Ihr seid gestorben. Diesen Satz muss ich oft lesen. Mit meinem treuen Geistergaul reite ich um die Füße eines brennenden Riesen, Typ: Feuerkorb auf zwei Beinen. Ich versuche ihn mit meinem im Vergleich zahnstochergroßen Schwert am Fuß zu streifen, aus dem Gleichgewicht und zu Fall zu bringen. Er aber versprüht Feuer. Ich komme nicht rechtzeitig weg. Ich brenne. Ihr seid gestorben.  

Wer noch nie ein Spiel des japanischen Entwicklerstudios FromSoftware gespielt hat, wird sich wundern, was so faszinierend daran ist, immer und immer wieder zu verlieren. Das Studio hat mit Spielen wie Dark Souls ein eigenes Spielgenre erfunden, bei dem das Verlieren essenzieller Bestandteil ist. Aber eben auch das Am-Ende-doch-Gewinnen. Und dass sich ein hart erkämpfter Erfolg besser anfühlt als ein geschenkter Sieg, wird jeder Fußballfan und jede Psychologin bestätigen können.

Den Höhepunkt dieses Spielegenres erreichte FromSoftware mit Elden Ring im Jahr 2022. Hier gab es erstmals in der Spielereihe eine offene Dark-Fantasy-Welt zu bereisen, mit Halbgöttern, Drachen und Kreaturen mit eindeutig zu vielen Fingern. Game-of-Thrones-Erfinder George R. R. Martin soll mitgearbeitet haben – wohl mehr mit groben Ideen als echter Mitarbeit –, das Spiel erhielt Topwertungen, zahlreiche Preise, selbst Nichtgamer hörten von der Faszination Elden Ring.

Nun, zwei Jahre später, ist Elden Ring zurück. Shadow of the Erdtree (Playstation, Xbox, PC) heißt die erste und laut Aussage vom Game-Director Hidetaka Miyazaki auch einzige Erweiterung für das Spiel. Kann sie die Klasse des Hauptspiels übertreffen?

Wo geht's denn hier zur Erweiterung?

Die typische FromSoftware-Sperrigkeit fängt schon nach der Installation von Shadow of the Erdtree an. Das Spiel sagt nämlich nicht, wie man die Erweiterung überhaupt startet. Da hilft es nur zu googeln. Wer den Boss Mohg im Hauptspiel erledigt hat, findet am Ort seines Todes den Zugang in das neue Schattenreich. Perfide ist, dass dieser Bossgegner erst spät im Spiel auftaucht und zudem optional ist. Wenn man den Statistiken der Spieleplattform Steam glaubt, hat ihn nur etwa ein Drittel aller Elden-Ring-Spieler überhaupt erledigt. Einen neuen Charakter zu erstellen, um direkt in die Erweiterung zu springen – sonst sehr üblich bei Games –, erlaubt Elden Ring nicht. Es ist fast so, als wollten Miyazaki und Kollegen nur jene Spielerinnen und Spieler in die Erweiterung lassen, die sich von vorne bis hinten durch das Hauptspiel gekämpft haben. Und dennoch hat Publisher Bandai Namco direkt wieder fünf Millionen Exemplare verkauft – für eine Erweiterung ein immenser Erfolg.

Sich von den hohen Einstiegshürden abzuhalten, wäre auch sehr bedauerlich, denn das Schattenreich ist allein optisch ein Erlebnis. Gleich im Startgebiet, eine weite Ebene mit geisterhaft schimmernden Grabsteinen, möchte ich lieber stehen bleiben und staunen, als mich in Kämpfe zu stürzen. Wie durch einen Trauerschleier, der die Farbe aus der Welt zieht, schaue ich auf den Baum über der Ebene, alles leuchtet leicht golden, ein Glanz wie aus vergangenen Zeiten. Die Ästhetik zitiert europäische Kunstgeschichte, ein wenig Caravaggio, ein bisschen William Blake, überhaupt viel Spiel gewordenes Ölgemälde.

Ich würde Ihnen nun an dieser Stelle gerne sagen, worum es eigentlich in Shadow of the Erdtree geht, aber nach mehreren Dutzend Stunden habe ich das offen gesagt auch nicht so genau verstanden. Im Groben geht es um den gütigen Halbgott Miquella und den brandstiftenden Bösewicht Messmer, denen man durchs Schattenreich folgt. Was die vorhaben, muss man sich aus den kryptischen Sätzen erschließen, die die wenigen Charaktere, die man auf der Reise trifft, von sich geben. So war es auch schon im Hauptspiel: Entweder man ignoriert die Story und läuft einfach von Bossgegner zu Bossgegner oder man schaut sich eben zweieinhalbstündige YouTube-Videos an. Ich weiß, in welchem Team ich lieber bin.

Diesen Satz muss man oft lesen. Sehr oft. © FromSoftware /​ Screenshot ZEIT ONLINE

Wunderbar verschraubt

Verschraubt wirkt nicht nur die Geschichte, verschraubt ist auch das Schattenreich. Auf den ersten Blick wirkt das Gebiet der Erweiterung zwar wesentlich kleiner als die Karte des Hauptspiels. Das täuscht aber darüber hinweg, dass Shadow of the Erdtree wesentlich dichter ist. Katakomben und Minen gehen zig Stockwerke in die Tiefe, die zentralen Dungeons sind mit Toren und Leitern und Vorsprüngen kompakter und verschachtelter gebaut als im Hauptspiel. Das erinnert oft an die Qualitäten älterer Dark-Souls-Spiele von FromSoftware.

Beim Spielen hatte ich ebenso oft "Ach hier komme ich raus!"- wie "Wie komme ich dahin?"-Momente. Es ist gut möglich, die Erweiterung formell durchzuspielen und doch einen großen Teil von ihr nicht gesehen zu haben. Alle Wege zu finden und alle Regionen zu erkunden, fühlt sich an, als würde man durch die verworrenen Straßen einer fremden Stadt navigieren, ohne Karte und ohne ein Wort der Landessprache zu verstehen. Nur mit mehr Zombies auf dem Weg.