Bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel haben die 27 EU-Staats- und Regierungschefs Ursula von der Leyen für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin nominiert. Für ihre Wiederwahl braucht von der Leyen nun noch eine absolute Mehrheit der Abgeordneten im Europaparlament. 

Der Europäische Rat beschloss zudem, dass der frühere portugiesische Regierungschef António Costa nächster Präsident des Europäischen Rates werden und die estnische Regierungschefin Kaja Kallas zur neuen EU-Außenbeauftragten ernannt werden soll. Kallas sprach von einer "enormen Verantwortung in dieser Zeit der geopolitischen Spannungen". Die größten Herausforderungen in der europäischen Außenpolitik seien der Krieg in der Ukraine sowie die "zunehmende Instabilität in unserer Nachbarschaft und auf der ganzen Welt". Costa gratulierte von der Leyen und Kallas zu ihrer Nominierung. "Ich werde mich voll und ganz für die Einigkeit unter den 27 Mitgliedsstaaten einsetzen", versprach der Sozialdemokrat, der zum 1. Dezember dieses Jahres auf den Belgier Charles Michel folgen soll.

Glückwünsche von Olaf Scholz

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz gratulierte den Nominierten. "Ein wichtiges Signal. Mit ihnen können wir schnell und gut vorangehen", schrieb der SPD-Politiker auf X. EVP-Chef Manfred Weber gratulierte ebenfalls: "Tolle Neuigkeiten für die Zukunft Europas", schrieb der CSU-Politiker.

Wegen einer Einigung der großen europäischen Parteienfamilien Mitte der Woche galt es schon vor Gipfelbeginn als so gut wie sicher, dass die Spitzenposten an von der Leyen, den Sozialdemokraten Costa und die Liberale Kallas vergeben werden sollen. Die Präsidentschaft der EU-Kommission gilt als die mit Abstand wichtigste Position, die nach der Europawahl neu zu besetzen ist. Dem Amtsinhaber beziehungsweise der Amtsinhaberin sind rund 32.000 Mitarbeiter unterstellt, die unter anderem Vorschläge für neue EU-Gesetze machen und die Wahrung der Europäischen Verträge überwachen. Zudem sitzt die Kommissionspräsidentin bei fast allen großen internationalen Gipfeltreffen wie G7 oder G20 als EU-Repräsentantin mit am Tisch. 

Europawahl-Ergebnis war Verhandlungsbasis

Grundlage des Personalpakets ist das Ergebnis der Europawahl von Anfang Juni. Das Mitte-rechts-Bündnis EVP mit der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen als Spitzenkandidatin hatte dort das mit Abstand beste Ergebnis erzielt. Sie will nun im Parlament mit der zweitplatzierten Parteienfamilie der Sozialdemokraten (S&D) und den Liberalen (Renew) eine informelle Koalition bilden.

Für die EVP, zu der auch CDU und CSU gehören, verhandelten federführend der polnische Ministerpräsident Donald Tusk und der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis, für die Sozialdemokraten Olaf Scholz und der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez. Scholz hatte in einer Regierungserklärung vor zwei Tagen seine Unterstützung für von der Leyen als künftige EU-Kommissionspräsidentin ausgedrückt. Die Liberalen setzten auf Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und den scheidenden niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte als Verhandlungsführer.

Italiens Regierungschefin kritisierte Prozess

Erbost über den Prozess war die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Sie kritisierte, dass sie trotz des guten Ergebnisses ihrer Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) bei der Europawahl nicht direkt an den Gesprächen über das Personalpaket beteiligt wurde. Auch Ungarns rechtspopulistischer Regierungschef Viktor Orbán verurteilte das Verfahren.

Die Zustimmung der beiden wurde aber nicht benötigt, da keine Einstimmigkeit erforderlich war. Es mussten lediglich mindestens 20 EU-Staaten zustimmen, die gleichzeitig mindestens 65 Prozent der EU-Bev��lkerung vertreten.

Beim Gipfel versuchten mehrere Regierungschefs, die Wogen zu glätten und zu erklären, dass es nicht darum gegangen sei, jemanden auszugrenzen. Tusk sagte etwa: "Es gibt kein Europa ohne Italien, und es gibt keine Entscheidung ohne Ministerpräsidentin Meloni. Das ist für mich ganz klar."

Von der Leyen bemüht sich um Stimmen der Grünen

Damit Ursula von der Leyen eine zweite Amtszeit antreten kann, muss sie nun noch eine Mehrheit des Parlaments hinter sich bringen. Das informelle Bündnis aus EVP, Sozialdemokraten und Liberalen hat theoretisch eine komfortable Mehrheit von etwa 400 der 720 Stimmen. Es wird aber für möglich gehalten, dass eine gewisse Zahl von Abgeordneten in der geheimen Wahl von der Fraktionslinie abweicht und der Deutschen nicht ihre Stimme gibt.

Deswegen bemüht sich von der Leyen derzeit auch noch um Stimmen von Abgeordneten anderer Parteien, insbesondere um die der Grünen. Vertreterinnen und Vertreter der Partei hatten jüngst immer wieder Gesprächsbereitschaft signalisiert.

Die Abstimmung im Parlament in Straßburg könnte nach Angaben von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola bereits in der dritten Juliwoche organisiert werden.