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Deutscher Herbst Attraktivität der RAF

Was Militanz und „direkte Aktion“ so reizvoll macht

Andreas Baader war der Star des Linksterrorismus. Wie es ihm gelang, rücksichtslose Gewalt faszinierend erscheinen zu lassen, hat jetzt der Politologe Wolfgang Kraushaar untersucht.
Leitender Redakteur Geschichte
Die Angeklagten (l-r) Thorwald Proll, Horst Söhnlein, Andreas Baader und Gudrun Ensslin vor der Urteilsverkündung im Frankfurter Kaufhausbrandstifter-Prozess am 31.10.1968 in Frankfurt am Main. Zuvor war es im und vor dem Gerichtssaal zu Tumulten gekommen, der Saal wurde geräumt. Die Angeklagten wurden wegen versuchter menschengefährdender Brandstiftung zu je drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Foto: Manfred Rehm +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit Die Angeklagten (l-r) Thorwald Proll, Horst Söhnlein, Andreas Baader und Gudrun Ensslin vor der Urteilsverkündung im Frankfurter Kaufhausbrandstifter-Prozess am 31.10.1968 in Frankfurt am Main. Zuvor war es im und vor dem Gerichtssaal zu Tumulten gekommen, der Saal wurde geräumt. Die Angeklagten wurden wegen versuchter menschengefährdender Brandstiftung zu je drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Foto: Manfred Rehm +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
Andreas Baader (mit Sonnenbrille) und seine Mitangeklagten beim Frankfurter Prozess wegen Kaufhausbrandstiftung 1968
Quelle: picture-alliance/ dpa

Der Weg vom Dandy zum Desperado ist mitunter kurz. Wer im Mittelpunkt stehen will, unbedingt die Aufmerksamkeit anderer Menschen anstrebt, kann dazu ebenso äußerlich auffallen wie durch seine Taten. Vielleicht an niemandem wird das so deutlich wie an Andreas Baader, einem der beiden Namensgeber der berüchtigten Baader-Meinhof-Gruppe.

Posthum sei er eine „Art Negativstar der Mediengesellschaft“ geworden, schreibt der Hamburger Politologe Wolfgang Kraushaar. Aber auch in Wirklichkeit, in der Zeit des „roten Jahrzehnts“ zwischen 1967 und 1977, sei Baader immer weiter aufgestiegen, von einer Randfigur des linksextremen Flügels der westdeutschen Studentenbewegung zur Zentralfigur einer terroristischen Organisation.

Der Politologe und Sozialforscher Wolfgang Kraushaar, aufgenommen am 26.08.2013 in seinem Büro in Hamburg. Trotz der Unruhen in Ägypten ist für den Hamburger Politologen Wolfgang Kraushaar der «Arabische Frühling» noch nicht gänzlich verloren. Foto: Sven Hoppe/dpa | Verwendung weltweit
Der Politologe Wolfgang Kraushaar gilt als einer der besten Kenner des Linksterrorismus
Quelle: picture alliance / dpa

Unter anderem diese Entwicklung zeichnet Kraushaar, unbestritten einer der besten Kenner des deutschen und internationalen Linksterrorismus, in seinem neuen Buch „Die blinden Flecken der RAF“ nach. Der Band ist keine systematische Untersuchung der RAF und will das auch gar nicht sein – das haben andere Autoren wie etwa der Jurist Butz Peters besser gemacht.

Kraushaar geht es um die detaillierte Analyse einiger für den Amoklauf der drei (oder dreieinhalb, je nachdem, wie man rechnet) RAF-Generationen wichtiger Aspekte, die gewöhnlich eher übersehen werden. Dazu zählt die Bedeutung der Vergangenheitsverweigerung, der „Schuldabwehr“ unter anderen beim RAF-Mitgründer und heutigen vielfach verurteilten Rechtsextremisten Horst Mahler. Außerdem die Rolle der Frauen in der Terrorgruppe und eben das „Faszinosum Militanz“ .

Die Angeklagten (l-r) Thorwald Proll, Horst Söhnlein, Andreas Baader und Gudrun Ensslin vor der Urteilsverkündung im Frankfurter Kaufhausbrandstifter-Prozess am 31.10.1968 in Frankfurt am Main. Zuvor war es im und vor dem Gerichtssaal zu Tumulten gekommen, der Saal wurde geräumt. Die Angeklagten wurden wegen versuchter menschengefährdender Brandstiftung zu je drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Foto: Manfred Rehm +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
Andreas Baader (mit Sonnenbrille) und seine Mitangeklagten beim Frankfurter Prozess wegen Kaufhausbrandstiftung 1968
Quelle: picture-alliance/ dpa

Karl Marx, auf den sich alle Linksterroristen zumindest indirekt bezogen, hielt Gewalt für typisch in bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften. Lenin hingegen, der Anführer der russischen Bolschewiki, sah in ihr ein legitimes Instrument in den Händen einer revolutionären Kaderorganisation: „Die Herrschaft des bürgerlichen Staates ohne Gewaltanwendung zu überwinden erschien ihm undenkbar“, schreibt Kraushaar und folgert zutreffend: „In dieser Auffassung liegen bereits die Wurzeln für die Etablierung der Sowjetunion als einem auf exzessiver Gewalt basierenden Regime.“

Über den französischen Journalisten Régis Debray, einen engen Freund des Berufsrevolutionärs Che Guevara, kam eine positive Vorstellung von Militanz nach Mitteleuropa. Debray schrieb in einem 1967 auf Deutsch veröffentlichten Buch: „Man bekämpft die Bourgeoisie nicht siegreich auf dem Gebiet der Wahlen.“ Bewaffnete Gruppen müssten die Initiative ergreifen und gegen den Staat kämpfen. Gerade dadurch würden sie sich als „Avantgarde“ erweisen.

