In „Parthenope“, dem neuen Film von Paolo Sorrentino, dem legitimen Nachfolger Fellinis, sieht man ein paar Mal das Ober- und Unterteil eines Bikinis über einer Stuhllehne hängen. Der Filmemacher will uns damit sagen, dass sich irgendwo, nicht weit außerhalb des Bildausschnitts, eine schöne Frau befindet, und ja, sein Cannes-Film ist bevölkert von schönen Frauen, schönen Stränden und schönen Kirchen: Wir befinden uns im Herzen von Sorrentino-Land, in Neapel, der Stadt seiner Kindheit.
Wir können keinen Markennamen an den Bikinis erkennen, dafür sind die Einstellungen zu kurz, vermuten aber einfach kühn, die Teile stammten von Saint Laurent. Nicht, weil wir intime Kenntnisse von Bikini-Modellen besäßen, sondern – weil dies ein Film von Saint Laurent ist.
Yves Saint Laurent hat öfter Kostüme für Filme entworfen, für Claudia Cardinale im „Rosaroten Panther“, Romy Schneider in „Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen“ und, am liebsten, für Catherine Deneuve – wie in „Belle de Jour“ und „Der Chef“ (1970, im Geburtsjahr Sorrentinos). Doch dies hier ist etwas grundlegend anderes: Der Modekonzern Saint Laurent hat nicht nur Kostüme für „Parthenope“ geliefert, es hat den gesamten Film produziert.
Nennen wir es Haute-Arthouse
„Saint Laurent Productions“ steht im Vorspann, und der Name des Produzenten Anthony Vaccarello; der 42-jährige Vaccarello ist seit 2016 Kreativchef des gesamten Konzerns. Mehr noch, ein Jahr nach ihrer Gründung steht die Produktionsgesellschaft im Vorspann zweier zweiterer Wettbewerbsfilme, und deren Regisseure sind so berühmt wie Sorrentino: David Cronenberg (sein neuer Film heißt „The Shroud“) und Jacques Audiard („Emilia Pérez“). Es ist eine Revolution im Autorenfilmbereich, wie Saint Laurents Hosenanzug für Frauen eine in der Haute-Couture war. Nennen wir es Haute-Arthouse.
Alles begann mit einem Treffen von Vaccarello und Pedro Almodóvar im Sunset Marquis-Hotel in Los Angeles. Der Spanier plante seinen schwulen Western „Strange Way Of Life“, in dem die Darsteller – anders als in fast allen anderen Western – kräftige, leuchtende Farben mit konservativem Schnitt tragen sollten, als seien sie Fundstücke von einem Trödelmarkt.
Vaccarello und Almodóvar durchstöberten die Saint Laurent-Kleiderkammern – und wurden fündig. So kam die Modefirma zu ihrem ersten Cannes-Produzentenauftritt, und man dachte noch, das sei eine einmalige Sache. Keine Modemarke hatte sich je ernsthaft mit Filmproduktion befasst. Produktplatzierung, ja, eine Erwähnung als Kleiderschneider, gerne. Aber die Mühen einer kompletten Produktion?
Saint Laurent, Gucci, Kering
Ein Jahr später hat keine andere Produktion mehr Filme im Wettbewerb als Saint Laurent. Im Grunde ist das nicht verwunderlich, denn Cannes wird einen neuen Audiard, Cronenberg oder Sorrentino nie übergehen; schon die Wahl der Regisseure hat Saint Laurent den Cannes-Startplatz praktisch gesichert.
Trotzdem sollte man gewisse ökonomische Verhältnisse nicht ignorieren. Saint Laurent wurde von Gucci aufgekauft und Gucci wurde von Kering übernommen. Kering wiederum ist einer der Hauptsponsoren des Festivals von Cannes und veranstaltet die Reihe „Women in Motion“, die sich der Gleichberechtigung der Frau widmet (und was sie dazu anziehen sollte).
