Immer wieder haben Politiker eine generelle Impfpflicht ausgeschlossen – doch angesichts der stetig steigenden Corona-Zahlen und der niedrigen Impfquote gewinnt die Debatte darüber weiter an Fahrt. Niemand möchte "gerne eine Impfpflicht haben", sagte der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, im ZDF. "Viele Wissenschaftler finden das keine gute Lösung. Aber wenn man alles andere versucht hat, dann sagt die WHO: Dann muss man auch über eine Impfpflicht nachdenken." Sie sei das "letzte Mittel". 

Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) hält eine Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht derzeit für nicht sinnvoll. "Die Impfpflicht ist nicht die Debatte, die wir jetzt brauchen", sagte der CDU-Politiker in der ARD-Sendung Anne Will. Man habe noch nicht genug getan, "um wirklich zu überzeugen, dass die Impfung der richtige Weg ist". Es gebe "ganze Bevölkerungsschichten in prekären Lebenssituationen, an die wir nicht rangekommen sind".

Hans warnte vor einer weiteren Polarisierung durch Forderungen nach einer Impfpflicht. "Wenn wir jetzt durch politische Debatten, die zu früh, die zu unausgegoren geführt werden, die nächste Bevölkerungsgruppe auf die Straße bringen, die dann gegen uns demonstriert (...), glaube ich, werden wir nicht unserem Anspruch gerecht, die jetzt drängenden Probleme zu lösen."

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sprach sich dafür aus, in einem ersten Schritt vor Weihnachten zu klären, wie eine Impfpflicht in bestimmten Einrichtungen rechtssicher umgesetzt werden könne. "Und dann wird eine Debatte weitergehen, aber in der Reihenfolge." Die Bundesländer hatten den Bund gebeten, in bestimmten Einrichtungen wie Krankenhäusern und Pflegeheimen eine Impfpflicht einzuführen für all jene, die Kontakt zu besonders gefährdeten Personen haben.

Mehrere Vertreter der Union hatten sich zuletzt offen für eine allgemeine Impfpflicht gezeigt. Wenn es nicht ohne gehe, sei er bereit, diesen Schritt zu gehen, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) der Welt. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte bereits am vergangenen Freitag für eine allgemeine Impfpflicht plädiert.

Holetschek: Impfpflicht als Ausweg aus der "Endlosschleife"

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte im Deutschlandfunk, er sei eigentlich immer ein Gegner einer Impfpflicht gewesen, aber inzwischen sei er für eine solche Maßnahme. Die Diskussion darüber sollte nicht verzögert, sondern unmittelbar aufgenommen werden. "Ich glaube, dass wir aus diese Endlosschleife tatsächlich nur rauskommen, wenn diese Impfpflicht auch kommt."

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte dem Sender Bild TV, man müsse anfangen, über eine Impfpflicht nachzudenken. "Ich würde das auf keinen Fall mehr ausschließen und tendiere dazu zu sagen: Das hilft uns jetzt nicht akut, aber wir müssen uns einer Impfpflicht nähern."

Lauterbach argumentierte: "Ohne Impfpflicht erreichen wir offensichtlich die Impfquote nicht, die wir benötigen, um bei der Stärke der Impfstoffe, die wir haben, und dem R-Wert der Delta-Variante über die Runden zu kommen." Der R-Wert gibt an, wie viele Menschen ein Infizierter im Schnitt ansteckt – und damit, wie schnell sich ein Virus ausbreitet.

FDP hält Maßnahme für verfassungswidrig

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Michael Theurer sagte dagegen, seine Partei halte eine allgemeine Impfpflicht für verfassungswidrig. Auch der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, äußerte sich skeptisch. Eine allgemeine Impfpflicht dürfte "wegen des schwerwiegenden Eingriffs in das Recht auf körperliche Unversehrtheit unter den derzeitigen Rahmenbedingungen auch unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig sein", sagte er der Welt.

Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, sprach sich für eine Impfpflicht für Erwachsene aus – falls die Impfquote bis zum Frühjahr nicht entscheidend steigen sollte. "Ich persönlich bin dafür, dass man über eine Impfpflicht für Erwachsene berät und sie im Frühjahr dann auch beschließt, wenn die Impfquote so niedrig bleibt", sagte Hilgers dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. "Das würde auch die Kinder schützen." Freiheit verlange Verantwortung. "Und wenn diese Verantwortung nicht wahrgenommen wird, dann brauchen wir eine Impfpflicht."

Der Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BDKJ), Jakob Maske, forderte eine Impfpflicht für das Personal an Schulen und Kitas. "Wir haben noch keine Impfung für unter Zwölfjährige. Um sie zu schützen, müssen wir also nach Möglichkeit alle Personen impfen, die mit ihnen zu tun haben", sagte er der Rheinischen Post

Hintergrund der Debatte ist, dass die Impfquote in Deutschland aus Sicht von Experten zu niedrig ist. Zuletzt nahm das Impftempo allerdings wieder zu, vor allem bei den Auffrischungsimpfungen stieg die Nachfrage. Die Infektionslage hat sich in den vergangenen Wochen dramatisch verschärft, seit mehr als zwei Wochen wurden Tag für Tag neue Höchststände bei der Sieben-Tage-Inzidenz erreicht. In mehreren Bundesländern gelten deshalb inzwischen strengere Regeln.