Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat wiederkehrende Rufe der FDP und der Opposition nach längeren AKW-Laufzeiten kritisiert. "Machen wir uns nichts vor: Wenn wir jetzt neue Brennstäbe kaufen würden, laufen die alten Kernkraftwerke womöglich noch 20 Jahre. Die Risiken sind hoch, wie die massiven Probleme in Frankreich zeigen", sagte Bas der Neuen Osnabrücker Zeitung. "Wir sollten es definitiv bei der letzten Verlängerung bis April 2023 belassen, diese Debatte beenden und den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen."

Die Energiewende sei viel zu lange blockiert worden, da sich Deutschland auf "billiges Gas und Öl" aus Russland verlassen habe, sagte Bas. "Ein Festhalten an der Atomkraft würde die notwendige Transformation erneut ausbremsen." Zudem seien zahlreiche Probleme bis heute nicht gelöst, "allen voran der Atommüll, den niemand haben möchte".

Vorstoß des Verkehrsministers

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte Ende Dezember den auf Mitte April verschobenen Atomausstieg wieder infrage gestellt. "Der Strombedarf wird mit dem Hochlauf der Elektromobilität rapide steigen", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Bei der Stromproduktion dürfe es "keine Tabus geben, auch nicht bei den Atomlaufzeiten". Die Äußerungen riefen Protest bei den Grünen hervor.

Auch Industriepräsident Siegfried Russwurm kann sich grundsätzlich längere Laufzeiten der Atomkraftwerke in Deutschland über Mitte April hinaus vorstellen. "Wir sehen ja aktuell, wie dringend wir jede Kilowattstunde Strom benötigen, gerade in den sonnen- und windarmen Wintermonaten", sagte Russwurm der Nachrichtenagentur dpa. "Unseren europäischen Nachbarn ist es schwer zu vermitteln, in der gegebenen Mangellage sichere Kraftwerke abzuschalten und gleichzeitig Solidarität einzufordern."

Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) sagte weiter: "Wir haben den echten Stresstest in den kommenden Monaten noch vor uns. Wenn er schiefgeht, kann es sein, dass die Diskussion noch einmal startet. Am Ende muss die Politik verantwortungsvoll und undogmatisch entscheiden. Definitiv muss es rechtzeitig eine Analyse geben, wie wichtig die Kernkraft für die Stabilität des Stromnetzes in diesem Winter war." Russwurm sagte außerdem, er erwarte keine großflächigen Stromblackouts, allenfalls regionale kurzfristige Unterbrechungen. "Das wäre schon schlimm genug."

Wegen der Energiekrise war der eigentlich zum Jahreswechsel geplante Atomausstieg in Deutschland um dreieinhalb Monate auf Mitte April verschoben worden. Die Entscheidung traf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach langem Streit zwischen Grünen und FDP.