Tauchsieder Kunstmarkt für Perlentaucher

Robert Ketterer, Leiter vom Auktionshaus Ketterer Kunst, spricht bei einem Presselunch des Auktionshauses Ketterer Kunst zur Präsentation der Highlights der Jubiläumsauktion am 7. und 8. Juni 2024. Quelle: dpa Picture-Alliance

Die Sommerauktionen der vier deutschen Marktführer sind kein Fest für Spekulanten. Das Motto der Saison: Wer hat, der hat – der offeriert sparsam und kauft vorsichtig. Für Liebhaber kann die Zurückhaltung von Investoren eine Chance sein. Eine Kolumne.

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Nicht mal Caspar David Friedrich zieht. Warum auch? Das ganze Land verbeugt sich in diesem Jubiläumsjahr vor seinen Bildern, erst in Hamburg, jetzt in Berlin, man feiert den 250. Geburtstag des Malers mit Sonderausstellungen, obwohl das Allermeiste in Berlin, Hamburg, Leipzig, Dresden auch 2023 zur besichtigen war und 2025 zu bewundern sein wird: der Mönch, das Eismeer, der Watzmann, das Hünengrab – allein für die Kreidefelsen müsste man eigens nach Winterthur reisen, je nun.

Der Grund seiner Popularität? Nun, offenbar weiß Friedrich, ganz gleich, was er vor gut 200 Jahren malte, noch immer mitten hinein in die deutsche Seele zu greifen: Seine Nebelmeere und Dämmerungen, Ruinen und Gräber, Schiffswracks und Sonnenuntergänge sind immer auch grenzenlos sinnoffene Allegorien der Einsamkeit und Melancholie, Verlorenheit und Erlösungshoffnung, kurz: postreligiöse Andachtsbilder. So existenziell berührt „der spanische Barockmensch“ von der Aura einer „Maria Immaculata“ Murillos war, so angefasst ist „der postmoderne Deutsche“ heute beim Anblick von Friedrichs Greifswalder Dom im Mondschein – zumindest momentweise.

Denn natürlich, Friedrich ver(sinn)bildlicht auch die „stolze Tradition“ eines Kulturgefühls, von dem viele Intellektuelle vor 100 Jahren noch annahmen, es unterscheide ihn, den gemütstiefen Deutschen, vom Zivilisationsgeist kaufmännischer Angelsachsen. Jeder weiß, wohin dieses deutsche Sonder-Selbst-Bewusstsein geführt hat. Man kann Caspar-David-Friedrich-Bilder daher heute nicht mehr ohne Störgefühle betrachten – übrigens auch nicht, weil wir Aufgeklärte und (Post-)Moderne geübt darin sind, alle aufkeimenden Erhabenheitsgefühle mit Vernunftwissen und Ironie zu ersticken. Andererseits: Wer hat bei der gegenwärtigen Nachrichtenlage schon etwas gegen gemalte Innenrummelei und Verklärung, Paradiessehnsucht und Weltschmerzliebe einzuwenden?

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Natürlich setzen auch einige Kunsthändler in diesem Sommer auf Caspar David Friedrich, den umjubelten Jubilar; schließlich hat auch Bestsellerautor Florian Illies, vormals Co-Geschäftsführer des Berliner Auktionshauses Grisebach, dem deutschen Chefromantiker einen Buchkranz gewunden: Wann, wenn nicht jetzt, dürfen Einlieferer darauf hoffen, die Popularität Friedrichs maximal zu kapitalisieren?

Allein die Käufer spielen nicht mit – und das spricht für sie: Zu medioker ist das Angebot. Grisebach hat vor einem halben Jahr noch das spektakuläre „Karlsruher Skizzenbuch“ (1804) anbieten können, eine von nur sechs erhaltenen Entwurfssammlungen Friedrichs, in (altersgemäß) ausgezeichnetem Zustand: 20 Seiten Bleistiftzeichnungen, Wiesen, Felder, Elbboote – und mit einer Eiche, die wir aus der „Abtei am Eichwald“ kennen. Eine Preziose. Und eine einmalige  Gelegenheit, die einem Sammler gut 1,8 Millionen Euro lieb und teuer war.

