Ein Stör braucht besondere Aufmerksamkeit. „Das ist kein Fisch, den man einfach so in die Pfanne legt“, sagt Christoph Kunz. Das Fleisch bringt nicht viel eigenes Fett mit, deshalb brät der Münchner Spitzenkoch das Filet auf der Haut scharf an und confiert es bei niedriger Hitze in einem Bad von brauner Butter. „Das gibt dem Stör Rückgrat.“
Ein Kniff für den Auftritt eines bislang eher übersehenen Darstellers auf der großen kulinarischen Bühne: Kunz wollte das Tier, das vor allem als Kaviarlieferant bekannt ist, in sein Menü aufnehmen und kam über den Gedanken an eine Sushi-Variante zu Reis und Ingwer als Begleiter. Den mit Ingwerschärfe gewürzten Reis röstet er und kombiniert ihn mit einem grasgrünen Zuckerschotensalat für die Frische, gibt beides zum confierten Stör und toppt das Ganze mit getrockneten Jasminblüten – eine asiatisch inspirierte Kreation, die den Stör aus seinem Schattendasein holt und glänzen lässt. Christoph Kunz, der bis vor einem Jahr als Chefkoch im Münchner Zwei-Sterne-Restaurant „Alois“ tätig war und die bayerische Landeshauptstadt zuletzt mit einem Pop-up-Lokal in Schwabing begeisterte, möchte den lange verkannten Fisch dazu nutzen, seine Gäste „mit neuen Geschmacksbildern zu kitzeln“.
Mit seiner Vorliebe für Stör ist Kunz nicht allein. Die Kochelite des Landes wendet sich einem Fisch zu, dessen Urahnen schon zur Zeit der Dinosaurier lebten – und entwickelt neue Methoden der Zubereitung. Dabei ist der Knochenfisch mit dem spitzen Maul und der haiähnlichen Schwanzflosse in deutschen Küchen ein alter Bekannter: In früheren Zeiten füllte er vor allem in Norddeutschland die Teller daheim und im Wirtshaus. Mitte des 19. Jahrhunderts gingen den Fischern in der Elbe bis zu 10.000 Störe im Jahr ins Netz. So viele, dass der Bestand sich auf Dauer nicht regenerieren konnte. Der Stör verschwand allmählich aus den heimischen Gewässern. Jetzt kehren einige wenige zurück, weil Wissenschaftler seit einiger Zeit Jungfische aussetzen. Der Stör ist aber ein Wanderer, der zunächst ausschwärmt und sich erst zum Laichen wieder in seiner Kinderstube einfindet. Das kann ein Jahrzehnt dauern. Immerhin stehen die Hoffnungsträger unter strengem Naturschutz.
Köche können sich aber darüber freuen, dass Züchter das Potenzial des alteingesessenen Fischs längst erkannt haben. Einer der Toplieferanten der Spitzengastronomie, Nikolai Birnbaum aus dem bayerischen Penzing, lässt seine Tiere in frischem Quellwasser leben. In seinen Teichanlagen schwimmen auch Exemplare, die schon 35 Jahre auf dem Buckel haben und zum Schlachten viel zu alt sind. Sie dürfen hier sorglos leben – bis zu 100 Jahre alt können Störe werden.
Fünf bis sechs Tage im Reifeschrank
In der Ortschaft Rottstock südöstlich von Berlin haben sich Matthias und Susanne Engels mit ihrer Fischzucht „25 Teiche“ als Partner von zahlreichen gehobenen Restaurants in der Hauptstadt etabliert. Sie selbst schätzen das feste und grätenfreie Fleisch auch roh als Sashimi. Im Kreuzberger Sternelokal „Lode & Stijn“ gibt die Küche einen ordentlichen Klacks Holunderhollandaise auf den gegrillten Stör aus Rottstock. Von den Engels stammt auch der Fisch, der im gerade erst mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten „The No Name“ in Berlin-Mitte auf der Karte steht. Sous-Chef Konrad Most hängt ihn in seiner Küche noch fünf bis sechs Tage in den Reifeschrank: „Durch das Dry-Aging bekommt er einen besonderen Schmelz.“
Der Fisch ist nach der japanischen Ike-Jime-Art geschlachtet, das heißt, er wird durch einen Stich ins Hirn getötet und bekommt dann einen dünnen Draht in den Wirbelkanal gesteckt. Da das Herz auf diese Weise noch kurz weiterschlägt, wird alles Blut aus dem Fisch gepumpt und das Fleisch so feiner. Nach der Reifung zieht Most die ledrig gewordene Haut ab, schneidet Filets herunter und spießt diese wie in japanischen Grillrestaurants auf mehrere Holzspieße gleichzeitig.
