Kunstbetrug Die zwei Leben des Helge Achenbach: „Ich dachte, ich bin der King“

Helge Achenbach wurde vor zehn Jahren festgenommen. Quelle: Rolf Vennenbernd/dpa

Vor zehn Jahren wurde der Promi-Kunstberater Helge Achenbach verhaftet. Wegen Millionen-Betrugs kam er in den Knast. Heute werkelt er auf einem Künstlerhof, kauft bei Aldi ein und verdient nur 1000 Euro netto.

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Helge Achenbach war in Hochstimmung, als er am 10. Juni 2014 morgens auf dem Airport Düsseldorf landete. Deutschlands prominentester Kunstberater kam aus Brasilien, wo er das WM-Quartier der deutschen Fußball-Nationalelf mit Kunst bestückt hatte. Am Gate aber wartete die Polizei schon mit Haftbefehl auf ihn. Vorbei war es mit Millionen-Kunstdeals für schwerreiche Kunden, Champagner auf Kunstmessen von Basel bis Miami und glamourösen Partys mit Madonna und Vorstandschefs. Es ging direkt in den Knast.

Der 25 Kilometer lange Weg in die Justizvollzugsanstalt Essen dauerte sieben Stunden – es war der Morgen nach dem Sturm „Ela“, auf den Straßen herrschte Verwüstung. „Da hab' ich gedacht: Okay, Helge, das war's. Ich wusste, dass das Leben sich völlig ändern wird“, sagt der heute 72-Jährige im Rückblick über den Tag. „Ich hatte so eine euphorische Stimmung in mir – man kann nicht tiefer stürzen. Klatsch, lag ich am Boden.“

2015 wurde Achenbach in einem spektakulären Prozess wegen Millionenbetrugs an reichen Kunden zu sechs Jahren Haft verurteilt. Er hatte den 2012 gestorbenen Aldi-Erben Berthold Albrecht mit fingierten Rechnungen um rund 20 Millionen Euro betrogen. Achenbachs Firmengeflecht ging pleite, seine Kunstsammlung wurde zwangsversteigert, Ehefrau Dorothee ließ sich scheiden.

Dorothee Achenbach stellte am 29.03.2017 ihr neues Buch „Ich liebte Sträfling Nr. 1“ in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) vor. Es ist bereits das zweite Buch, in dem die promovierte Kunsthistorikerin Achenbach den Fall des wegen Millionenbetrugs verurteilten Helge Achenbach, ihre Ehekrise und ihren Existenzkampf autobiografisch verarbeitet. Quelle: dpa

2018 wurde der Kunstberater vorzeitig aus der Haft entlassen und fing ganz klein neu an – auf einem leer stehenden Hof in Kaarst bei Düsseldorf, den ein befreundeter Unternehmer ihm zur Verfügung stellte. Dort gründete Achenbach den Verein „Culture without Borders“, der geflüchtete Künstler unterstützt.

Foodtruck und Toilettenwagen statt Champagner in Miami

Zehn Jahre nach der Festnahme: Gepflegter Rasen, ein Foodtruck, Biergartentische, Toilettenwagen, Hühner, ein Barfußweg – und dazwischen Kunst. Achenbach hat mit Hilfe von Freunden ein kleines Ausflugsparadies geschaffen. Seinen „Park der Sinne“ besuchen in der Woche täglich 50 bis 100 Gäste, am Wochenende sind es bis zu 500. „Wir brauchen noch Sponsoren für Bänke“, sagt er. „Wir holen gebrauchte Bänke ab und machen die neu.“ Auf dem Hof können Kindergeburtstage und Hochzeiten gefeiert werden. Achenbach hält auch Volkshochschul-Vorträge – Thema: „Helges Leben“.

Der einstige Promi-Kunstberater tritt heute bescheiden auf und nachdenklich. Immer noch hat Achenbach Millionen-Schulden. 1000 Euro netto inklusive Krankenversicherung darf er als angestellte „Kreativkraft“ im Monat verdienen. „Und Sie werden es nicht für möglich halten – es reicht mir.“

Kunst gegen Spenden

Geschäftstüchtig aber ist er geblieben – auch in Kaarst. Auf den Wiesen nahe einer Kiesgrube steht Kunst – zum Beispiel eine schwarze Stelen-Gruppe aus Bronze des afrikanischen Künstlers Jems Koko Bi, der für sein Heimatland Elfenbeinküste gerade auf der Biennale in Venedig ausstellt. Koko Bi hat ein Atelier auf dem Hof. Die Kunst kann auch gekauft werden. Achenbachs Verein bekommt dann eine Spende, der Künstler sein Geld.

