Die Idee war gut, kein Zweifel: „Wir fuhren nach Paris nicht nur, um einen Krieg zu liquidieren, sondern um eine neue Ordnung in Europa zu begründen“, erinnerte sich der britische Diplomat Harold Nicolson. Ihm war es 1914 als damals jüngstem Mitglied des Foreign Office zugefallen, die Kriegserklärung des Commonwealth dem deutschen Botschafter zu überreichen. Nun sollte und wollte er mitwirken an der Überwindung des Krieges an sich.
„Wir bereiteten nicht nur den Frieden vor, sondern den ewigen Frieden. Der Heiligenschein einer göttlichen Sendung umstrahlte uns“, schrieb der später desillusioniert aus dem diplomatischen Dienst ausgeschiedene Mann, der als Schriftsteller seinen ehemaligen Kollegen den Spiegel vorhielt: „Wachsam, streng, redlich und asketisch mussten wir sein, denn wir waren darauf ausgerichtet, große, dauerhafte und edle Dinge zu vollbringen.“
Das Zauberwort hieß „League of Nations“ oder in der damaligen Sprache der Diplomatie, dem Französischen: „Société des Nations“. Also auf Deutsch: Völkerbund. Nach dem mehr als vierjährigen Kämpfen, Bluten und Sterben auf den Schlachtfeldern Europas hatte der Gedanke viel für sich, eine Wiederholung für immer zu verhindern. Statt Armeen sollten in Zukunft Diplomaten die Konflikte lösen, und zwar bevor sie eskalierten.
US-Präsident Woodrow Wilson hatte im letzten seines 14 Punkte umfassenden Planes für eine Nachkriegsordnung am 8. Januar 1918 vorgeschlagen: „Ein allgemeiner Verband der Nationen soll gebildet werden mit besonderen Verträgen, um die politische Unabhängigkeit und die territoriale Unverletzbarkeit der kleinen wie der großen Staaten gegenseitig zu gewährleisten.“
Fast auf den Tag zwei Jahre später, mit dem formalen Inkrafttreten des Versailler Friedensvertrages zwischen den Siegermächten und dem Deutschen Reich am 10. Januar 1920, wurde der Völkerbund offiziell gegründet. In Deutschland galt die neue Institution von Anfang an wenig, denn den Vertrag, der auch sie begründete, sah die Mehrheit der Deutschen, auch der damals mitglieder- und wählerstärksten Partei, der SPD, als Unterwerfung und als Schande.
In der Tat war die enge Verknüpfung des Völkerbundes mit dem Versailler Vertrag eine der wesentlichen Ursachen für sein Scheitern. Die Pariser Vorortverträge, zu denen neben dem Abkommen von Versailles noch das von Saint-Germain mit der Republik Österreich, der Vertrag von Trianon mit Ungarn, von Neuilly-sur-Seine mit Bulgarien und von Sevres mit der Türkei gehörten, boten als oktroyierte Ordnung keine Grundlage für einen dauerhaften Frieden: Sie fielen zu hart für einen Ausgleich zwischen den ehemaligen Gegnern aus und gleichzeitig zu milde für eine fortwährende Unterwerfung.
Einen weiteren Grund beschreibt der Freiburger Historiker Jörn Leonhard in seinem Standardwerk „Der überforderte Frieden“ über Versailles und die Welt 1918 bis 1923: „Das Selbstbestimmungsprinzip in Minderheitenrechte zu übersetzen änderte nichts daran, dass der Völkerbund im Kern die neue Staatenordnung und den territorialen Status quo verteidigte, was die Entstehung von Revisionsbestrebungen eher förderte als eindämmte.“
Immerhin: In der ersten Hälfte der 1920er-Jahre erwies sich der Völkerbund, dem allerdings die USA als noch vor Großbritannien mit dem Commonwealth stärkste Macht der Welt nicht beigetreten waren, als durchaus handlungsfähig. Die schwierige Abwicklung der Volksabstimmungen in Schleswig und Ostpreußen 1920 gelang weitgehend.
Anders war es schon in Schlesien 1921: Dort votierte zwar eine Mehrheit von knapp 60 Prozent für den Verbleib der strittigen Gebiete bei Deutschland, doch etwa über 40 Prozent für Polen. Als Folge wurde Schlesien zwischen beiden Ländern aufgeteilt. Dabei fielen zwei Kreise, die knapp, aber mehrheitlich für eine polnische Zukunft gestimmt hatten, an Deutschland. Hingegen wurden ein halber Kreis und zwei kreisfreie Städte, die prodeutsch votiert hatten, Polen zugeschlagen.
Die Folge: Beide Seiten waren unzufrieden. Die Verantwortung wurde dem jeweiligen Gegenüber und allgemein dem Völkerbund zugewiesen. Befriedung sah anders aus.
Ähnlich war es mit dem Saargebiet. Frankreich plante, das seinerzeit enorm wertvolle Schwerindustriegebiet zu vereinnahmen und zu annektieren. Und das, obwohl die Bevölkerung zum weit überwiegenden Teil kulturell deutsch geprägt war und beim Deutschen Reich bleiben wollte.
Schließlich setzten die US-Unterhändler einen Kompromiss durch. Das Saarland wurde 15 Jahre lang dem Völkerbund als Mandat unterstellt; in dieser Zeit sollte Frankreich das Recht auf die ökonomische Ausbeutung des Industriereviers zur Wiedergutmachung der Kriegsschäden bekommen. Nach der Frist war ein Volksentscheid vorgesehen. Er fand schließlich 1935 statt und führte bei einem Votum von 90 Prozent für Deutschland zum Anschluss des Saarlandes an Hitlers Drittes Reich.
Der Geburtsfehler des Völkerbundes war, dass er die unklugen (Un)friedensverträge von 1919/20 exekutieren musste. Damit war die neue Institution von Anfang an bei den Staaten, die sich ungerecht behandelt vorkamen (beispielsweise auch die Siegermacht Italien), diskreditiert. So ließ sich kein „ewiger Frieden“ begründen.
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