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Film „The Ballad of Songbirds & Snakes“

Die Krönung von Panem

Chefkorrespondent Feuilleton
Feinstes Tribut: Rachel Zegler Feinstes Tribut: Rachel Zegler
Feinstes Tribut: Rachel Zegler
Quelle: 2022 Lionsgate/ LEONINE Studios
Die Film-Dystopie „Tribute von Panem“ bekommt eine Vorgeschichte. „The Ballad of Songbirds & Snakes“ erzählt, wie Coriolanus Snow zum bösen Diktator wurde, der die dreizehn Distrikte mit den „Hunger Games“ quält. Es ist das Kronjuwel der Reihe, weil er ein entscheidendes Detail verändert.
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Wenn man eine richtig fertige Faschokulisse sucht, ist Berlin immer noch erste Wahl. Der neue Teil der „Tribute von Panem“, ein Prequel namens „The Ballad of Songbirds & Snakes“, ist in vielerlei Hinsicht gelungen und unterhaltsam. Deutsche Zuschauer freuen sich zusätzlich über den Gimmick, jede Menge Schauplätze wiederzuerkennen.

Diese Kreuzung da mit der drohend thronenden Viktoria-Figur, das ist doch der Straußberger Platz in Friedrichshain, plus ganz viel CGI-Brimborium? Und der Eingang zum Capitol, wo die Hungerspiele beginnen, das ist doch der Lustgarten vorm Berliner Dom, gegenüber dem Stadtschloss? Die Grundarchitektur ist jedes Mal intakt, nur der Rest der abgerissenen Kulisse mit ein paar windschief in den grauen Himmel ragenden Plattenbauten sieht so aus, als hätte man beim Versuch, das hauptstädtische Wohnungsproblem zu lösen, ein paar Jahrzehnte lang die Linkspartei machen lassen.

Wir sind im Jahr 10 nach der ersten Rebellion, 64 Jahre vor der Handlung der „Tribute von Panem“-Trilogie. Coriolanus Snow sieht noch nicht aus wie Donald Sutherland, sondern wie der androgyne Milchbubi Tom Blyth. Es ist durchaus von Vorteil, wenn man sich an die alten Filme, die Jennifer Lawrence zum Star gemacht haben, nur noch dunkel erinnern kann. Der letzte liegt auch schon wieder acht Jahre zurück.

Eine Weile sieht man dem jungen Snow vielleicht also noch unbeschwert dabei zu, wie er in einer Rückblende mitten im Krieg an ausgehungerten Hunden vorbei nach Hause schleicht, um zu erfahren, dass sein Vater gestorben ist. Oder wie er sich mit kalten Augen das einzig gute Hemd zuknöpft, ein Erbstück von ebendiesem toten Vater. Oder wie er sich geschickt der Leiterin der Spiele andient, Dr. Volumnia Gaul – mit Oprah-Winfrey-Verve gespielt von Viola Davis. Früher oder später schwant es einem dann, dass das hier kein 08/15-Held ist, mit dem wir kathartisch mitfühlen dürfen, sondern eine zutiefst ambivalente Figur, die das in ihr schlummernde Talent zur Rücksichtslosigkeit bloß noch nicht zur ganzen Entfaltung bringen kann.

„Schnee landet immer ganz oben“

Wer die „Tribute“-Filme noch einigermaßen auf dem Zeiger hat – vielleicht weil er sie in den Jahren seitdem mit seinen Kindern im Teenager-Alter geguckt hat, für die sie in erster Linie gemacht sind –, der weiß das alles von der ersten Minute. Deshalb muss man zumindest in der Ausgangssituation wohl auch keine Angst vorm Spoilern haben. Ähnlich wie die Filme der zweiten „Star Wars“-Trilogie erzählt „The Ballad of Songbirds & Snakes“ von der allmählichen Entstehung eines Monsters.

„Schnee landet immer ganz oben“, flüstert Snow seinem erbitterten Widersacher Dean Highbottom zu, kurz bevor er ihm eine finale Phiole verabreicht. „Ich werde mit all meiner Kraft dafür sorgen, dass du nie auch nur einen Groschen bekommst“, hat Peter Dinklage als Highbottom eben gesagt, noch nicht ahnend, dass diese Kraft unverhofft versiegen könnte.

