Zum 1. Juli können Angestellte in Griechenland sechs Tage die Woche arbeiten – für 40 Prozent mehr Gehalt. In Deutschland gilt die 40-Stunden-Woche. Doch ist das noch zeitgemäß? Hannah Scherkamp und David Gutensohn haben dazu unterschiedliche Meinungen.

Pro: Jeder sollte mehr arbeiten dürfen – wenn er das will

Die Betonung bei der in Griechenland eingeführten Sechstagewoche liegt auf dem Wort "dürfen". Die Sechstagewoche soll freiwillig sein, jeder, der mehr als bislang arbeiten möchte, darf es tun – niemand muss es. So jedenfalls wird das Gesetz kurz vor seiner Einführung angepriesen. Und nicht nur das: Die Arbeitsstunden an dem 6. Arbeitstag werden mit 40 Prozent mehr Gehalt vergütet, an Sonn- und Feiertagen sogar mit 115 Prozent zusätzlich. 

In Griechenland macht die freiwillige Mehrarbeit Sinn. Dem Land fehlen Fachkräfte, seit der Finanzkrise von 2010 wanderten Hunderttausende gut ausgebildete Menschen aus. Von diesem Brain-Drain hat sich das Land bisher nicht erholt. Außerdem hat Griechenland ein großes Problem mit Schwarzarbeit. Damit rechtfertigt der griechische Arbeitsminister Adonis Georgiadis das neue Sechs-Arbeitstage-Gesetz: Bislang würden viele Angestellte eh in Extrastunden weiterarbeiten, um Geld zu verdienen – illegal. Warum also nicht einfach die Zeiten ausweiten und legal arbeiten, so richtig mit Steuern und Sozialabgaben?  

Deutschland geht es besser als Griechenland. Die deutsche Wirtschaft wächst wieder, aber nur sehr langsam, in den meisten Branchen mangelt es an Fachkräften. Die Angst vieler Menschen vor dem sozialen Abstieg zeigt sich in den Wahlergebnissen. Auch deswegen fordern Vorstände, Chefs von Arbeitgeberverbänden und Politiker, dass wieder mehr gearbeitet werden muss, um die Wirtschaft zu bestärken. "Was sich ändern muss, ist die Haltung zur Arbeit, der unbedingte Wille zu arbeiten!", sagte beispielsweise Christian Sewing, der Chef der Deutschen Bank. Auch die Ampelregierung diskutiert laut Bundeskanzler Olaf Scholz derzeit über Steueranreize für freiwillige Mehrarbeit. Der deutsche Arbeitsmarkt muss sich also verändern und flexibler werden. Wer mehr arbeiten möchte, sollte das tun dürfen, gern auch sechs Tage in der Woche. 

Angestellte sollen nicht nur weniger arbeiten dürfen

Schon jetzt arbeiten viele Menschen mehr als sie müssen, oft ohne dafür Geld zu bekommen. 2023 haben die Deutschen 1,3 Milliarden Überstunden geleistet, mehr als die Hälfte davon unbezahlt. Man könnte es so wie in Griechenland machen: einen Tag mehr arbeiten lassen und die Mehrarbeit außergewöhnlich gut entlohnen. Damit muss nicht einmal der Samstag oder Sonntag als weiterer Arbeitstag in der Woche gemeint sein. Man könnte auch von Wochenstunden sprechen. Anstatt 40 Stunden an fünf Tagen könnte es Beschäftigten beispielsweise freigestellt werden, im selben Zeitraum 48 Stunden zu arbeiten. So eine Regel könnte im Schichtbetrieb, aber auch für zeitlich flexiblere Jobs funktionieren, beispielsweise für Sachbearbeiter im öffentlichen Dienst oder Entwicklerinnen in Großkonzernen.  

Zudem – und das kennt vermutlich jeder Mensch aus seinem Bekanntenkreis – gibt es zwei Typen von Angestellten: Diejenigen, die unbedingt weniger arbeiten wollen, die sich eine Viertagewoche und mehr Freizeit wünschen und so ein Modell auch finanzieren können (denn verkürzte Arbeitszeit bei vollem Lohn wird wohl die Ausnahme in wenigen Betrieben bleiben). Und es gibt die anderen, die gerne und freiwillig Überstunden leisten, weil sie die Kraft dafür haben und ihren Job mögen. Diesen Menschen sollte man die Gelegenheit geben, offiziell mehr Zeit damit zu verbringen. Profitieren würden davon alle. Nur wenn ein Teil der Angestellten künftig offiziell mehr arbeitet, können die anderen weniger arbeiten. Hingegen: Wenn alle weniger arbeiten, wird es in Zeiten des Fachkräftemangels nicht funktionieren. 

Es muss alles freiwillig bleiben

Wichtig wäre – wir sind wieder bei dem Wort dürfen –, dass jeder Arbeitnehmer aufstocken darf und nicht muss. Die Sechstagewoche darf auch nicht unterschwellig zur Pflicht werden, zum Beispiel, weil Beschäftigte bevorzugt werden, die einen Tag mehr arbeiten. Ein Gesetz, das eine Sechstagewoche auch in Deutschland erlaubt, müsste klug formuliert sein – und Angestellte vor Ausbeutung und gesundheitlichen Schäden schützen. Der regelmäßige Besuch beim Betriebsarzt könnte für alle, die mehr als 40 Stunden arbeiten, zur Pflicht werden. Und Arbeitnehmer müssen die zusätzlichen Stunden flexibel in der Arbeitswoche verteilen dürfen, um genügend Zeit für ihre Familie oder Hobbys zu haben. Das sind nur Beispiele, die zeigen: Eine neue Flexibilität am Arbeitsmarkt sollte gut durchdacht sein, dann bringt sie allen etwas.