Und jetzt? Bis zum morgigen Dienstag um 18 Uhr müssen sich die Kandidatinnen und Kandidaten anmelden, die an der Stichwahl in Frankreich am 7. Juli teilnehmen wollen. Der erste Wahlgang der Parlamentswahlen, vom Staatspräsidenten Emmanuel Macron zur Überraschung aller vor drei Wochen ausgerufen, ist kaum vorbei, da muss in Windeseile der zweite vorbereitet werden.

Das fällt diesmal schwerer als 2022, denn in knapp 300 der 577 Wahlkreise konkurrieren nicht nur zwei, sondern drei oder gar vier Personen miteinander um einen Sitz im Parlament (teilnehmen darf, wer im ersten Durchgang 12,5 Prozent der Stimmen erreicht hat). Im Jahr 2022 waren es gerade mal drei. Damit ist ein weites Feld der Taktik eröffnet, insbesondere die Möglichkeit, durch Absprachen eine absolute Mehrheit des rechtsradikalen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen zu verhindern. Auch die Lepenisten werden versuchen, Wahlkreisbündnisse zu schließen, um ihr erklärtes Ziel doch noch zu erreichen: eine absolute Mehrheit, die sie im ersten Wahlgang aus eigener Kraft nicht schafften. Sie stehen immerhin kurz davor.

Dass es überhaupt so weit kommen konnte, wird der Nummer eins im Staat angelastet. Erstens, weil es Macron nicht gelang, den Rechtsradikalen den Wind aus den Segeln zu nehmen – das jedoch war sein Wahlversprechen 2022. Und zweitens, weil er nach dem Desaster der Europawahl zu glauben schien, binnen dreier Wochen einen Stimmungsumschwung herbeiführen zu können.

Macron ist ein Vertreter des akzelerationistischen Stils der Politik: die Dinge vorantreiben, um sie zu beherrschen. Ein Stil, der in Frankreich Tradition hat. Doch der Erfolg setzt voraus, dass man sich nicht über sein eigenes Potenzial täuscht. Das zu tun, war Macrons entscheidender Fehler. Er ist weithin unbeliebt. Nur seine engste Entourage hält noch zu ihm; die Leute, die Macrons mächtiger Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire die "Kellerasseln" nennt. So ist die Stimmung in der Macronie.

Der Versuch, das Land aus der Mitte heraus zu führen und die Extreme zu schwächen, ist misslungen. Er war in der Geschichte Frankreichs eigentlich nie erfolgreich, die Spaltung links gegen rechts gehört zu seiner politischen Identität. In den vergangenen Jahrzehnten hat das Rechts-links-Schema die gedämpfte Form einer Alternanz zwischen Sozialdemokraten und Konservativen angenommen, jetzt jedoch kehrt es als Polarisation zurück. Es dominieren die Rechten und die Linken, und in beiden Lagern sind die Radikalen stark. Marine Le Pens "Entteufelung" ihrer Partei erweist sich als begrenzt, im Linksbündnis wiederum tun nicht nur harmlose Figuren wie der Ex-Präsident François Hollande mit, sondern auch solche, die aus ihrer Sympathie für die Hamas keinen Hehl machen.

Jetzt müssen schnelle Entscheidungen gefällt werden

Zwischen den Blöcken steht ein Präsident, der sich binnen weniger Wochen vom Siegertypen zum Loser wandelte. Das Ergebnis vom Sonntag ist umso niederschmetternder für ihn, als die Wahlbeteiligung Rekordhöhe erreichte. Im zweiten Wahlgang ist für das Regierungslager nun nicht mehr viel zu holen. Aber kann das Schlimmste noch verhindert werden, eine rechtsradikale Regierung oder die Unregierbarkeit des Landes?

Für ausführliche Analysen und Rückblicke fehlt den Beteiligten gerade die Zeit. Denn jetzt müssen alle Parteien, die einen Durchmarsch der Rechtsradikalen verhindern wollen, sehr schnell Entscheidungen treffen. In den meisten Wahlkreisen findet ein Zweikampf zwischen der linken Neuen Volksfront (NFP) und dem RN statt. Sollen die Unterlegenen nun dazu aufrufen, die Stimme der NFP zu geben, um die Lepenisten zu verhindern? Wenigstens dort, wo die NFP-Kandidaten eher Sozialdemokraten und Gr��ne sind als Linksextremisten?

In den Wahlen 2022 haben viele Linke trotz aller Kritik für Macron und die Seinen gestimmt, um die Rechtsradikalen zu verhindern. "Mit zugehaltener Nase", so hieß es damals, und sie wollen es wohl auch am kommenden Sonntag tun, wenn nötig. Müssten diesmal die Macronisten und die gemäßigten Rechten aus der ehemaligen Sarkozy-Partei Les Républicains (LR) nicht ebenfalls über ihren Schatten springen? Diese Frage wird schon seit ein paar Tagen kontrovers diskutiert.

Um die derzeit erwogenen Taktiken zu verstehen, muss über den kommenden Wahltag hinausgedacht werden. Es sind mehrere Szenarien möglich.

Etwa eine relative Mehrheit des RN im Parlament, die sich jedoch mit Abgeordneten des LR und anderer Überläufer zu einer absoluten ausweiten ließe. Gilt auch dann die Ankündigung des RN-Parteivorsitzenden Jordan Bardella, er würde sich im Parlament nur in dem Fall als Premierminister zur Wahl stellen, dass seine Leute die absolute Mehrheit der Sitze hätten? Und wenn nicht, könnte dann womöglich Éric Ciotti Premier werden, der Mann also, der Teile der bürgerlichen Rechten ins Lager der Rechtsradikalen überführt hat?

In beiden Fällen bekäme es der Präsident mit einem Premierminister von der anderen Seite zu tun. Erst recht, wenn die RN-Kandidaten die absolute Mehrheit im Parlament erreichen sollten. Was dann?