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Manchmal wird Achenbach auch noch von Sammlern um Rat gefragt – gegen eine Spende für seinen Verein. Im Geschäft sei er aber nicht, betont Achenbach. „Weil ich ja kein Geschäft machen darf.“ Sein Insolvenzverfahren dauere 35 Jahre. „Das heißt für mich: Wenn ich 101 Jahre alt bin, dann bin ich wieder frei“, rechnet er vor. „Das kann man nur mit einer gewissen Entspanntheit betrachten, weil das bürgerliche Leben, das ich gelebt habe, ist eh' seit 2014 zuende.“ Achenbachs Verein ist gemeinnützig. Er benötige für den Hof ein Jahresbudget von etwa 120.000 Euro. „Wir sind immer an der Grenze. Das ist nicht einfach.“ Einige befreundete Unternehmer aus früheren Jahren unterstützen Achenbachs Künstlerhof.

Auch einige Künstler stehen noch zu ihm, etwa Gerhard Richter oder Günther Uecker. Sogar Andreas Gursky, der sich zunächst von ihm ferngehalten hatte, sei einige Male auf seinem Hof gewesen, sagte Achenbach. Auf große Veranstaltungen geht der einstige Strippenzieher nicht mehr. „Ich bin nicht daran interessiert, gesellschaftsfähig zu sein. Das brauche ich nicht.“ Den Winter verbringt Achenbach großteils auf der Kanaren-Insel Lanzarote zusammen mit Künstlern, im Sommer werkelt er auf dem Hof.

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Einer, der zu ihm gestanden hat, ist Enthüllungsjournalist Günter Wallraff, bei dem er nach der Entlassung aus dem Gefängnis als Untermieter wohnte. Wallraff habe ihm gesagt: „Helge, versuch doch mal, bescheidener zu sein.“ Das habe er sich zu Herzen genommen. „Mein Wunsch ist, dass der Verein eine Anlaufstelle für Künstler wird und ihnen eine Lebensmöglichkeit zur Entwicklung gibt. Ihnen geben wir eine neue sichere Heimat.“ Ein junger Mann aus Namibia arbeitet bei ihm – er möchte sich auf der Kunstakademie bewerben. Die aus Kiew vor dem russischen Angriffskrieg geflohene Künstlerin Yulia Balabhuka hat ein Atelier auf dem Hof.

Vom Jetset nach Kaarst

„Wenn du immer mit diesen Schönen und Reichen unterwegs bist, veränderst du dich“, sagt Achenbach. „Ich hatte damals kein Regulativ. Ich dachte, ich bin der King.“ Lastwagen voller Kunst lieferte er wie Ware an Banken, Unternehmen und Versicherungen. Hat sich sein Verhältnis zur Kunst heute geändert? „Klar. Ich bediene heute nicht mehr Spekulanten und bin auch nicht mehr heiß darauf, irgendwelche coolen Deals zu machen“, sagt Achenbach. „Ich freue mich, dass ich eigentlich da wieder gelandet bin, wo ich 1973 angefangen habe – bei nicht etablierten Künstlern, aus Freude und Liebe zur Kunst.“

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Wehmütig sei er nicht, sagt Achenbach im Rückblick auf die Zeiten, in denen er mit Künstlern, Stars und Unternehmenschefs Champagner trank und um die Welt jettete. Heute kauft Achenbach bei Aldi ein. Damit habe er kein Problem. Erst kürzlich habe er wieder einen Großeinkauf für 173 Euro für die ganze Crew getätigt. „Natürlich vermisse ich manchmal die Freiheit, die man mit Geld hat“, sagt er. „Aber im Gegenzug habe ich so viele wunderbare Dinge mit Künstlern und Freunden erfahren, dass ich einfach sehr zufrieden bin. Ich bin angekommen. Dieser Hof ist ein Glücksfall für mich.“

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