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Tosender Applaus für geflohenen iranischen Regisseur in Cannes

Managing Editor im Feuilleton WELT und WELT am Sonntag
Der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof mit Fotos seiner Schauspieler in Cannes Der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof mit Fotos seiner Schauspieler in Cannes
Der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof mit Fotos seiner Schauspieler in Cannes
Quelle: picture alliance/NurPhoto/Beata Zawrzel
Der Regisseur Mohammad Rasoulof wurde im Iran zu einer achtjährigen Haftstrafe und Folter verurteilt. Heimlich floh er zu Fuß über die Berge, um jetzt in Cannes seinen Film „The Seed of the Sacred Fig“ präsentieren zu können. Ein großartiges Familiendrama über Widerstand, der im Kleinen beginnt.
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Wenn man sich tagelang unter Ballkleidern und High Heels zwischen rotem Teppich, Luxusboutiquen, Strandpavillons und Kinosälen hin und her bewegt, kann man schon mal aus dem Blick verlieren, dass es noch eine Realität außerhalb des Cannes-Glamours gibt. Eine, die selbst für manch Goldene-Palme-Kandidaten keine heitere ist. Um uns daran zu erinnern, schlägt pünktlich am Freitagnachmittag, am letzten offiziellen Wettbewerbstag, als die meisten Festivalbesucher längst abgereist sind, das Familiendrama „The Seed of the Sacred Fig“ („Die Saat des Heiligen Feigenbaums“) ein wie eine Bombe. Auch das unterscheidet Cannes von der Berlinale: Hier wird nicht alles Pulver gleich zu Beginn verschossen. Es lohnt sich, bis zum Ende zu bleiben.

Die Anreise des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof war indes keine leichte: Zu Fuß musste er sein Heimatland heimlich über die Berge verlassen, da er von der Islamischen Republik Iran kürzlich zu acht Jahren Haft und Folter verurteilt wurde. Sein Eigentum wurde beschlagnahmt, sein Reisepass konfisziert. „Ich musste mich zwischen Gefängnis und dem Verlassen des Irans entscheiden. Schweren Herzens habe ich mich fürs Exil entschieden“, verkündete er. Einige Schauspieler seines Films konnten es ihm gleichtun, andere befinden sich noch im Land, wo sie unter Druck gesetzt und bedroht werden.

Premiere auf dem roten Teppich in Cannes
Premiere auf dem roten Teppich in Cannes
Quelle: Getty Images/Victor Boyko

Rasoulof, den heute höchstens sein ernster Blick von den anderen Anzugträgern auf dem roten Teppich unterscheidet, hält die Fotos der Darsteller Missagh Zareh und Soheila Golestani in die Kamera. Beide werden im Iran festgehalten. Unter den vielen offenen Briefen, die aktuell im Umlauf sind, befindet sich auch einer, der das Ende jener unrechtmäßigen Verurteilungen fordert, die kritische Stimmen zum Schweigen brächten und jegliche politische Opposition gewaltsam verfolgten. Stars wie Sandra Hüller haben ihn unterschrieben.

Schon vergangenes Jahr konnte Rasoulof seine Funktion als Cannes-Jury-Mitglied der Sektion „Un Certain Regard“, wo bereits mehrere seiner eigenen Filme gezeigt wurden, nicht wahrnehmen. Von 2022 bis 2023 saß er monatelang im Gefängnis, wurde nur wegen Protesten und aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig entlassen.

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Set of a new movie by Paolo Sorrentino. In the picture Celeste Dalla Porta. and Stefania Sandrelli. Photo by Gianni Fiorito This photograph is for editorial use only, the copyright is of the film company and the photographer assigned by the film production company and can only be reproduced by publications in conjunction with the promotion of the film. The mention of the author-photographer is mandatory: Gianni Fiorito. Set del nuovo film di Paolo Sorrentino. Nella foto Celeste Dalla Porta. e Stefania Sandrelli.. Foto di Gianni Fiorito Questa fotografia è solo per uso editoriale, il diritto d'autore è della società cinematografica e del fotografo assegnato dalla società di produzione del film e può essere riprodotto solo da pubblicazioni in concomitanza con la promozione del film. E’ obbligatoria la menzione dell’autore- fotografo: Gianni Fiorito.
Saint Laurent als Filmproduzent