Oder sagen wir besser: gewesen wäre. Denn das Geschäft ist inzwischen geplatzt. Die Berliner Behörden haben die Kladde in die Liste national wertvoller Kulturgüter („Kulturschutzgesetz“, 2016) aufgenommen - und verfügt, dass sie Deutschland erhalten bleiben müsse. Das ist für den Einlieferer (Wertminderung, Eingriff in Eigentumsrechte), das Auktionshaus (entgangene Provision), den deutschen Kunsthandel insgesamt (Standortnachteil) und natürlich den Käufer gleichermaßen problematisch - noch dazu es sich dem Vernehmen um ein großes Museum aus dem angelsächsischen Raum, nicht um einen Privatier handelte.

So oder so - diesmal zog der große Name nicht. Grisebach musste am vergangenen Donnerstag vier von fünf Friedrich-Losen zurück ins Depot beordern, darunter eine frühe, noch ganz dem 18. Jahrhundert verpflichtete, wenn auch schon leicht romantisch-verschattete Landschaft in Öl (Taxe 150.000 bis 200.000 Euro) und eine teils detailliert durchgearbeitete, teils reizlos unvollendete Sepia-Zeichnung (150.000 bis 250.000). Auch das Münchner Auktionshaus Karl&Faber bewies wenig Fortune mit einem kleinen, „Morgennebel“ betitelten Aquarell aus dem Jahr 1828: Der steinerne Bildstock im Zentrum des Motivs verleiht dem Kleinformat seinen typisch religiös-existenziellen Reiz, aber als herausragendes Beispiel Friedrich’scher Luftmalkunst taugt es sicher nicht: Das Aquarell wurde deutlich unter Schätzpreis und unter Vorbehalt für rund 150.000 Euro verkauft.

Caspar David Friedrich - Morgennebel - Böhmische Landschaft Quelle: Karl & Faber

Insgesamt deuten die Ergebnisse bei Grisebach (30./31.Mai) nicht darauf hin, dass die Sommerauktionen der vier deutschen Marktführer Ketterer (7./8. Juni), Lempertz (4./5.Juni) und van Ham (5./6. Juni) zu Sammlerfesten mit Umsatzrekorden geraten. Im Gegenteil. Die Marktlage scheint schwierig – und die Bereitschaft der Kunden begrenzt, die in den vergangenen Jahren verlässlich stabilen, oft steigenden Preise noch einmal mit einem Inflationsbonus zu überbieten.

Hinzu kommen ästhetische Deflationsrisiken: Die vielen deutschen Sammler des Expressionismus haben den Markt für all die Kirchners, Heckels, Müllers, Mackes, Noldes, Kandinskys und Schmidt-Rottluffs lange Jahre lang befeuert – dagegen ist das Interesse der Enkel nur noch begrenzt. Man schaut sich die „Brücke“ und die „Blauen Reiter“ noch im Museum an – kauft aber lieber etwas anderes.

Drittens schließlich dürfte die allgemeine Weltlage vielen Kunden und Käufern den Spaß verderben: Auch Vermögende kennen Zeiten größerer und kleinerer Spendierfreude – und dürften ihr Geld derzeit ein bisschen strenger beisammen halten. Das Motto der Saison: Wer hat, der hat. Man offeriert zurückhaltend – und kauft, wenn überhaupt, nur ausgewählt und mit Limit.

Das enttäuschende Ergebnis für Grisebach

15 von 34 Lose der Abendauktion „Ausgewählte Werke“ fanden keinen Abnehmer, darunter ein belangloses Meeresbild des 21-jährigen Max Beckmann (90.000 bis 120.000), ein gewöhnliches Nolde-Aquarell (100.000 – 150.000), ein paar langweilige „Glockenblumen“ von Kirchner (350.000 bis 450.000) und zwei feine, allerdings preislich viel zu hoch veranschlagte Werke von Werner Heldt (120.000 bis 150.000) und Karl Hofer (180.000 bis 240.000). Und der erhoffte Millionenzuschlag? Fehlanzeige. Kirchners grünblaue „Heuernte“ verkaufte sich nur unterhalb der unteren Taxe (700.000 bis 900.000), Guenther Ueckers Nagelbild aus bester „Zero“-Zeit immerhin in der Mitte der Schätzung (400.000 bis 600.000).

