Die polnische Regierung will Deutschland offiziell dazu auffordern, Reparationen wegen der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg zu zahlen. Das kündigte der Chef der rechtskonservativen Regierungspartei PIS, Jarosław Kaczyński, an. "Heute wird im Warschauer Königsschloss die Entscheidung getroffen und endgültig verkündet, dass Polen Kriegsreparationen beantragen wird, Reparationen für alles, was die Deutschen in Polen in den Jahren 1939 bis 1945 getan haben", sagte er zum 83. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen am 1. September 1939.

Die Forderungen belaufen sich demnach auf eine immense Höhe: Ein Gutachten habe den Umfang der Kriegsschäden auf die Summe von 6,2 Billionen Złoty (1,32 Billionen Euro) beziffert. Das Dokument ist von einer 2017 einberufenen Parlamentskommission erstellt worden und war lange unter Verschluss gehalten worden. Am heutigen Donnerstag soll das Gutachten im Warschauer Königsschloss präsentiert werden. In früheren Schätzungen war von einer Summe von 800 Milliarden Euro die Rede.

Der Hunderte Seiten lange Bericht umfasst Berechnungen zu polnischen Kriegsverlusten in Bezug auf Demografie, wirtschaftliche Schäden durch den Tod vieler Menschen und materielle Verluste sowie den Verlust von Kultur- und Kunstgütern, Finanzmitteln, Bankguthaben und Wertpapieren. Nach Angaben des Kommissionsleiters Arkadiusz Mularczyk waren an dem Gutachten 30 Experten beteiligt, darunter Historiker, Wirtschaftsfachleute und Immobiliengutachter.

Bundesregierung sieht keine Grundlage für Reparationen

Deutschland sieht keine Grundlage für polnische Reparationsforderungen. "Die Position der Bundesregierung ist unverändert. Die Reparationsfrage ist abgeschlossen", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Polen habe schon 1953 auf weitere Reparationen verzichtet und diesen Verzicht mehrfach bestätigt. "Dies ist eine wesentliche Grundlage für die heutige Ordnung Europas. Deutschland steht politisch und moralisch zu seiner Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg", sagte der Sprecher weiter.

Die Bundesregierung beruft sich zudem auf den sogenannten Zwei-plus-Vier-Vertrag über die außenpolitischen Aspekte der deutschen Einheit, der 1990 von der damaligen Bundesrepublik und der DDR einerseits und den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs andererseits unterzeichnet wurde und die Grundlage für die Wiedervereinigung bildete. Weiterhin verweist die Bundesregierung in ihrer Argumentation auf Kompensationszahlungen, die Deutschland nach Ende des Kalten Krieges an die Länder des damaligen Ostblocks gezahlt habe, sowie Territorien, die Polen nach 1945 von Deutschland erhalten hatte.

Kaczyński zeigte sich aber entschlossen, die Forderung durchzusetzen: "Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen, nur weil es jemandem so vorkommt, als befände sich Polen in einer besonderen, radikal niedrigeren Position als andere Länder", sagte er. "Die Deutschen sind in Polen eingefallen und haben uns enormen Schaden zugefügt. Die Besatzung war unglaublich verbrecherisch, unglaublich grausam und hatte Auswirkungen, die in vielen Fällen bis heute anhalten."

Sechs Millionen polnische Tote im Zweiten Weltkrieg

Die seit 2015 regierende PiS hatte immer wieder mögliche Reparationsforderungen trotz Widerspruchs aus Deutschland thematisiert, unter anderem gründete Polen ein Forschungsinstitut für Kriegsschäden. Mit dem Überfall auf Polen begann das deutsche Naziregime 1939 den Zweiten Weltkrieg. Allein in Polen sind dabei nach Schätzungen bis zu sechs Millionen Menschen getötet worden.

Dennoch sind die Reparationsforderungen auch innerhalb des Landes umstritten. Polen sei auf ein gutes Verhältnis zu Deutschland angewiesen, sagte der Oppositionspolitiker Grzegorz Schetyna angesichts der Ankündigungen Kaczyńskis. Das Gutachten sei innenpolitisch motiviert.

Polen ist nicht das einzige Land, das von Deutschland Reparationen wegen der Weltkriegsschäden fordert. Im April 2021 bekräftigte Griechenlands Außenministerium eigene Reparationsforderungen, die es im Juni 2019 aufgestellt hatte. Die genannte Summe von 289 Milliarden Euro ergibt sich nach griechischer Darstellung aus den Zerstörungen des Krieges und einer Zwangsanleihe, die Griechenland der Deutschen Reichsbank während des Krieges gewähren musste. Auch diese Forderungen lehnt die Bundesregierung ab.