Wie war das noch? Wer in der Jugend nicht links wählt, hat kein Herz; wer es im Alter immer noch tut, hat keinen Verstand? Und dann das: Bei der Europawahl Anfang Juni nahmen 16-Jährige zum ersten Mal an einer überregionalen Wahl teil. Viele von ihnen zog es ins rechts-konservative Lager (17 Prozent CDU und 16 Prozent AfD). Weitere 28 Prozent gaben ihre Stimme an diverse Kleinstparteien.

Wie bitte? Haben die Jungen kein Herz mehr oder keinen Verstand – oder von beidem zu wenig?

Als erste Generation wurden die 16- bis 24-Jährigen quasi ins Internet geboren, die meisten haben schon als Babys Bekanntschaft mit Bildschirmen gemacht. Im Internet finden sie Freunde, Informationen, Unterhaltung. Sie finden dort eigentlich alles.

Also auch ihre politische Meinung?

Erst diese Woche hat das Leibniz-Institut für Medienforschung am Hans-Bredow-Institut Hamburg seinen jährlichen News-Report herausgebracht. Die jüngste untersuchte Gruppe ist die der 18- bis 24-Jährigen, also ein wenig älter als die Erstwähler der EU. Die Ergebnisse helfen trotzdem, die Politisierung der jüngsten Wähler bei der EU-Abstimmung nachzuvollziehen: 35 Prozent der 18- bis 24-Jährigen in Deutschland beziehen der Studie zufolge Nachrichten hauptsächlich über soziale Medien. Für 16 Prozent unter ihnen sind diese sogar die einzige Quelle.

Darunter ist Instagram mit 27 Prozent die am meisten genutzte Plattform der 18- bis 24-Jährigen, um mit Nachrichteninhalten in Kontakt zu kommen. Darauf folgen YouTube (24 Prozent) und TikTok (13 Prozent), Tendenz steigend.

Man kann also, zum Beispiel, annehmen: Wer versteht, wie die Jungen tiktoken, versteht auch besser, wie sie denken.

65 % der 18- bis 24-Jährigen sagen, ihre Hauptquelle für Informationen sei das Internet inklusive sozialer Medien.

So ist Florian Nuxoll vorgegangen. Um zu erfahren, was seine Schüler bewegt, hat der Tübinger Gymnasiallehrer mehrere TikTok-Accounts angelegt, in denen er in unterschiedliche Profile geschlüpft ist: Er war eine Schülerin, die sich Schminktipps anschaut. Er war ein sportbegeisterter Gymnasiast. Er war ein Jugendlicher aus der deutsch-türkischen Community. Und egal in welcher Rolle er auf TikTok auftrat: Immer wurden ihm neben Clips zu den persönlichen Interessen seines Profils Videos mit politischen Inhalten angezeigt. "Da war ich überrascht, wie schnell das in eine bestimmte Richtung ging", sagt der Lehrer für Englisch und Geschichte.

Kaum hatte Nuxoll ein israelkritisches Video nicht hastig genug weggewischt – schon wurde das nächste vorgeschlagen. Kurz auf einem AfD-Clip verweilt – schon wusste der Algorithmus: Hier interessiert sich jemand für rechtsnationale Politik.

Also: mehr davon. Mehr Israel-Hass. Mehr AfD.