Wenn Frederike morgens mit müden Augen in der Vorlesung sitzt, steigt der Meeresspiegel um einige Mikrometer an. Zehntausende Menschen packen ihre Sachen, um vor einer Dürre oder Flut zu fliehen, wenn sie sich nachmittags mit ihren Freunden trifft. Und wenn sie abends erschöpft ins Bett fällt, sind von den Gletschern der Erde an diesem Tag wieder acht Zentimeter Eis weggeschmolzen. Manchmal, sagt Frederike, wachse ihr der Klimawandel über den Kopf. 

Frederike Freitag ist 21 Jahre alt und macht sich täglich Gedanken um den Klimawandel. Unruhig werde sie davon, ängstlich, manchmal auch zynisch, sagt sie. Sie fragt sich dann: "Ergibt das überhaupt irgendeinen Sinn, was ich hier tue? Am Ende sterben wir eh alle." Wozu sich engagieren für CO2-freies Reisen? Wozu sich bemühen, eine Kompostieranlage an der Uni einzuführen? Und wozu ihr Studium? Frederike hat sich vor zwei Jahren für "Global Project and Change Management" im niederländischen Windesheim eingeschrieben, ein Studiengang, der sich mit einer nachhaltigen Wirtschaftsweise und sozialer Verantwortung beschäftigt. "Ich hatte immer den Drang, in meinem Leben etwas Sinnvolles, etwas Nachhaltiges zu tun", erklärt sie. Doch nach der Euphorie der ersten Monate, im Winter, fiel Frederike in ein dunkles Loch. Die Last des Klimawandels, der Wunsch, etwas zu verändern und das Gefühl, daran zu scheitern, hätten sie in eine depressive Stimmung katapultiert.

Bereits 2008 wertete die Amerikanische Gesellschaft für Psychologie (APA) Studien aus, die erforschten, wie Menschen auf die Bedrohung durch den Klimawandel reagieren. In ihrem Bericht stellen die Psychologen fest: "Selbst in der Abwesenheit direkter Auswirkungen kann die Angst vor dem Klimawandel die psychische Gesundheit beeinträchtigen." 

Selbst in der Popkultur ist das Phänomen schon angekommen: In der US-amerikanischen Serie Big Little Lies brach eine neunjährige Schülerin aus Panik vor dem Klimawandel zusammen und versteckte sich in einem Schrank. 

Klimawandel
Was, wenn wir nichts tun?
Waldbrände, Eisschmelze, Unwetter: Der Mensch spürt die Erderwärmung. Wie sieht die Zukunft aus? Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf erklärt unsere Welt mit 4 Grad mehr.

Die Hamburger Psychologin Katharina van Bronswijk nennt dieses Gefühl: Klimaangst. Ein Zustand der dauerhaften ängstlichen Erregung, ausgelöst durch die Beschäftigung mit den Folgen der Erderwärmung. Van Bronswijk selbst engagiert sich bei den Psychologists for Future, einem Zusammenschluss von Psychologinnen, die die Bewegung unterstützen. "Unter den Fridays", so nennt van Bronswijk die jungen Klimaaktivistinnen, "gibt es mehrere, die eine solche Angst verspüren." Auch in sozialen Medien tauschen sich junge Menschen darüber aus. Der britische Klimaaktivist Finn Harries gestand seinen Followern auf Instagram, wegen der täglichen Informationsflut über den Zustand der Natur immer wieder von Verzweiflung, Trauer und Depressivität übermannt zu werden. Dutzende dankten dem 26-Jährigen und kommentierten, es ginge ihnen ähnlich.

"Unter den Fridays gibt es mehrere, die eine solche Angst verspüren."
Katharina van Bronswijk, Psychologin und Aktivistin

Wer der Psychologin van Bronswijk zuhört, bekommt den Eindruck, dass der nun schon seit mehr als einem Jahr anhaltende Protest seinen Preis hat. Dass es Jugendliche gibt, die der Klimawandel so sehr umtreibt, dass sie darunter leiden. Die Klimaangst, sagt van Bronswijk, sei nur eine von mehreren psychischen Auffälligkeiten, die sie beobachte. Eine andere sei die ökologische Trauer, eine anhaltende Niedergeschlagenheit über den Verlust von Lebensräumen durch Umweltzerstörung. Und zurzeit werde in ihrer Gruppe darüber diskutiert, ob es durch den Klimawandel nicht auch eine "prätraumatische Belastungsstörung" gebe: "Eine Traumatisierung durch die furchtbaren Bilder, die die Vorstellungen der drohenden Klimakatastrophe in uns auslösen." Die Psychologin und ihre Mitstreiterinnen versuchen, für die Jugendlichen da zu sein. Sie sind auf Demonstrationen zur Stelle, wenn einer der Aktivisten reden möchte und geben Workshops, in denen die Jugendlichen lernen sollen, mit ihren Gefühlen umzugehen. Die Angebote, sagt van Bronswijk, würden rege genutzt.