Michael Mayer ist Leiter des Arbeitsbereichs Zeitgeschichte an der Akademie für Politische Bildung Tutzing. Derzeit habilitiert er sich mit einer Geschichte des Asylrechts im Grundgesetz.

Vier schlichte Worte, beinahe bekenntnishaft klingen sie: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." So steht es im Grundgesetz, Artikel 16 a, Absatz 1. Der Parlamentarische Rat, der von September 1948 bis Mai 1949 über das Grundgesetz beriet, habe damit etwas völlig Neues geschaffen, lautet die gängige Einschätzung. Von einem "Sonderweg", eingeschlagen, um ausländischen Verfolgten umfassend Schutz zu gewähren, sprach unlängst der Historiker Heinrich August Winkler. Sein Kollege, der Migrationsforscher Klaus Bade, hat den Artikel 16 sogar als "die historische Antwort der Deutschen auf die Erfahrungen des Nationalsozialismus" bezeichnet.

Vertieft man sich in die Protokolle des Parlamentarischen Rates und rekonstruiert man die Debatten, die vor 75 Jahren die Entstehung des Grundgesetzes begleiteten, ergibt sich ein anderes Bild. Zwar ist das Grundrecht auf Asyl bis heute eine besondere Errungenschaft der westdeutschen Demokratie, aber es war seinerzeit weniger eine Lehre aus der NS-Zeit als eine Reaktion auf die Herausforderungen der Nachkriegsjahre. Dem Parlamentarischen Rat ging es daher nicht vorrangig um ausländische Verfolgte – sondern um deutsche.

Ein Asylrecht für Deutsche?

"Die Gewährung des Asylrechts für politisch verfolgte Ausländer erscheint als zu weitgehend", betonte am 16. November 1948 der Redaktionsausschuss des Rates und legte stattdessen folgenden Entwurf für einen Asylartikel vor: "Jeder Deutsche, der wegen seines Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit oder Weltfrieden verfolgt wird, genießt im Bundesgebiet Asylrecht."

Ein Asylrecht für Deutsche? Ja, um verfolgten Deutschen aus der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) Schutz zu gewähren. Darum drehte sich die Debatte im Kern. Heute ist dies so gut wie vergessen. Damals war es alles andere als ein Geheimnis. So heißt es 1955 in einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dass sich die Väter und Mütter des Grundgesetzes vorwiegend mit der Frage befasst hätten, "ob deutschen Staatsbürgern ›Asyl‹ zustehe". Und der Justizminister von Baden-Württemberg, Viktor Renner (SPD), behauptete am 10. Oktober 1952 im Bundesrat mit Blick auf das Asylrecht, "dass eben die Ausländer nicht gemeint waren, sondern nur Deutsche".

Den Hintergrund dieser Debatte bildete die innerdeutsche Fluchtkrise, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hatte: Seit Jahresbeginn 1947 flohen immer mehr Menschen aus der SBZ in die Westzonen, da sich ihre Lebensbedingungen massiv verschlechterten und die politische Verfolgung zunahm. Vor allem Niedersachsen war aufgrund seiner langen Demarkationslinie zur sowjetischen Zone von illegalen Einreisen betroffen. Dennoch hatte die britische Besatzungsmacht angeordnet, dass alle SBZ-Flüchtlinge in der britischen Zone aufgenommen werden müssen. Mit mehr als zwei Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen war Niedersachsen bald regelrecht überfüllt. Am 7. Mai 1947 erließ die niedersächsische Regierung deshalb mit britischer Zustimmung eine Verordnung, wonach nur noch politisch Verfolgte, die "einen Nachweis hierfür erbringen", Aufnahme finden sollten. Von diesem Zeitpunkt an mussten SBZ-Flüchtlinge ein Asylverfahren durchlaufen. Wer keine Verfolgung nachweisen konnte, durfte nicht bleiben. Das Ziel der neuen Verfahren (die bald auch die anderen Länder der britischen Zone übernahmen) war also ein doppeltes: Sie sollten Verfolgte schützen und zugleich die Zuwanderung reduzieren. Mindestens zwei Drittel der Flüchtlinge wurden fortan zurückgeschickt.

Anders war die Lage in der amerikanischen Zone. Die US-Behörden schoben illegal eingereiste SBZ-Flüchtlinge sofort wieder ab. Selbst politisch Verfolgte verschonten sie in der Regel nicht. Allein im Sommer 1947 griffen amerikanische Grenzschützer monatlich rund 36.000 Flüchtlinge auf und übergaben sie den sowjetischen Grenzbeamten.

Unterschiedliche Motive für die Asylpolitik

Die Länder in der US-Zone begrüßten dieses Vorgehen, forderten aber Ausnahmen für politisch Verfolgte. Deshalb führten sie im Frühjahr 1947 informelle Anerkennungsverfahren ein, um Flüchtlinge im Einzelfall schützen zu können. Die Korrespondentin der New York Herald Tribune, Marguerite Higgins, berichtete am 24. Juli 1947, dass die deutschen Beamten US-Militärgouverneur Lucius D. Clay durch diese Praxis dazu bewegen wollten, "seine Haltung etwas zu modifizieren". Kurz darauf bat der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner Clay im Namen der Länder darum, "eine Ausnahme für die zwei bis drei Prozent der illegalen Zuwanderer zu machen, die sich in der Situation befänden, nach ihrer Rückkehr nach Sibirien oder in andere Gegenden verschickt zu werden". Doch der Militärgouverneur blieb hart. Er müsse darauf bestehen, "dass alle zurückgehen".

Die Länder der britischen und der amerikanischen Zone hatten also überaus unterschiedliche Motive für ihre Asylpolitik. Da sich ihre Ziele aber mit demselben Mittel erreichen ließen – mit Anerkennungsverfahren für Geflüchtete –, einigten sie sich schon im Sommer 1947 auf ein einheitliches Asylprozedere: die einen, um mehr Flüchtlinge abschieben zu können, die anderen, um einige wenige vor der Abschiebung zu retten. 1948 schlossen sich auch die Länder der französischen Zone an.