Dieses Jahr gab es ein Gespräch mit der Schauspielerin Judith Godrèche, deren MeToo-Film „Moi aussi“ vom Festival gezeigt wurde – und das traditionelle Kering-Diner. Zwei Beispiele aus der PR über die Diner-Gäste gefällig? „Zoe Saldana (Star von ,Emilia Pérez‘), bekannt für ihren tadellosen Stil, entschied sich für ein rückenfreies Satinkleid mit Fledermausärmeln, gepaart mit Faye 110 Slingback Pumps und einer kleinen Tasche aus genarbtem Leder mit Prägung. Dieses kühne und sinnliche Outfit veranschaulicht perfekt den Ansatz von Vaccarello, bei dem jedes Detail sorgfältig durchdacht wird, um maximale Wirkung zu erzielen.“
Oder: „Edgar Ramirez (noch ein ,Emilia Pérez‘-Star), elegant und charismatisch, trug eine übergroße Smokingjacke aus Grain-de-Puder, gepaart mit einem Faille-Hemd und hoch taillierten Smokinghosen. Seine Glattlederstiefel verliehen dem Ensemble einen rockigen Touch und verdeutlichten Vaccarellos Fähigkeit, verschiedene Stile auf brillante Weise zu vereinen.“ Und so weiter, man begreift den Jargon.
Ein Bikini mit Kreuzen
Nun ist „Emilia Pérez“ – völlig zurecht – einer der großen Favoriten auf die Goldene Palme; die unbedingt notwendige kreative Freiheit, die Vaccarello seinen Regisseuren lassen möchte, hat hier die schönsten Früchte getragen; Cronenbergs „Shroud“ hätte allerdings ein Produzent gutgetan, der etwas Konkretes in das Labyrinth von Verschwörungstheorien bringt.
„Parthenope“ ist ein noch problematischerer Fall. Sorrentino hatte offensichtlich freie Hand für seine Vision der neapolitanischen Stadtgöttin Parthenope, eine der Sirenen, die allen Männern den Kopf verdreht und sich doch keinem ausliefert. Als Zugeständnis an moderne Frauenbilder lässt Sorrentino seine Schönheit Anthropologie studieren und mit ihrem Umberto-Eco-ähnlichen Professor eine Seelenverwandtschaft eingehen, doch letztlich ist sein Film eine Liebes(v)erklärung an seine Heimatstadt mit glitzerndem Meer, nackter Frauenhaut und Fans des SSC Neapel (dem Sorrentino sein Leben verdankt, wäre der junge Paolo nicht zu einem Fußballspiel gegangen, wäre er wahrscheinlich mit seinen Eltern bei deren Bergunfall umgekommen).
Es gibt ein paar spöttische Ausfälle gegen Akademia und Kirche; bevor Parthenope sich dem lokalen Priester hingibt, trägt sie einen mit Kreuzen geschmückten Bikini; wir dürfen gespannt sein, ob er als Sondermodell in der nächsten Saint Laurent-Kollektion aufscheint.
Demnächst vielleicht Scorsese
Nun ist die Filmgeschichte voll von durch Produzenten massakrierte Filme. Vaccarello, der als Student an der Brüsseler Modeschule von Pasolinis „Teorema“ und Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ beeindruckt wurde (die Titelfigur ist eine Modedesignerin), sieht sich nicht als geheimer Bestimmer: „Wenn wir zusammenarbeiten“, sagt er in einem Vogue-Interview, „erklären die Regisseure, was sie machen wollen, zeigen die Drehbücher und wir sprechen über die Besetzung. So bauen wir das Ganze auf. Ich habe sehr viel Respekt vor dem, was sie tun, und ich denke, es wäre nicht angebracht, zu sagen: ,Du liegst falsch‘.“
Das klingt zunächst nach einer tragfähigen Basis, die der Autorenfilm auch dringend nötig hat, denn es wird immer schwieriger, ihn zu finanzieren. Dass das Geld von einer Luxusmarke mit eigenen Interessen kommt, ist nicht verwerflich. Kino ist immer auch aus dubiosen Quellen finanziert worden, selbst von der Mafia und anderen Geldwäschern; dass Frank Sinatra die Rolle in „Verdammt in alle Ewigkeit“ bekam, die ihm seinen einzigen Oscar einbrachte, verdankte er seinen Mafia-Verbindungen.
Was die Interessen von Saint Laurent an seinem Filmabenteuer sind, lässt sich nicht so einfach bestimmen. „Nein“, sagt Vaccarello, es werde nie Produktwerbung wie mit einem Saint Laurent-T-Shirt in seinen Filmen geben; vielleicht stammt der Bikini in „Parthenope“ tatsächlich nicht aus einer seiner Kollektionen. Aber eines dürfte wohl eine Konstante von Saint Laurent-Filmen werden: die Prominenz der Namen, mit denen man die Marke schmückt. Als nächstes hat Vaccarello Martin Scorsese auf der Liste. Vaccarello und Scorsese, zwei Italienischstämmige. Plant Scorsese nicht einen weiteren Jesus-Film?