Zarte Liebesgeschichte: „The Ballad of Songbirds & Snakes“
Zarte Liebesgeschichte: „The Ballad of Songbirds & Snakes“
Quelle: 2022 Lionsgate/ LEONINE Studios

Auf Grundlage des Romans von Suzanne Collins verstehen die Skriptwriter Michael Arndt und Michael Lesslie die große Kunst, einen Plot zu erzählen, bei dem sich im Nachhinein herausstellt, dass alles eigentlich ganz anders war, der Böse gut, der Gute böse. Die alten Filme waren toll produziert und warteten mit erstklassiger Schauspielerei auf, von Lawrence über Sutherland, Julianne Moore und Woody Harrelson bis hin zum zu früh gestorbenen Philip Seymour Hoffman. Allerdings krankten sie an ihrer unterkomplexen Absage an die Ambivalenz. Hier waren wirklich die dekadenten Faschos in der Hauptstadt böse und die armen, hungernden Proto-Rebellen in der Provinz gut. Die maßgebliche Leistung der nun erzählten Vorgeschichte besteht in der Korrektur dieses Versehens.

Man kann sich fragen, ob die erstaunliche Evolution des cineastischen „Tribute“-Universums auch daran liegt, dass die Welt so viel komplizierter und multipolarer geworden ist. Dass der Westen sich längst nicht mehr so arrogant wie vor Jahren für die Krone der Schöpfung hält, gleichzeitig aber damit hadert, welche Geister er in seinen postkolonialistischen Séancen ruft.

Lange verharrt die Handlung im unmittelbaren Umfeld der Spiele, zu einer Zeit, da das Publikum des Spektakels müde geworden ist. Die Spielregeln sind schon die gleichen wie Jahrzehnte später: Jeder Distrikt schickt zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. In einem blutigen Battle Royale, einem erbarmungslosen Gladiatorenkampf jeder gegen jeden, treten sie dann gegeneinander an, vor laufenden Kameras bis zum Tode.

Das Spiel der Schlange

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„Wozu dienen die Spiele?“ – diese Frage wird dreimal gestellt. Es gibt einige Optionen, wie bei einem Multiple-Choice-Test: Um die aufständischen Distrikte zu bestrafen. Falsch. Um die privilegierten Bewohner der Hauptstadt zu warnen, ja nicht zu übermütig zu werden. Auch falsch. Die dritte Option, die Snow schließlich als die richtige erkennt, öffnet eine Tür und schlägt eine andere zu. Er hat sich für das Spiel der Schlange entschieden, das vergiftete Reden mit gespaltener Zunge, und gegen den Gesang der Vögel, die immer nur die Wahrheit berichten, selbst wenn man sie gegen sie verwendet.

Das Herz des Films ist eine Liebesgeschichte, nicht ganz so keusch wie damals bei Katniss und Peeta, aber besonders unzüchtig wird’s auch nicht. Der Musterschüler Snow hat schon ein einträgliches Stipendium im Visier, als eine Änderung der Spielregeln ihm die Aufsicht über eines der diesjährigen Tribute einbringt. Die erst 22-jährige Rachel Zegler spielt Lucy Gray Baird so fantastisch, dass man mit keinen besonderen prophetischen Kräften gesegnet sein muss, um den künftigen Superstar zu erkennen. Zuletzt durfte sie ihr Gesangstalent in Steven Spielbergs Remake der „West Side Story“ unter Beweis stellen.

Dank ihrer regelmäßigen Performances geht der neue „Tribute“-Film nur ganz knapp nicht als Country-Musical durch. Demnächst wird sie Schneewittchen spielen, und auch hier schon müssen sich ihre Schauspielkollegen ganz schön anstrengen, um neben ihr nicht wie Zwerge zu wirken. (Was strikt metaphorisch gemeint ist und wirklich kein Witz auf Kosten des wieder mal großartigen Dinklage sein soll.)

Die Liebe der beiden steht von Anfang an unter keinem guten Stern. Während sie noch durch die Gitterstäbe hindurch miteinander flirten, sticht ein paar Meter weiter ein Distrikt-Bewohner eine Prinzessin des Capitols ab – ein Vorschein der Wahrheit auch ihrer Beziehung. Am Ende marschiert Coriolanus Snow, dessen Vorname Collins einem römischen Feldherrn entliehen hat, der das gemeine Volk hasst, durch malerische Wälder und ballert giftig auf einen Schwarm Vögel. Man hat Mitleid mit dem Mann und gleichzeitig ganz großen Respekt vor diesem Film, dem das seltene Schicksal zuteilwird, ein spät nachgeschobenes Sequel zu sein und gleichzeitig das Kronjuwel der Familie.

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