In den vergangenen Tagen wurde gemunkelt, ob Rasoulofs Flucht seine Palmen-Chancen verringern könnte. Belohnt die Jury lieber einen gefolterten Gefängnisinsassen als einen erfolgreich Geflüchteten? Doch dass solche Überlegungen Unsinn sind, wird klar, wenn man sich erinnert, dass nicht einmal die diesjährige Berlinale, die dafür bekannt ist, politischen Bedenken weit größere Rechnung zu tragen als die eher ästhetisch motivierten Filmfestspiele von Cannes, den Liebesfilm „Ein kleines Stück vom Kuchen“ mit einem Preis versah. Obwohl er einer der besten Filme des Wettbewerbs war und die Regisseure Maryam Moqadam und Behtash Sanaeeha an einer Ausreise aus dem Iran gehindert wurden. Rasoulof selbst gewann allerdings 2020 mit seinem Film „Es gibt kein Böses“ über die Todesstrafe im Iran den Goldenen Bären.

Zu dritt gegen den Vater und Ehemann?
Zu dritt gegen den Vater und Staat?
Quelle: RUN WAY PICTURES

Die notwendige Begrenzung, die der heimliche Dreh im Iran immer wieder erfordert, scheint auch „The Seed of the Sacred Fig“ gutzutun, der sich anfangs als häusliches Kammerspiel ausgibt und am Ende in eine wilde Verfolgungsjagd umschlägt. Die repressiven Verhältnisse im Iran, wo der Staat Proteste gewaltsam unterdrückt, verlagert Rasoulof ins Private einer konservativen Familie. Die Töchter Rezvan (Setareh Maleki) und Sana (Mahsa Rostami) rebellieren am Esstisch gegen ihren Vater Iman (Missagh Zare), der zum Revolutions-Richter in Teheran befördert wurde und täglich mehrere hundert Todesurteile unterschreibt. Auch das Verhältnis der Töchter zu ihrer Mutter Najmeh leidet zunehmend, da sie wie Iman streng gläubig ist und ihren Kindern rät, sich von revolutionären Freunden fernzuhalten, die laut ihr bloß nackt über die Straße laufen und gegen Gott aufbegehren wollten.

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Als einer guten Freundin Rezvans auf der Straße ins Gesicht geschossen und sie daraufhin verhaftet wird, sieht sich die eigentlich recht harmonisch wirkende Familie vor die erste Zerreißprobe gestellt. Größeres Chaos richtet jedoch das kurz darauf stattfindende Verschwinden der Pistole Imans an. Jemand aus seiner Wohnung muss sie versteckt haben. War es eine seiner Töchter? Gar seine Frau? Oder hat Iman selbst inmitten der Proteste, die ihn misstrauisch und paranoid werden lassen, den Verstand verloren?

Seine Methoden, um der Wahrheit auf die Schliche zu kommen, rechtfertigt Iman damit, dass er sich in seinem eigenen Zuhause nicht mehr sicher fühle, seit er seiner Familie nicht mehr trauen könne. Was er tut, tue er zum Selbstschutz, zum Schutz seiner Familie und zum Schutz seines Landes. Ein bisschen erinnert das präzise orchestrierte Kammerspiel, das als wahnsinnige Wahrheitssuche angelegt ist, an İlker Çataks Schuldrama „Das Lehrerzimmer“, den diesjährigen deutschen Oscarbeitrag.

Kurz nach der Cannes-Premiere von Gilles Lellouches Romantik-Actionfilm „L’Amour Ouf“, in dem mehr tödliche Schüsse abgefeuert werden, als man sehen möchte, schlägt Rasoulof glücklicherweise einen entspannteren, gewaltfreieren Ton an. „The Seed of the Sacred Fig Tree“ gelingt es bei aller politischen Ernsthaftigkeit, eine so humor- wie hoffnungsvolle Botschaft über Widerstand und Aufstand zu vermitteln.

Am Ende gibt es minutenlange Standing Ovations, auch Tränen fließen im Grande Théâtre Lumière. Was für ein großartiger Festivalabschluss, der uns neben „Emilia Perez“, „The Substance“, „Anora“ und „The Apprentice“ einen weiteren würdigen Kandidaten für die goldene Palme vorstellt. Der Film endet nicht mit zärtlichen Familienszenen im Schutz der Wohnung, sondern mit Handyaufnahmen der blutigen und lauten Proteste auf den Straßen Teherans.

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