Nach Freiwilligen muss die Klassenlehrerin nicht lange suchen. Wer heute an der Tafel rechnen mag? Die Hände schnellen in die Höhe, "Ich", "Ich", "Ich" rufen mehrere Kinder eifrig durcheinander. Mit gespielter Strenge lässt Rosemarie Pečnik ihren Blick durch die Reihen schweifen – und winkt einen Buben zu sich, der seine Hand besonders weit nach oben streckt. Während er zur Tafel geht und dort die Zahlen 80 und 83 multipliziert, sitzen zwei Mädchen in der letzten Reihe und wiederholen slowenische Vokabeln.

Es ist ein Freitagmorgen im Juni in der zweisprachigen Volksschule Klein St. Veit in Kärnten, ein Dorf mit 260 Einwohnern, eine halbe Autostunde östlich von Klagenfurt. Sonnenstrahlen fallen durch die Fenster des Klassenzimmers, sie sind beklebt mit Schmetterlingen. An der Wand prangen bunte Merksprüche. "Wir kümmern uns umeinander" ist einer von ihnen. Oder: "Wir meistern gemeinsam die Herausforderungen." Das ist durchaus wörtlich gemeint. Alle Schulkinder im Alter von sechs bis zehn Jahren werden hier gemeinsam in einer Klasse unterrichtet. Während die einen etwas Neues lernen, wiederholen die anderen das Gelernte im Stillen. "Das wirkt auf den ersten Blick vielleicht etwas chaotisch", entschuldigt sich Pečnik für ein Durcheinander, das gar keines ist. Vielleicht hat sie den Kindern klargemacht, dass sie beim Besuch der Reporterin besonders brav sein sollen. Vielleicht liegt es auch an der kleinen Schülerzahl von nur 15 Kindern. Bestimmt aber liegt es an der routinierten Gelassenheit der Lehrerin "Frau Pečnik", die immer freundlich, aber schon mal streng sein kann. Nach der Schule werden einige der Kinder zu Fuß nach Hause gehen, vorbei an Kirche, Höfen, Äckern und Einfamilienhäusern.

Als "nachhaltig" und "gesund" wurde die Schule in Klein St. Veit mehrfach ausgezeichnet, die Urkunden hängen draußen auf dem Gang. Seit Kurzem kommt der Strom direkt aus der Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach. Inzwischen gibt es hier einen naturwissenschaftlichen Schwerpunkt – und auch eine Nachmittagsbetreuung. Klein St. Veit könnte eine Vorzeigeschule in der Kärntner Provinz sein, nachhaltig, familiär und doch modern. Wäre da nicht die Vorgabe der Kärntner Bildungsdirektion, die Schule nach den Sommerferien zu schließen. Für immer.

Später sitzt Katrin Korak-Kohl auf der Parkbank vor der Schule. Die schwere Baumkrone des Lindenbaums spendet Schatten, die Vögel zwitschern, immer wieder radeln lachende Kinder vorbei, während ihr Sohn, ein Zweitklässler, auf der Schaukel wippt. Korak-Kohl, 40, ist Elternvertreterin an der Schule. Sie schüttelt den Kopf: "Ich verstehe diese Entscheidung einfach nicht." Ihr Frust ist verständlich – als Mutter eines kleinen Sohnes, der wohl bald die Schule wechseln muss, die dann elf Kilometer entfernt liegt. Aber Korak-Kohl geht es noch um etwas anderes. Gerade in Zeiten, in denen die Zeitungen voll sind mit Berichten über überforderte Lehrer, Schüler und sogenannte Brennpunktschulen. Und solchen über nachhaltige Mobilität und die Erhaltung des ländlichen Raums. "Warum zerstört man dann eine Einheit, die so gut funktioniert?", fragt Korak-Kohl.

Selbst die Feuerwehr sammelte Geld

Rund tausend derartige Kleinschulen gibt es in ganz Österreich, die weniger als vier Klassen oder weniger als hundert Schülerinnen und Schüler haben. Ausgedünnte Dörfer und immer weniger Kinder – überall sind es ähnliche Befürchtungen, die die Anrainer umtreiben: dass das Dorfleben, eine im 21. Jahrhundert ohnehin fragile Symbiose zwischen Schule, Kirche und Vereinen, nur noch weiter leiden wird, wenn immer mehr Akteure den Ort verlassen. Die Poststelle, der Lebensmittelladen, die Bankfiliale. Und irgendwann die Schule. Dass Klein St. Veit von dieser Entwicklung betroffen ist, sieht man mittlerweile schon an der Dorfeinfahrt. "Gasthaus zu vermieten", steht dort neuerdings an der Tür des einzigen Wirtshauses des Dorfes.

Pfarrgemeinderat Walter Korak © Gerhard Maurer für DIE ZEIT

Wenn eine Dorfschule geschlossen wird, gehen schnell die Wogen hoch: wütende Eltern, Hilferufe in den Medien, Proteste in den Landeshauptstädten. "Stirbt die Schule, stirbt das Dorf" ist einer der Slogans, unter dem Anrainer gegen Schulschließungen kämpfen, von Vorarlberg über die Steiermark bis Kärnten. Klein St. Veit ist keine Ausnahme. "Ein Loch" werde die Schließung in das Dorf reißen, sagt Markus Lakounigg. Er ist Bürgermeister von Völkermarkt, Klein St. Veit gehört zu seiner Gemeinde. Wenn das Dorf ein geografisches Herz hätte, sagt Lakounigg, es schlüge wohl genau hier, zwischen der romanischen Kirche, dem Maibaum und dem Rüsthaus der Freiwilligen Feuerwehr. Die Feuerwehr hat Spenden gesammelt, um Kinder aus der Umgebung mit einer Bonuszahlung an die Schule zu locken. Der Pfarrer hat beim Bischof vorgesprochen, er möge auf höchster Ebene intervenieren – also beim Landeshauptmann selbst. Die Gemeinde hat gegen den Schließungsbescheid Berufung eingelegt, das Gerichtsverfahren am Landesverwaltungsgericht Kärnten steht noch aus.