Beleidigungen und Drohungen gehören für viele Internetnutzer zum Alltag – und führen einer repräsentativen Studie zufolge dazu, dass sich Menschen zunehmend aus dem politischen Diskurs im Netz zurückziehen. 57 Prozent der Befragten beteiligen sich laut der vom Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz herausgegebenen Studie aus Angst seltener an Diskussionen im Internet. Fast ebenso viele geben an, Beiträge bewusst vorsichtiger zu formulieren. 89 Prozent der Befragten haben den Eindruck, dass Hass im Netz in den vergangenen Jahren zugenommen hat.  

Erkenntnisse liefert die Studie mit dem Titel Lauter Hass – Leiser Rückzug auch darüber, wie verbreitet Beleidigungen und andere Formen der Hassrede im Internet sind. 49 Prozent der Befragten gaben an, schon einmal online beleidigt worden zu sein. 25 Prozent wurden nach eigenen Angaben mit körperlicher Gewalt, 13 Prozent mit sexualisierter Gewalt konfrontiert. 42 Prozent der befragten jungen Frauen wurden schon einmal belästigt, indem sie ungefragt ein Nacktfoto geschickt bekamen. Hass im Netz ist in der Studie eine eigene Kategorie. Davon betroffen sieht sich jeder Achte.

Stalking, Doxing und Dickpics

Definiert wird Hass im Netz in der Studie als eine "Vielzahl unterschiedlicher, unter anderem abwertender, entwürdigender, auf Einschüchterung zielender oder verhetzender Online-Phänomene gegenüber Personen oder bestimmten Personengruppen". Über sogenannte Hatespeech gehe Hass im Netz hinaus, schreiben die Autoren. Als Beispiele für Hass im Netz nennen sie rassistische Memes, das Versenden sogenannter Dickpics, Stalking und sogenanntes Doxing, das digitale Veröffentlichen privater Daten wie Adressen. 

Digitale Gewalt sei eng verschränkt mit analoger Gewalt, betont die Studie. Verwoben sei Hass im Netz zudem mit der Verbreitung von Desinformation, die wiederum gehäuft von rechtsextremen und rechtspopulistischen Akteuren ausgehe. 

Grundsätzlich kann Hass im Netz jeden treffen, wie es in der Studie heißt. In den Ergebnissen der Befragung zeigt sich jedoch, dass verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedlich stark betroffen sind. So gaben 30 Prozent der befragten Personen mit sichtbarem Migrationshintergrund an, Hass im Netz zu erleben. Genauso oft sind nach eigenen Angaben junge Frauen betroffen und mit 28 beziehungsweise 36 Prozent ähnlich häufig Menschen mit homosexueller oder bisexueller Orientierung.    

Studie warnt vor Verstummen marginalisierter Gruppen

Direkt von Hass im Netz Betroffene gaben besonders häufig an, sich im Internet seltener zur eigenen politischen Meinung zu bekennen und sich seltener an Diskussionen zu beteiligen. Auch die Meinungsvielfalt leide daher unter Hass im Netz, schreiben die Autoren: Denn im demokratischen Diskurs im Netz verstummten durch das Problem vor allem marginalisierte oder benachteiligte Gruppen.      

Ob Inhalte oder Handlungen im Netz als Hass wahrgenommen werden, hängt der Studie zufolge allerdings noch von einem anderen Faktor ab: Wer sich politisch eher links einordnet, nimmt demnach Hass im Netz häufiger wahr als Personen mit anderer politischer Einstellung. Eine geringere Rolle für die Wahrnehmung von Hass im Netz spielen soziodemografische Merkmale wie Alter, Geschlecht, Bildung oder Ost-West-Unterschiede.

Dass Hassattacken im Netz dazu führen, dass sich Menschen aus Onlinedebatten zurückziehen, stellten in der Vergangenheit auch andere Studien fest. Zentral war etwa die 2019 vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) veröffentlichte Untersuchung Hass im Netz: Der schleichende Angriff auf unsere Demokratie (PDF), die sich nach der Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke durch einen Rechtsextremen mit den Gefahren digitaler Hassrede befasste. Die IDZ-Studie und auch eine Forsa-Befragung im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW vom vergangenen Jahr stützen zudem den Befund der neuen Befragung, wonach bestimmte Bevölkerungsgruppen stärker von Hass im Netz betroffen sind als andere. 

Forderung nach mehr politischer Regulierung

Von der Politik fordern die Studienautoren ein stärkeres Vorgehen gegen Hass im Netz. Unter anderem verlangen sie mehr Unterstützung für Betroffene, etwa durch Beratungsstellen. Zudem brauche es eine "nationale Bildungsoffensive Medienkompetenz", für die Bund und Länder ähnlich wie beim sogenannten Digitalpakt Mittel in Milliardenhöhe zur Verfügung stellen müssten. In die Pflicht genommen werden müssten darüber hinaus die großen Social-Media-Plattformen: Sie müssten die Kosten für die gesellschaftlichen Schäden durch Hass und Desinformation tragen.  

Das Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz ist ein Zusammenschluss aus den Organisationen Das NETTZ, Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid, jugendschutz.net, und Neue deutsche Medienmacher*innen. Für die Studie ließ das Netzwerk in Zusammenarbeit mit dem Forschungsunternehmen pollytix strategic research zwischen dem 23. Oktober und dem 3. November 2023 bundesweit 3.061 Internetnutzerinnen und -nutzer ab 16 Jahren befragen.