Darauf träufelt der Koch eine Marinade, die hauptsächlich aus einem Roggenferment besteht, einer hausgemachten Sauce nach Shoyu-Art. Dann legt er die Störschaschliks auf glühende Holzkohle und röstet sie an. Zusammen mit der Glasur schmilzt das Störfleisch über der Glut und karamellisiert. Dazu gibt es einheimisches Gemüse, das Markenzeichen der Regioküche im „The No Name“. „Radieschen und Steckrübe, typisch deutsche Produkte, passen wunderbar“, erklärt Most.
Der Stör verträgt sich mit den verschiedensten Aromen, und die Spitzenköche loten das aus. Im Kölner Restaurant „Maximilian Lorenz“ wird er gegrillt und in einem Distelsud mit eingelegten Tomaten sowie Artischockenpüree serviert. Im „Votum“ in Hannover beizt Benjamin Gallein ihn zuerst, räuchert ihn dann leicht und lässt ihn mit Ochsenschwanz-Consommé und gepökelter Kalbszunge auffahren. Im „Intense“ im pfälzischen Wachenheim bepinselt Benjamin Peifer den Fisch aus dem benachbarten Eußerthal mit Chili-Miso und röstet ihn über offenem Feuer, bevor er ihn auf klares Tomatenwasser legt und grüne Yuzu-Aromen dazugibt.
Fischhändler werden zu Fischveredlern
Unentbehrliche Partner der Köche sind mittlerweile Fischhändler, die auch als Veredler tätig sind. In Börnsen bei Hamburg weiß Sebastian Baier, einer der Pioniere des Dry-Aging von Fischen, dass der Stör nach drei Wochen Reifung seinen mineralischen Geschmack verliert und wunderbar zart wird. In Köln lassen Niklas Herpertz und sein Kompagnon Hendryk Mielke Fische auf die gleiche Art reifen. Mit einer Art Bauchladen machten sich die beiden auf Restaurant-Tour, um ihre Ware anzubieten. „Manche Köche sagten, bleibt mir weg, andere waren interessiert“, erzählt Herpertz. „Über den Stör mussten wir am längsten diskutieren. Auch in der Zucht sucht er seine Nahrung am Grund und kann schon mal schlammig schmecken.“ Die Fische bekommen die Kölner, die ihren Laden La Goonery nennen, von Philipp Mohnen, einem Züchter aus Gressenich in der Eifel. Über ihre abgehangene Ware freut sich unter anderem Maximilian Kreus aus dem „St. Benedikt“ in Aachen, der den Stör mit Erbsen und vietnamesischen Koriander serviert.
In München möchte Christoph Kunz auf Zwei-Sterne-Niveau weitermachen und arbeitet an neuen Störkreationen. Er schwärmt vom Fleisch unter den Kiemendeckeln: „Ein Geschmackstraum.“ Doch ein Tier hat eben immer nur zwei davon, wie will er die als festen Bestandteil des Menüs auf seine Speisekarte bekommen? „Mal sehen“, sagt er – und blickt dabei auch nach Australien.
Dort zeigt Josh Niland in seinem Restaurant „Sankt Peter“ in Sydney gerade, wie der Fisch jenseits vom Filet serviert werden kann: an der Gräte als eine Art Tomahawk-Steak oder mit eingeschnittener krosser Haut, wie bei einem Schweinebraten. „Warum sich nicht von den Jungs da unten abschauen, was alles möglich ist?“, sagt Kunz. Wenn er im Spätsommer sein neues Restaurant im Herzen von München eröffnet, wird er dem Stör garantiert die Aufmerksamkeit zukommen lassen, die er verdient.