Seit den späten 1950er-Jahren ist er ein ständiger Begleiter der US-Präsidenten: der sogenannte Atomkoffer. Im Englischen wird er auch „satchel“ (Ranzen), „black bag“ (schwarze Tasche) und vor allem „the Football“ (der Fußball) genannt.
Militärangehörige, die mit der wuchtigen Tasche in der Hand einige Meter hinter dem jeweiligen Präsidenten laufen, wenn er etwa mit der Air Force One zu Staatsbesuchen eintrifft, werden bei TV-Übertragungen immer wieder ins Bild gerückt. Denn der Koffer hat nicht nur praktischen Nutzen. Er ist auch ein Symbol für die enorme Macht und Verantwortung des amerikanischen Staatschefs, der über das Schicksal des gesamten Planeten entscheiden kann.
Etwa, wenn es um darum geht, im Falle eines Angriffs auf die USA das nukleare Arsenal einzusetzen. Denn genau dafür ist der „Football“ da: Er enthält ein Kommunikationssystem (Details sind natürlich streng geheim), mit dem der Präsident Anweisungen an die Streitkräfte und vor allem die Codes zum Abschuss von Atomraketen übermitteln kann, die er immer in der Brusttasche trägt.
Aber Technik ist nicht alles, was in der schwarzen Tasche steckt. Sie beinhaltet auch etliche Papiere mit streng geheimen Notfallplänen, die im Falle eines Atomkriegs in Kraft gesetzt werden sollen. Dokumente der US-Regierung, deren Geheimhaltung unlängst aufgehoben wurde, geben einen Einblick, was diese Pläne in den Jahren des Kalten Kriegs vorsahen und wie sie damals von Experten bewertet wurden. Das National Security Archive, eine Einrichtung der George Washington University, hat sie jetzt veröffentlicht.
Die Notfallpläne, genannt „Presidential Emergency Action Documents“ (PEADs) gaben dem US-Präsidenten demnach Vorlagen für Proklamationen und „executive orders“, die ihn „mit formalen Notfall-Befugnissen ausstatten sollten“, wie es Edward A. McDermott formulierte, der in den 1960er-Jahren das US-Bundesamt für Notfallplanung leitete. McDermott oblag es im Jahr 1962, jene Notfallpläne zu überarbeiten, die John F. Kennedys Team von der Eisenhower-Regierung geerbt hatte.
Laut McDermott bekam der Präsident mit den Notfallbefugnissen unter anderem Möglichkeiten zur „Kontrolle über Individuen für interne Sicherheitszwecke, Außerkraftsetzung normaler administrativer Anforderungen, Aufstockung der Streitkräfte, Übernahme von Funktionen regionaler und lokaler Verwaltungen in außergewöhnlichen Umständen, Mobilisierung von Ressourcen“.
McDermott bemängelte, einige dieser im Koffer enthaltenen Pläne seien von „zweifelhafter Legalität“ gewesen. Welche der Pläne er meinte und wie er die Pläne im Einzelnen überarbeitete, unterliegt bislang noch der Geheimhaltung.
Unter Präsident Jimmy Carter gab es neue Anstrengungen, einige der Direktiven anzupassen, weil sie „völlig überholt“ gewesen seien. Hugh Carter Jr., Cousin zweiten Grades des Präsidenten, spielte eine führende Rolle bei der Notfallplanung des Weißen Hauses. Laut der jetzt einsehbaren Dokumente hatte er die Sorge, die PEADs seien im Grunde „komplett obsolet, wenn man die völlige Zerstörung bedenkt, die ein thermonuklearer Angriff auf die USA anrichten würde“. So wurden die Dokumente bis Mai 1980 aktualisiert – doch auch hierzu sind noch keine Details veröffentlicht.
Der „Allen-Scott Report“ machte den „Football“ bekannt
Die Existenz des „Footballs“ wurde in der Regierungszeit von Lyndon B. Johnson öffentlich bekannt: Im Juli 1965 erschien in verschiedenen US-Zeitungen der „Allen-Scott Report“. Darin berichtete ein Mitarbeiter des Weißen Hauses namens Jack Valenti, der „Football“ begleite den Präsidenten immer, wenn er auf Reisen sei. Der Koffer sei das Verbindungsglied zum Strategic Air Command und werde „von einem Dutzend Militärangehörigen im Schichtdienst abwechselnd“ getragen. Vier Monate später berichtete die „Baltimore Sun“, der Koffer enthalte ein „Portfolio kryptografischer Befehle“ an den Generalstab und Authorisierungscodes an das Strategic Air Command für einen nuklearen Gegenschlag im Falle eines Angriffs auf die USA.
Weitere Details enthielt 1967 ein Buch von US-Historiker William Manchester („The Death of a President“) über die Regierung von John F. Kennedy. Demnach wurde Johnson im Frühjahr 1961, als er noch Vizepräsident von Kennedy war, ein Atomkoffer samt Personal angeboten. Johnson lehnte dies jedoch aus bis heute unbekannten Gründen ab. Laut der jetzt veröffentlichten Dokumente wurde erst unter Carter verfügt, dass auch der Vizepräsident (damals Walter Mondale) mit einem Atomkoffer ausgestattet wurde, was zuvor seit Johnson offenbar nicht der Fall war.
Auch in den folgenden Jahrzehnten geriet der „Football“ gelegentlich in die Schlagzeilen. Etwa, als es einen Zwischenfall beim Staatsbesuch von US-Präsident Donald Trump in China am 9. November 2017 gab. Laut dem Nachrichtenportal „Axios“ kam es zu einem Gerangel, als der US-Präsident die Große Halle des Volkes in Peking besuchte. Trump und seine Delegation mit Stabschef John Kelly waren schon im Gebäude, als chinesische Sicherheitsbeamte dem ihnen folgenden US-Offizier mit dem Atomkoffer den Eintritt verwehrten.
Stabschef Kelly soll demnach dem Kofferträger zu Hilfe geeilt sein und gerufen haben: „Wir gehen rein“. Daraufhin sei es zu einer Rempelei gekommen, als Kelly die Hand eines chinesischen Sicherheitsmannes wegschob, der ihn zurückhalten wollte. Alle Beteiligten betonen jedoch anschließend, dass die Chinesen zu keinem Zeitpunkt Hand an den Atomkoffer gelegt hatten.
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