinigungsfanatiker gilt schon jetzt als Favorit
Valeria Gordeevs Text „Er putzt“ über einen Reinigungsfanatiker gilt schon jetzt als Favorit
Quelle: Johannes Puch/ORF

Ob das auch angesichts der Jury-Diskussionen stimmt? Immerhin findet sich auch da das ein oder andere Ich („Ich kenne solche Menschen nicht“, „Das hat mich an meinen Vater erinnert“). Liegt es am neuen, autobiografisch quittierten Authentizitätsideal, einer romantischen Rückkehr zur Innerlichkeit oder einem modischen Hang zur Komplexitätsreduktion?

Nach ein paar Stunden in Klagenfurt fällt es schwer, noch in anderen Kategorien als in Wettbewerben zu denken. Es sollte einen geben für das ehrenwerteste Lob („Ich gratuliere“, „Hut ab“, „Ein sehr guter Text“) und die vernichtendste Kritik („fad und langweilig“, „Vielleicht wurde der Text von einer KI geschrieben“, „Ich habe beim Lesen geflucht“, „Wen interessiert das?“). Maljartschuks in ihrer Eröffnungsrede subtil vorgetragene Warnung vor dem rücksichtslosen Verreißen junger Autoren jedenfalls hat die Jury gekonnt ignoriert.

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