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Trends „Rogg ’n’ Roll“

Warum Bäckereien jetzt nicht mehr ohne Verbalquatsch auskommen

Blüten des Brötchenparlandos Blüten des Brötchenparlandos
Blüten des Brötchenparlandos
Quelle: facebook.com/schneidersbaeckerei
Wenn es um vermeintlich originelle Slogans und Produktnamen geht, sind Bäckereien neuerdings Heimstätten für Sprachschmiede, die es wirklich wissen wollen. Ein paar Beispiele – direkt aus der Wortspielhölle.

Auch als nichtreligiöser Mensch wünscht man sich manchmal so etwas wie einen Gott. Man wünscht sich nicht die liebevolle, sondern die zornige Variante. Und man wünscht sich, dass er, während er einmal seinen Blick über seine Erdenkinder schweifen lässt, bei der Wiener Bäckerei „Der Mann“ hängenbleibt.

Die hat auf ihrer Homepage ihre „Zehn Gebrote“ veröffentlicht. Darunter finden sich Perlen wie „Du sollst dein Ährenwort für regionale Getreide und allerbeste Zutaten geben“ und „Du sollst dein Handwerk in Ähren halten“. Sätze, die mindestens ein ordentliches Donnergrollen, wenn nicht einen schwungvoll gen Grund geschleuderten Kugelblitz verdienen! Nicht, weil Religion keine Witze erträgt. Aber ein guter Witz lebt vom Überraschungsmoment. Ein lahmes Wortspiel, das auch noch mehrfach eingesetzt wird, schmerzt hingegen. Die Österreicher stehen nicht allein da. Im gesamten deutschsprachigen Raum ist der Wahnsinn eingekehrt. Backshops und Bäckereien sind heute das, was früher Friseursalons waren: kuschelige Heimstätten für Sprachschmiede, die es wirklich wissen wollen.

Ob „Kammbäck“, „Haar zwei O“ oder „pony & clyde“ – so wie der Originalität, mit der sich Friseure von dem verstaubten „Salon Brigitte“-Image verabschieden wollen, keine Grenzen gesetzt ist, stößt man heute stets auf neue Blüten des Brötchenparlandos. Mal findet es sich im Produktnamen, mal in der Beschreibung. Mal scheint es einem sehr eigenen Kindergartensprech entnommen zu sein, mal sucht es die Nähe zu Sport und Gesundheit. Und manchmal kommt es direkt aus der Wortspielhölle.

Zum Beispiel bei Kamps: Deutschlands umsatzstärkste Bäckereikette, bekannt für den „Wuppi“, bewirbt sein Roggenbrötchen „Roggster“ mit dem Slogan „We will rogg you!“ Sprach- und mehlverwandt sind der „Roggstar“ der Passauer Bäckerei Simpl und das „Rogg ’n’ Roll“ von der niedersächsischen Kette Hüneberg. Die Konkurrenz der Brotmeisterei Steinecke steht dem in nichts nach: Dem „Möhrenzwilling“, einem ostersaisonalen Doppelbrötchen mit eingearbeiteten Karottenstücken, gibt sie den Spruch „Noch möhr Geschmack“ mit auf den Weg, während das „Krüstchen“ als „Meister(z)werk“ fungiert. Und beim Bäcker Wiedemann steht „Manch einem geht schnell die Kruste aus“ über den Brötchenregalen. Ein Wortspiel, das so umständlich ist, dass man es schon drei bis vier Mal laut vorlesen muss, um es überhaupt zu verstehen.

Unangefochtener Spitzenreiter ist die Bäckerei Junge. Die Idee, dass der Name eines Lebensmittels einen groben Hinweis auf das Produkt und dessen Geschmack geben sollte, haben die Nordlichter offenbar aufgegeben. Hier liegen Produkte wie das „Hanse No. 1“ (normales Brötchen), der „Bäckwich“ (belegtes Brötchen) und der „Wikinger“ in der Auslage. Hinter Letzterem verbirgt sich ein „Weizenbrötchen in einmaliger dreieckiger Form mit süßlichem Geschmack“, während der „Genussmacher“ ein Mettbrötchen ist, den man keinesfalls mit dem Frischkäsebrot „Fitmacher“ verwechseln sollte.

