Noch im Moment des Zusammenbruchs blieb Hans-Georg von Studnitz seinen Überzeugungen treu: "Die Stadtverwaltungen werden Juden und KZ-Insassen anvertraut, also ein Regiment mit umgekehrten Vorzeichen, aber den gleichen Mißgriffen", notierte er am 28. April 1945 in sein Tagebuch. Ende Mai, drei Wochen nach Kriegsende, schrieb er: "Amerikaner und Engländer sind mit einem Ring von Juden umgeben. Diese haben die Aufgabe, ihnen einerseits die Deutschen vom Leib zu halten, zweitens sie zu beschnüffeln."

Studnitz war 1933 in die NSDAP eingetreten, bis 1945 arbeitete er in der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes. Am 29. Januar 1948 veröffentlichte er seinen ersten Beitrag in der ZEIT.

Er war dort nicht der einzige Ex-Nazi. Das Hamburger Wochenblatt beschäftigte in seinen Anfangsjahren mindestens sechs frühere Parteigenossen, unter ihnen auch ehemalige SS-Männer. Ein Befund, der wenig überraschend ist: In der Geschichte der ZEIT, schreibt der Historiker Frank Bajohr, spiegele sich "fast paradigmatisch" ein Stück Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik, die ebenfalls durch ein "hohes Maß an Kontinuität und damit auch NS-Belastung gekennzeichnet" gewesen sei.

Viel ist zu diesen Anfängen geforscht und geschrieben worden – von der Produktion der ersten Ausgabe 1946 bis zum Schlüsseljahr 1954, als es zwischen Marion Gräfin Dönhoff und dem damaligen Chefredakteur Richard Tüngel über den NS-Staatsrechtler Carl Schmitt zu einem Zerwürfnis kam, das nicht nur eine Neuordnung der Eigentümerverhältnisse, sondern auch einen Generationswechsel in der Redaktion nach sich zog.

Der Tagungsband "DIE ZEIT" und die Bonner Republik hat 2008 den zeithistorischen Kenntnisstand zusammengefasst. Und immer wieder hat sich die ZEIT auch selbst mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt. Die letzte große Kontroverse kreiste 2013/14 um die Frage, ob der Tübinger Politologe und Staatsrechtler Theodor Eschenburg – Autor und Mentor der ZEIT von 1957 bis in die Neunzigerjahre – an der "Arisierung" eines jüdischen Unternehmens mitgewirkt hat. Bereits 1996 erschien das (2006 neu aufgelegte und ergänzte) Buch des Redakteurs und Historikers Karl-Heinz Janßen Die Zeit in der ZEIT. 50 Jahre einer Wochenzeitung.

Den 75. Geburtstag haben wir zum Anlass genommen, das darin überlieferte Bild im Licht neuerer Erkenntnisse zu prüfen, zu denen die 2019 enthüllte NSDAP-Mitgliedschaft des Kunsthistorikers und Documenta-Mitgründers Werner Haftmann gehört, der bis in die Sechzigerjahre hinein für das Feuilleton der ZEIT schrieb.

Waren die Anfänge womöglich noch stärker überschattet als bislang angenommen? Was genau haben die NS-belasteten Mitarbeiter vor 1945 getan und geschrieben? Und wie gelang es dem Blatt dennoch, sich erfolgreich zu erneuern?

Keine Stunde Null

Hamburg im Sommer 1945: Es war ein Anfang in den Kulissen des Untergangs, ein Aufbau inmitten von Trümmerbergen. Zurück auf null, so empfanden es viele. Eine Stunde Null aber gab es nicht, in der deutschen Nachkriegsgesellschaft so wenig wie bei der ZEIT.

In großem Umfang griff die ZEIT auf Journalisten zurück, die schon während des Nationalsozialismus in ihrem Beruf tätig waren. Und das, wie der Historiker Christian Sonntag 2006 in seinem Buch Medienkarrieren über die Hamburger Nachkriegspresse schildert, stärker als manch andere Lizenzzeitung. Die Briten, vor allem der zuständige Kontrolloffizier in Hamburg, Michael Thomas, nahmen es in dieser Hinsicht nicht so genau wie etwa die Amerikaner. So arbeiteten für die Redaktion neben Berufsanfängern wie der jungen Marion Dönhoff und dem einzigen Remigranten bei der ZEIT, Ernst Friedlaender, etliche Kollegen, die schon für Goebbels’ Vorzeige-Wochenblatt Das Reich und andere Blätter im "Dritten Reich" geschrieben hatten. Zwischen 1946 und 1949 traf dies auf fünf der zehn Redaktionsmitglieder, auf elf von 19 Autoren sowie auf die beiden Chefredakteure zu.