Die Menschen in Europa könnten in Sachen Technologie zu Nutzerinnen und Nutzern zweiter Klasse degradiert werden, abgehängt von neuen Entwicklungen wie künstlicher Intelligenz. Das ist ein Szenario, das sowohl Apple als auch Meta in den vergangenen Wochen mehr oder weniger direkt skizzierten. Den Grund sehen die beiden Unternehmen in der Europäischen Union, oder genauer: In Gesetzen wie dem Digital Markets Act (DMA), der die Marktmacht großer Internetplattformen regulieren soll.

Am Wochenende kündigte Apple an, die unter dem Namen "Apple Intelligence" vor Kurzem vorgestellten KI-Funktionen vorerst nicht in der EU einzuführen. Darunter sind etwa eine Verbesserung der Sprachsteuerung Siri sowie das "iPhone Mirroring", bei dem man mit einem Mac-Computer vollen Zugriff auf ein iPhone bekommt. Ungeachtet der Tatsache, dass die Funktionen ohnehin erst für den Herbst und zudem zunächst nur in englischer Sprache angekündigt waren, begründet Apple die Entscheidung in einer Stellungnahme mit "regulatorischen Unsicherheiten" in Bezug auf den DMA. Auffallend war: Die Ankündigung kam kurz bevor die EU-Kommission am Montag ein neues Verfahren gegen Apple eingeleitet hatte, in dem es um mutmaßliche Wettbewerbsverletzungen geht.

Vor etwas mehr als einer Woche hatte bereits der Facebook-Konzern Meta die Einführung seines neuen KI-Chatbots nach einem Einspruch der irischen Datenschutzbehörde in der EU gestoppt. Das sei "ein Rückschritt für die europäische Innovation", schreibt Meta. Die europäischen Datenschutzrichtlinien führten dazu, dass man Nutzern in Europa allenfalls ein "zweitklassiges Nutzungserlebnis" bieten könne. Weil man das nicht wolle, habe man sich entschieden, die Funktionen zunächst auszusetzen, bis eine gemeinsame Lösung gefunden sei.

Auch Microsoft sah sich unlängst gezwungen, seine neuen KI-Funktionen an die Vorgaben der EU anzupassen. Der Copilot getaufte KI-Assistent etwa soll eigentlich ein zentraler Bestandteil von Windows 11 werden. In Europa wird er allerdings vorerst nicht als fester Bestandteil des Betriebssystems, sondern nur als optionale App erscheinen.

Nicht zuletzt hatte OpenAI-Chef Sam Altman im Mai vergangenen Jahres angedeutet, dass sein Unternehmen KI-Tools wie ChatGPT aus der EU zurückziehen könnte, falls sich diese nicht mit Gesetzen wie dem DMA und dem neuen AI Act vereinbaren ließen. Zwar ruderte Altman wenig später zurück, doch seine Aussage illustriert das angespannte Verhältnis zwischen der Big-Tech-Branche und der EU-Kommission.

Populismus hinter dem Deckmantel von KI

Nun ist das einerseits nicht überraschend. Schließlich sorgen die EU-Gesetze und Regularien schon seit vielen Jahren dafür, dass die großen Onlineplattformen ihre Angebote anpassen oder einschränken müssen, etwa im Hinblick auf den Datenschutz. Zudem hat die EU-Kommission in der Vergangenheit bereits hohe Strafen gegen Apple, Google, Microsoft und Meta verhängt, da diese aus verschiedenen Gründen gegen EU-Recht verstoßen hatten.

Andererseits zeigt sich in den aktuellen Ereignissen, wie die Unternehmen mit dem Hype um künstliche Intelligenz versuchen, die Deutungshoheit in der Debatte zu gewinnen. Anders als bei bisherigen Streitpunkten wie Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) oder den freien Wettbewerb, die Nutzerinnen und Nutzer passiv betrafen, geht es bei Siri, Meta AI und Copilot um konkrete Anwendungen, die – so die Darstellung von Apple und Meta – den Menschen in der EU im schlimmsten Fall nicht zur Verfügung stehen. Oder zumindest nur in eingeschränktem Umfang.

Anders gesagt: Während der Rest der Welt die Annehmlichkeiten generativer künstlicher Intelligenz genießt, könnten die Nutzer in Europa außen vor bleiben. Und schuld sind die EU-Gesetze, die Innovationen bremsen und, mehr noch, sogar bestehende Produkte gefährden könnte: "Der DMA könnte uns dazu zwingen, die Integrität unserer Produkte auf eine Weise zu kompromittieren, die die Privatsphäre der Nutzer und die Datensicherheit gefährdet", sagt Apple.

Mit der Erzählung vom mutmaßlich "zweitklassigen Nutzungserlebnis" und der Warnung, dass europäischen Nutzerinnen und Nutzern bahnbrechende Technologien verwehrt bleiben, schlagen Apple und Meta in die lobbyistisch-populistische Kerbe, wonach die strengen EU-Regularien und Gesetze vermeintlich Innovationen verhindern. Künstliche Intelligenz ist der neue Deckmantel, hinter dem sie die EU in ein schlechtes Licht rücken wollen.