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Geschichte Jupiter-Raketen-Abzug 1963

Um die Türken zu beruhigen, schickten die USA ein „U-Boot, das die Sowjets ängstigt“

Um die hochgefährliche Kuba-Krise zu beenden, hatten USA und Sowjets einen Geheimdeal geschlossen: Abzug von US-Jupiter-Raketen aus der Türkei. Dort war man nicht begeistert. Jetzt freigegebene Dokumente zeigen, wie die Amerikaner einen Spagat zwischen PR und Geheimniskrämerei unternahmen.
Managing Editor Geschichte
Amerikanisches Atom-U-Boot kehrt nach Schottland zurück Amerikanisches Atom-U-Boot kehrt nach Schottland zurück
Das US-Atom-U-Boot "Sam Houston" kehrt 1963 in den Stützpunkt Holy Loch in Schottland zurück, nachdem es den Hafen von Izmir in der Türkei besucht hat
Quelle: pa/dpa/dpa US Navy

Die US Air Force hatte der Operation den Decknamen „Pot Pie“ gegeben: der Abzug der amerikanischen Jupiter-Raketen aus Italien und der Türkei, der im April 1963 vollendet werden sollte. Es handelte sich um die letzte Phase der Umsetzung einer Geheimvereinbarung, mit der die USA und die Sowjetunion die Kuba-Krise beigelegt hatten, welche die Welt im Oktober 1962 für 13 Tage an den Rand des nuklearen Infernos gebracht hatte.

Dass es sich beim Jupiter-Abzug aus der Türkei um ein Quid pro Quo für den Rückzug der Sowjet-Raketen aus Kuba handelte, sollte nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Ein Abzug der Jupiter-Raketen aus Italien war im geheimen Deal gar nicht zugesagt worden; die USA fügten diesen aus freien Stücken hinzu, damit der Abzug aus der Türkei weniger auffällig wirkte. Washington stand jetzt vor der schwierigen Aufgabe, den Bündnispartnern die Aktion schmackhaft zu machen, ohne dabei zu viel preiszugeben.

Dokumente des US-Außenministeriums, deren Geheimhaltung unlängst aufgehoben wurde, zeigen neue Details dieser Operation und wie heikel die Umsetzung war. Das National Security Archive, eine Einrichtung der George Washington University, hat sie jetzt erstmals veröffentlicht. Darunter sind diverse Telegramme und Memos der damals Beteiligten.

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In Italien und in der Türkei galten die Jupiter-Raketen als wichtiges Symbol der amerikanischen Sicherheitsgarantie. Das machte den Abzug diplomatisch zu einer diffizilen Angelegenheit. Nachdem die Verteidigungsminister beider Länder entsprechende Bedenken bei den Amerikanern geäußert hatten, kam es im Januar 1963 zu einem Treffen zwischen US-Präsident John F. Kennedy und dem italienischen Premier Amintore Fanfani. Die Amerikaner verkauften die Aktion als eine reine „Modernisierung“ der Nato-Nuklearstreitmacht und vereinbarten eine Stationierung von U-Booten mit den modernen Polaris-Raketen im Mittelmeer sowie den Austausch der veralteten Corporal-Kurzstreckenraketen in Italien durch neue Sergeant-Flugkörper.

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Während die italienische Seite daraufhin nur noch wenig Widerstand gegen die US-Pläne leistete, war der türkische Generalstab weiterhin unwillig, die Jupiters abziehen zu lassen. US-Vertreter äußerten sich intern besorgt über eine „Vertrauenskrise“, welche die türkische Seite veranlassen könnte, die Operation mutwillig zu verlangsamen. In Geheimgesprächen, bei denen die USA den Türken eine Steigerung der Militärhilfe zusagten, konnte man die Atmosphäre verbessern, sodass eine Unterzeichnung einer Abzugsvereinbarung nach einigen Wochen möglich wurde.

Test einer Polaris A1 im Jahr 1962
Teststart einer Polaris A1 im Jahr 1960. Die mit Atomsprengköpfen ausgestatteten Mittelstreckenraketen konnten von U-Booten wie von Schiffen aus abgefeuert werden
Quelle: pa/dpa/DB Schulman-Sachs

Aber anders als im Falle Italiens gab es kein Gipfeltreffen zwischen den Regierungschefs. Vielmehr spielten der US-Botschafter in Ankara Raymond Hare und US-General Robert J. Wood die wesentliche Rolle bei der schwierigen Aufgabe, die Türken für den Deal zu gewinnen. Diverse der jetzt veröffentlichten Korrespondenzen zeugen davon.

Wieder wurden das Argument der Modernisierung und vor allem die Polaris-Stationierung im Mittelmeer betont. Türkische und italienische Offiziere sollten bei der Auswahl von Zielen für die von getauchten U-Booten abschießbaren Raketen mitreden dürfen. Die USA sagten außerdem auf türkischen Wunsch einen Besuch eines Polaris-U-Boots an der türkischen Küste zu, als sichtbares Symbol der weiterhin engen Zusammenarbeit.

Die Amerikaner hielten Wort: Am 14. April 1963, einen Tag vor Beginn des Jupiter-Abzugs aus der Türkei, lief das Polaris-U-Boot USS „Sam Houston“ zu einem mehrtägigen Besuch im Hafen von Izmir ein, worüber die Presse wie von den Amerikanern erhofft ausführlich berichtete. Die US-Botschaft wertete die Aktion in einem geheimen Telegramm an das US-Außenministerium als „Erfolg in jederlei Hinsicht“ und freute sich über positive Presseberichte mit Überschriften wie „Das U-Boot, das die Sowjets ängstigt, ist in Izmir“.

Die Operation Pot Pie blieb zu jeder Zeit ein PR-Drahtseilakt: Das US-Außenministerium betonte intern, wie wichtig es sei, „Vergleiche zwischen dem Jupiter-Abzug und dem Abzug sowjetischer Raketen aus Kuba zu vermeiden“, beispielsweise in einem Schreiben an die amerikanischen Botschaften in Italien und der Türkei am 30. März 1963. Gleichzeitig sprach man sich dabei dagegen aus, Reportern Fotos von den abfahrenden Lkw mit den Jupiter-Raketen zu verbieten – um öffentlich nicht in den Verdacht von „Geheimniskrämerei“ zu geraten.

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Dabei wurde diese ausgiebig betrieben, auch bei den eigenen Truppen: Führungskräfte bei der US Air Force hatten keine Kenntnis der geheimen Abmachung mit den Sowjets. Sie bekamen lediglich vom US-Verteidigungsministerium und den Joint Chiefs of Staff die Anweisung, die Raketen abzuziehen und „nicht identifizierbar“ zu machen.

Vollständig ging der US-Plan der Geheimhaltung und des Modernisierungs-Framings von Operation Pot Pie allerdings nicht auf. İsmet İnönü, der während des Jupiter-Abzugs türkischer Ministerpräsident war, sagte 1970 in einer Rede im Parlament in Ankara, man habe bereits 1963 von dem Deal zwischen den USA und den Sowjets erfahren. Wie die Türken an diese Informationen gelangt waren, ist bis heute unklar. Aber vielleicht hatten sie auch einfach eins und eins zusammengezählt: Der US-Politikwissenschaftler Graham Allison kommentierte 1971, die Existenz eines Quid pro Quo in Sachen Kuba-Krise/Jupiter-Abzug „hätte nicht offensichtlicher sein können“.

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