Politiker und Persönlichkeiten Mitte bis Ende der1960er Jahre: Studentenführer Rudi Dutschke. | Verwendung weltweit
Rudi Dutschke hatte ein zumindest ambivalentes Verhältnis zu terroristischer Gewalt
Quelle: picture-alliance / Klaus Rose

Interessanterweise war es der Wortführer der westdeutschen Studentenbewegung, Rudi Dutschke, der diese Gedanken aufgriff und schon 1966, wie Kraushaar nachweist, von einer „Stadtguerilla“ zu schwärmen begann; genau diesen Begriff machten sich später die Terroristen der Baader-Meinhof-Gruppe zu eigen. Für Dutschke sollten von Universitäten aus „kleinste homogene Guerillaeinheiten“ ihren Kampf beginnen; Ziel sei ein „urbaner militärischer Apparat“.

Übrigens gibt es immer noch Linke, die Dutschke ob seiner vermeintlichen Friedfertigkeit einen „jesuanischen Menschen“ nennen. Das Gegenteil ist richtig: Vermutlich wäre er zu einem Terroristen geworden, hätte ihn nicht ein junger Rechtsextremist im April 1968 niedergeschossen und schwer verletzt.

Gewalt auf den Straßen hatte es auch in den ersten knapp zwei Jahrzehnten der Bundesrepublik gelegentlich gegeben, aber 1967/68 erreichte sie eine neue Dimension. Der tödliche Schuss eines West-Berliner Polizisten auf den Demonstranten Benno Ohnesorg führte zu einer Radikalisierung der Linken. Vielleicht wäre sie ausgeblieben, wenn man damals schon gewusst hätte, dass der Täter ein Spitzenagent der DDR-Staatssicherheit war?

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Man wusste es nicht, und so wurde die Erregung der späten 60er-Jahre zum Sprungbrett einiger weniger Splitter der Studentenbewegung hin zur Militanz. Dabei spielten einzelne Personen, die nach einer herausgehobenen Position im Kreise ihrer Alters- und Gesinnungsgenossen strebten, eine entscheidende Rolle.

Horst Mahler im Zellentrakt der Berliner Haftanstalt Tegel am 28.3.1979. Der Rechtsanwalt war am 26.2.1973 vom 1. Strafsenat des Westberliner Kammergerichtes zu zwölf\fs12\ \fs16\Jahren Haft wegen Gründung und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie der Vorbereitung und Beteiligung an mehreren Banküberfällen in Berlin verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß Mahler vor seiner Verhaftung am 8.10.1970 einer der Gründer und massgeblicher Ideologe der Baader/Meinhof-Gruppe (erste Generation der Roten Armee Fraktion) war. 1974 wurde das Strafmaß wegen Beihilfe zur Befreiung von Andreas Baader um zwei Jahre erhöht. | Verwendung weltweit
Horst Mahler im Berliner Gefängnis Tegel 1979. Zu dieser Zeit war er noch Linksextrememist, 20 Jahre später agitierte er für die NPD
Quelle: picture-alliance / dpa

Etwa der Kommunarde Dieter Kunzelmann, aus dessen Umkreis nach Kraushaars Erkenntnissen das Attentat auf das West-Berliner Jüdische Gemeindehaus vorbereitet wurde, das am 9. November 1969 glücklicherweise durch einen technischen Defekt am Zünder misslang. Oder der kürzlich verstorbene Linksterrorist „Bommi“ Baumann, der schon unmittelbar nach dem Attentat auf Dutschke eine Terroroffensive hatte beginnen wollen. Oder eben Andreas Baader.

„Was war eigentlich so faszinierend an Gewalt?“, fragt Kraushaar, der als Student in den 70er-Jahren selbst zum weit linken Milieu gehört hatte. „Ein Gewaltakt hatte die Funktion eines Zauberelixiers“, heißt der erste Teil seiner Antwort: „Dadurch schien der Einzelne gegenüber den Vertretern staatlicher Gewalt nicht nur gestärkt, sondern auch über sie erhaben zu sein.“ Weitere Teile der Antwort sind, dass Gewalt Berichterstattung und damit Aufmerksamkeit generierte. Schließlich befriedigte sie den Narzissmus einiger Akteure.

All das zusammen machte es möglich, dass ein Rüpel und ein – allerdings charismatischer – Versager zur „Erlöserfigur“ der linken Szene Westdeutschlands wurde: „Kaum jemand anders hat den mit Situationswitz, Charme und Virilität ausgestatteten Militanten so sehr verkörpert wie Andreas Baader.“ Er fand seine Rolle in der Kombination von Dandy und Desperado.

Wolfgang Kraushaar: „Die blinden Flecken der RAF“. (Klett-Cotta, Stuttgart. 421 S., 25 Euro).

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