Selten hat man in Deutschland mit so vielen politischen Gewissheiten gebrochen wie in den vergangenen zwei Monaten. Eine große Mehrheit deutscher Parlamentarier hat beschlossen, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Die Bundesregierung will 100 Milliarden für die Bundeswehr bereitstellen. Selbst der Atomausstieg steht wieder zur Debatte. Auch die Grundsatzdiskussion über den richtigen Umgang mit Putins Russland hat sich gewandelt. Heute spricht sich kaum noch jemand für Verständnis mit der russischen Regierung aus. Noch vor Monaten hätten viele einen engeren Dialog verteidigt.

Das zeigt sich auch bei Deutschland spricht, dem Dialogformat von ZEIT ONLINE. Kein Thema hat die Gesprächspaare seit der ersten Ausgabe so gespalten wie die Frage nach dem richtigen Umgang mit Russland. Als wir das erste Mal danach fragten, antwortete rund die Hälfte der Teilnehmenden, dass der Westen unfair mit Russland umgehe. 2019 wünschten sich rund 52 Prozent engere Beziehungen zu Russland. Und im vergangenen Jahr, als die russische Invasion in der Ukraine für viele Menschen noch undenkbar schien, sprach sich nur die Hälfte für schärfere Sanktionen gegen Russland aus. Die Zahlen dürften diesmal anders aussehen. 

Durch den Krieg in der Ukraine ist es, als hätte in Deutschland und Europa eine neue Zeitrechnung begonnen. Wir diskutieren Fragen, die nach 1945 so nicht mehr gestellt wurden: Ist es richtig, dass Deutschland schwere Waffen an die Ukraine liefert? Sollten die Kriegsfolgen mit einer Reichensteuer finanziert werden? Muss Deutschland jetzt aufrüsten? All diese Fragen könnten die Leserinnen und Leser von ZEIT ONLINE ab heute bei Deutschland spricht diskutieren. Mit einer Sonderausgabe zum Ukraine-Krieg will die Redaktion eine Debatte darüber ermöglichen, ob die Neuausrichtung unserer Außen- und Sicherheitspolitik richtig ist. 

In diesem Jahr ruft ZEIT ONLINE gemeinsam mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Freien Presse aus Sachsen dazu auf. Wie in den vergangenen Jahren wollen wir bei Deutschland spricht wieder Tausende Menschen mit unterschiedlichen Meinungen zu kontroversen Vieraugengespräch zusammenbringen. Je nach politischer Lage aktualisieren wir dafür die Streitfragen, sodass immer neue Diskussionen entstehen können.

Ab sofort finden Sie in unseren Artikeln eine kleine Box. Darin stellen wir Ihnen insgesamt acht kontroverse Ja-/Nein-Fragen, etwa: Sollte Deutschland den Import von russischem Gas sofort stoppen? Sollte die Wehrpflicht wieder eingeführt werden? Wenn Sie die Fragen beantworten und sich anschließend anmelden, wird Sie unser Matching-Algorithmus so schnell wie möglich mit einer Person zusammenbringen, die ganz anders über diese Fragen denkt. Sobald Sie beide dem Gespräch zugestimmt haben, können Sie sich persönlich oder auf einer von Ihnen präferierten Videoplattform zu einem Zwiegespräch verabreden. Nachdem Sie Ihr erstes Gespräch geführt haben, fragen wir Sie, ob Sie erneut jemanden kennenlernen wollen. 

2017 trafen sich zum Beispiel der damalige Student Tobias Pastoors und der Professor Detlef Fetchenhauer zu einem Vieraugengespräch, um über die deutsche Russlandpolitik zu sprechen. Pastoors sagte damals, dass die Nato-Osterweiterung sowie die militärische Abschreckung gerechtfertigt seien, um auf das Expansionsbestreben Russlands zu reagieren. Fetchenhauer argumentierte hingegen, dass Sanktionen nicht dazu führen dürften, die russische Bevölkerung dauerhaft vom Westen zu entfremden. Heute, fünf Jahre später, werden wieder Tausende Menschen über den richtigen Umgang mit Russland streiten.