Woher stammt dieser Trend zur Sprachverspreizung? Verschiedene Faktoren kommen hier zusammen. Zunächst einmal hat der Kalauer auf X, Facebook und Co. seit Jahren Hochkonjunktur, wird in zahlreichen Gruppen dokumentiert und rezipiert, ist also bestens in den Sprachalltag der Deutschen eingeführt. Auch in der Werbung wird das Wortspiel gehegt und gepflegt, etwa in den Kampagnen von Sixt und bei der Berliner BVG. Gut möglich, dass so manche aus dem Brotbetrieb in den entsprechenden Agenturen ihr „Backtikum“ absolviert haben. Und schließlich ist aus dem klassischen Brötchen in den letzten Jahren ein Convenience-Produkt geworden. Viele der genannten Ketten backen nicht, sie greifen auf Teigmischungen zurück oder schieben industrielle Rohlinge in den Ofen, die geschmacklich kaum voneinander zu unterscheiden sind. Originelle Namen sind also auch ein Versuch, eine „Brand Experience“ zu schaffen.

Dass das eigentlich eine gute Idee ist, zeigt die Hofpfisterei. Die Münchner Bio-Bäckerei nannte bereits 1958 ein Natursauerteigbrot „Sonne“. Das macht Bilderwelten auf; klingt nach Bauern, die an einem Sonnentag das Getreide einholen, nach wogendem Gras auf einer Voralpenwiese und gemeinsamem Tafeln am Erntedankfest. Die Hofpfisterei schützte den Begriff vor mehr als 40 Jahren, heute ist die „Sonne“ einer ihrer Bestseller. Auch Jürgen Klinsmann trägt eine gewisse Verantwortung: Der, immerhin gelernter Bäckergeselle, warb 1990 anlässlich der Fußball-WM in Italien für „Weltmeisterbrot“ und „Weltmeisterbrötchen“, die Akademie Deutsches Bäckerhandwerk Weinheim hatte die entsprechenden Rezepte entwickelt. Vor allem das Brötchen entwickelte sich zu einem Klassiker.

Dass in Sachen Originalität zwischen Wunsch und Wirklichkeit manchmal eine Lücke klafft, zeigt indes ein Besuch in München. Die bayerischen Hauptstädter geben nicht mehr nur dem Verkaufsgut fragwürdige Namen, sondern haben gleich dem gesamten Konzept Bäckerei ein Verbal-Makeover verpasst. Vor allem im Keller blüht der Brödsinn: So hat im Untergeschoss des S-Bahnhofs Karlsplatz-Stachus die „Brezelina“ geöffnet. Rosa getupft und in der Anmutung eines Discounterdirndls kommt der Laden daher.

Eine Station weiter, am Sendlinger Tor, stößt man auf den ganz in Schwarz getauchten „The Brezn Concept Store“, der nicht weniger als „Bayern und Italien und Ägypten und Österreich und Giesing und Kreuzberg“ in „salty pieces, sweet pieces“ zusammenbringen möchte. Dazu kommt laut Homepage „gerne mal ein lustiger Spruch“, etwa: „Hier gibt’s die Morgenlatte den ganzen Tag.“ Die Butterbreze mit Schnittlauch heißt „The Classic Concept“, wer das zu langweilig findet, findet vielleicht in der Obazda-Laugenstange sein kulinarisches Glück. Pardon; natürlich in „The Obazda Lanze“. Ob sich jemals ein Kunde dazu herabließ, derlei Denglisch-Wortungetüme bei der Bestellung in den Mund zu nehmen, ist nicht überliefert, wer hinter dem Laden steckt, durchaus: Betreiber des „The Brezn Concept Store“ ist die Höflinger Müller GmbH, ein stinknormaler Großbetrieb.

Es gibt übrigens auch noch eine Reihe von Bäckereien, die ohne diesen Verbalquatsch auskommen. Tendenziell sind es entweder klassische Handwerksbäcker in abgelegenen Dörfern oder solche, deren Interieur an Modeboutiquen oder Brillengeschäfte erinnert und in denen ein ganz normales Brot knapp zehn Euro kostet. Es war eben immer schon ein bisschen teurer, guten Geschmack zu besitzen.

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