Für Liebhaber, die nach Perlen tauchen und vor allem aus Leidenschaft kaufen, die sich materiell quälen für ein Kunstwerk und dabei gern auch ein bisschen verausgaben, kann die Zurückhaltung von konjunkturbewussten Investoren durchaus eine Chance sein. Es gibt für sie nur ein Risiko: das eines anderen Liebhabers mit mehr Geld und Verausgabungsbereitschaft. Entsprechend groß war das Bietergefecht um Grisebachs stilles Hauptlos: das Wunder von einem Pastell aus der Hand der zeichnerischen Jahrhundertbegabung Adolph Menzel, das Max Liebermann sich mit sicherem Auge einst gesichert hatte. In dem kleinen Blatt (17 x 13 Zentimeter) verdichtet sich das Vermögen Menzels zu einem quintessenziellen Paradebeispiel seiner Kunst und Fertigkeit: fünf Farbstifte, sichere Striche, maximale Akzente mit minimalen Mitteln – wahrlich: ein Meisterwerk. Grisebach bot es für 20.000 bis 30.000 Euro an. Am Ende schlug man es einem Connaisseur für 330.000 Euro (inklusive Aufgeld) zu.

Adolph Menzel: Wallenstein's Lager. Quelle: Griesebach

Und die übrigen drei Auktionshäuser? Marktführer Ketterer aus München, der eine neue, junge „Geldkundschaft“ viel offener zu bespielen scheint als das gute, alte Berliner „Wohlstandsbürgerhaus“ Grisebach, kann seine inzwischen unangefochtene Spitzenposition in Deutschland in seinem Jubiläumsjahr (70 Jahre) abermals ausbauen – und dürfte in diesem Sommer vier- bis sechs mal mehr Umsatz erwirtschaften als die Verfolger Grisebach und Lempertz.

Alexej von Jawlensky - Spanische Tänzerin Quelle: Ketterer

Zu den Höhepunkten der 70 Lose umfassenden Jubiläumsauktion zählen Alexej von Jawlenskys „Spanische Tänzerin“ (1909), die Ketterer sehr selbstbewusst auf sieben bis zehn Millionen Euro taxiert (und irritierenderweise mit Jawlenskys ungleich ausdrucksstärkeren „Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff“ im Lenbachhaus vergleicht), Kirchners bisher ausschließlich in Schwarz-Weiß-Fotos belegter „Tanz im Varieté“  (1911, zwei bis drei Millionen Euro), aber auch zwei große Leinwände von Sean Scully, ein Riesen-Playmate von James Rosenquist (ein bis 1,5 Millionen), ein sagenhaft yvesklein-blaues Schrundenbild von Emil Schumacher (100.000 bis 150.000) und ein eher vorsichtig taxiertes, ironisch-ikonografisches Selbstporträt von Cindy Sherman (140.000 bis 180.000). 

Cindy Sherman - untitled Quelle: Ketterer

Darüber hinaus bietet Ketterer jeweils mehr als 100 Werke der Kategorien „Contemporary Art“ und „Modern Art“ an, in der Regel für 20.000 bis 80.000 Euro, sowie 70 Werke der Kategorie „19th Century Art“ – ein in seiner Breite beeindruckender Katalog mit allerdings vielen Üblichkeiten der Üblichen (Förg, Fetting, Girke, Grosse, Lassnig…), gerade modischen Klassikern (Hagemeister) und nur sehr gelegentlichen künstlerischen Spitzen (etwa Hermann Stenner und Josef Scharl).

