Bankencrashs, Naturkatastrophen – wie soll man sich darauf vorbereiten? Es gibt jedoch auch Notlagen, für die Politiker sich wappnen können, sogar müssen. Weil sie sich schon lange ankündigen.

Im kommenden Jahr stehen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Landtagswahlen an, und es zeichnet sich eine neue Entwicklung ab: Die AfD, eine rechtspopulistische, mancherorts rechtsextreme Partei, könnte ganz vorn liegen. Schon länger deuten die Umfragen darauf hin. Wären am Sonntag Wahlen, würde die AfD laut Insa in den Ost-Ländern mit 26 Prozent stärkste Kraft. Ihre Stabilität ist bemerkenswert. Schon seit Jahren erreicht sie in Sachsen und Thüringen rund ein Viertel der Wähler. Ihre Anhänger sind treu. Und auch die angespannte Weltlage nützt der Partei.

Höchste Zeit also, sich zu fragen: Was passiert eigentlich, wenn die AfD vorn liegt? Wie lässt sich sicherstellen, dass aus der zu erwartenden Hitzigkeit der Situation keine Hysterie wird? 

Vielleicht hilft es, sich heute schon zu vergegenwärtigen, was im Falle eines AfD-Sieges vom Erschrecken und von der Empörung übertönt werden könnte: Auch im Osten wird die Zahl der AfD-Wähler übertroffen von denen, die laut Umfragen sagen, niemals diese Partei wählen zu wollen. So anziehend sie für ihre Anhänger ist, so abstoßend ist sie für die anderen. Und natürlich kann, schon deswegen, eine Regierung auch ohne den Erstplatzierten gebildet werden. Aber das erfordert von manchen harte Kompromisse. Insbesondere der CDU fordert es etwas ab: sich von einem ihrer Tabus verabschieden zu müssen.

Bislang hält die Partei an der Devise fest, weder mit der AfD noch mit der Linken zu kooperieren. In Thüringen geht das schon heute nicht mehr gut. Hier müsste die CDU mit einer der beiden koalieren. Weil sie das nicht tut, kommt nur ein rot-rot-grünes Minderheitsbündnis zustande, das wenig bewegen kann. Will sich die Volkspartei CDU weiterhin ihrer Verantwortung entziehen? Zumal die Linke zwar hier und da auch radikal ist – nur eben am wenigsten in Ostdeutschland.

Die AfD ist immer dann zur Stelle, wenn andere Parteien strategisch unsicher oder gar planlos werden. Man hat das in den Ost-Ländern schon oft gesehen und zuletzt auch in Berlin, wo die AfD frech behaupten konnte, der Regierende Bürgermeister sei nur mit ihren Stimmen ins Amt gekommen. Ihr diese Art von Spielchen zu ermöglichen, kann man sich in Berlin vielleicht noch erlauben. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist die Lage für Spielchen zu ernst. Schließlich gerät hier nicht nur das eigene Image in Gefahr, sondern auch die Regierungsfähigkeit.

Gut fühlen sich solche Was-wäre-wenn-Gedanken nicht an. Denn bedeutet das nicht letztlich, sich abzufinden mit der Stärke der AfD? Sich abzufinden damit, dass selbst das naheliegendste Argument gegen diese Partei nicht verfängt? Statt regierungsfähig wurde sie mit den Jahren immer radikaler. Das aber bekümmert ihre Anhänger offenbar nicht. Die Partei hat das Kunststück vollbracht, trotz sinkender Seriosität ihr Wählerpotenzial zu vergrößern.

Allerdings hält ihre Geschichte auch gefühlte Niederlagen bereit. Schon bei den letzten Ost-Landtagswahlen wollte die AfD stärkste Kraft werden. Vergeblich. Die Gamechanger waren jeweils gestandene Ministerpräsidenten. Sie zogen Stimmen aus allen politischen Lagern. Weil sie eine Wir-gegen-die-Stimmung heraufbeschworen. Und zudem – wie soll man es sagen? – mit einer gewissen Eigenwilligkeit hervorstachen und das bis heute tun. Michael Kretschmer (CDU) wendet sich gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Manuela Schwesig (SPD) mag sich bis heute nicht entschuldigen dafür, den Bau der Pipeline Nord Stream 2 kraftvoll unterstützt zu haben. Reiner Haseloff (CDU) spricht in Talkshows bisweilen wie ein zufällig interviewter Magdeburger Zornesbürger.

Natürlich kann man all das kritisieren. Aber schaut man sich an, wie im Rest des Landes über Kretschmer oder Schwesig gesprochen wird, muss man den Eindruck gewinnen, es handele sich bei ihnen um Abgesandte aus dem Reich des Bösen. Selbst CDU-Chef Merz nannte seinen Parteifreund Kretschmer "teils naiv". So auf ihn herabzuschauen erweckt den Eindruck, er sei Teil des ostdeutschen Problems. Im Kampf gegen die AfD ist er aber Teil der Lösung. Auch das gehört zur politischen Prävention: ein bisschen mehr innerdeutsche Binnenspannung auszuhalten.