Zwei Sommer ist es her. Tonnenweise tote Fische trieben auf der Oder. Der deutsch-polnische Grenzfluss erlebte im August 2022 eine der größten europäischen Umweltkatastrophen in Jahrzehnten. Tagelang war unklar, woran die Flusstiere verendet waren. Bis Forschende eine winzige Alge entdeckten: die Goldalge Prymnesium parvum. Sie hatte sich erstmals in einem deutschen Fluss massenhaft vermehrt und ein Gift abgesondert, das Fische, Muscheln und Schnecken ersticken ließ. Seither lebt diese Alge dauerhaft in der Oder, bisher ohne das Wasser zu vergiften. Vereinzelt kam es auch diesen Sommer zur Massenvermehrung. Giftige Algenblüten bleiben also ein Risiko.

Würde man ein erneutes Fischsterben früher bemerken, weil man die Alge jetzt kennt? Nicht unbedingt. Bisher können Forschende nur die Konzentration der Mikroalgen im Fluss bestimmen. Ob die Goldalgen auch wieder Gift produzieren – was sie nicht immer tun – merken sie erst, wenn es wieder tote Fische gibt. Noch ist unklar, unter welchen Umständen Algen der Art Prymnesium parvum überhaupt Gift bilden. Die Anwesenheit konkurrierender Algen, Stress durch Nahrungsmangel, eine zu hohe Algendichte untereinander oder starke Veränderungen von Salzgehalt, Temperatur oder anderen Wasserbeschaffenheiten werden als mögliche Auslöser dafür diskutiert.

Alge ist nicht gleich Alge

Einen wichtigen Schritt dahin, die Trigger für eine toxische Blüte besser zu verstehen, haben Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) nun gemacht: Sie haben das komplette Genom der Variante der Goldalge entziffert, die derzeit in der Oder lebt. Dabei konnten sie die Gensequenzen ausmachen, die für die Giftbildung verantwortlich sind. Die Erkenntnisse über das Algengenom wurden im Fachmagazin Current Biology (Kuhl et al., 2024) veröffentlicht.

Bei ihrer Analyse entdeckten die Gewässerökologen und Genetikerinnen außerdem wichtige Unterschiede im Erbgut der Oder-Variante zu anderen Stämmen der Goldalge. Zwar gilt Prymnesium parvum biologisch als eine Art, dennoch gibt es feine Unterschiede im Erbgut. Forschende gehen derzeit von 40 Stämmen aus. Auch der Stamm aus der Oder trägt nun einen eigenen Namen: Prymnesium parvum, Typ B, Oder-1. Und die Forscher wissen jetzt auch: Unsere Goldalge ist eng verwandt mit Brackwasserstämmen – also Algen, die in einem Mix aus Süß- und Salzwasser gedeihen – wie sie in Norwegen und Dänemark vorkommen. Darüber, wie die Goldalge in die Oder kam, sagt das allerdings nichts aus. Sie könnte über das Gefieder von Seevögeln, im Ballastwasser von Schiffen oder auf anderem Wege über die Umwelt in den Fluss gelangt sein. Dass sie sich 2022 in Massen vermehrt hat, war nicht natürlich, sondern eine Folge der Flussverschmutzung.

Das Fischsterben war menschengemacht

Bei all dem Fokus auf die Alge, die Gift bilden kann: Die Ursache für die Umweltkatastrophe von 2022 bleibt der Mensch. Nur wegen der massenhaften Einleitung polnischer Bergwerksabwässer konnte die Oder überhaupt so salzig und damit so brackig werden, dass eine Massenblüte der Goldalge möglich wurde. Ein extrem heißer Sommer, wie er infolge des Klimawandels erwartbar war, wenig Wasser im Fluss und Aufstauungen für den Oder-Ausbau: All das zusammen schuf erst den Nährboden für die toxische Blüte, die mit einem historischen Fischsterben endete.