Lempertz aus Köln baut seine Abendauktion rund um drei Spitzenlose der Klassischen Moderne auf – vorneweg ein paar farbfrische Dahlien von Nolde (Schätzpreis 700.000 Euro). Interessanter ist da schon die doppelseitig bemalte Leinwand von Hermann Max Pechstein (1917), auch wenn man sich fragt, welche woken Erben heute noch etwas für schlingend-expressive Männerblicke auf „Palau-Mädchen“ übrig haben könnten (600.000 bis 800.000) – und vor allem Heinrich Campendonks „Liegender Akt“ aus dem Jahr 1918 (700.000 bis 800.000): Es ist, als wollte Campendonk die vielen männlich zugerichteten „Liegenden“ und „Badenden“ seiner Zeitgenossen künstlerisch konterkarieren – ein museumsreifes Juwel.



Die beiden schönsten (Selbstzitate) Günther Ueckers gibt es in diesem Sommer fraglos bei van Ham. Eine kreisrunde, nach innen verdichtete Spirale (1998), die eine ungeheure dynamische Schwerkraft ausstrahlt (700.000 bis eine Million) und „Weißer Wind“, der durch Ueckers Nägel wie durch ein ährenbewegtes Feld zu streichen scheint (300.000 bis 500.000). Allerdings dürfte hier, auch bei Günther Förgs Acrylmalerei auf Blei (100.000 bis 150.000), sogar bei Gerhard Richters quintessenziellem kleinem Grau-Bild aus dem Jahr 1973 (200.000 bis 300.000), inzwischen gelten: Das ist nichts mehr für Investoren und Spekulanten, die auf steigende Preise wetten – das ist was für Liebhaber, die diese Kunst wirklich wollen. Für einen garantierten Wiederverkauf ist der Umschlag von anderen Ueckers und Förgs derzeit einfach zu groß – während die Nachfrage (für garantiert hohe Preise) in den nächsten 20 Jahren recht absehbar eher abnimmt.

Ein Kunstmarkt für Perlentaucher also. Für Liebhaber, die sich auch mal verausgaben, um ihre eigenen vier Wände zu verzieren. Für Sammler, die bemalte Leinwände und gezeichnete Blätter schmerzgrenzüberschreitend teuer einkaufen, aufhängen, bewundern - die nicht geschäftig auf sie wetten, mit ihnen spekulieren und jonglieren, um die immer gleichen Namen im Markt zirkulieren zu lassen, wieder und wieder, um die Preise höher und höher zu schrauben…

Georg Friedrich Kersting: Ausblick aufs Meer Quelle: Griesebach

Zum Beispiel ein Blatt von Georg Friedrich Kersting aus dem Jahre 1809/10, das Grisebach anbot: eine aquarellierte Bleistiftzeichnung, die die Rückansicht eines behüteten Mannes auf einer mittelgebirgigen Felsspitze zeigt; einen Wanderer, der den Blick in die Ferne richtet, wo sich merkwürdigerweise kein Nebelmeer, sondern ein Küstenmeer zeigt, aber sei’s drum: Mehr Caspar David Friedrich aus der Hand eines Malers, der nicht Caspar David Friedrich heißt, geht nicht.

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Und siehe, der Wanderer soll Friedrich selbst sein; seine Freundschaft mit Kersting ist bezeugt, und Kersting hat Friedrich tatsächlich das ein oder andere Mal gezeichnet, gemalt, ihn aber wohl nirgends sonst so perfekt in eine der zentralen Bildideen des Freundes platziert – zehn Jahre bevor Friedrich dieser seiner Bildidee im „Wanderer über dem Nebelmeer“ Gestalt verlieh. Ein solches Blatt kauft man nicht für 190.000 Euro (inklusive Aufgeld), um es schnellschnell wieder zu verkaufen – sondern um sich womöglich sein Lebtag an seiner Geschichte (und an der Zeichnung selbst) zu erfreuen. Schließlich fängt der Schätz-Wert von Kunst exakt da an, wo ihr Mehr-Wert aufhört. 

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