Geplatzter Tennet-Kauf „Ich hätte mir von Lindner mehr Weitsicht gewünscht“

Kommt der Aufbau der deutschen Stromautobahnen jetzt genau so schnell voran wie geplant? Quelle: AP

Woran ist der von der Ampel betriebene Kauf der deutschen Netze des Übertragungsnetzbetreibers Tennet gescheitert? Am knappen Haushalt jedenfalls kaum, sagt der grüne Haushaltspolitiker Felix Banaszak.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Es war ein Kernprojekt des Wirtschafts- und Klimaministers Robert Habecks (Grüne): Der Bund sollte der niederländischen Regierung die deutschen Netze des Übertragungsnetzbetreibers Tennet abkaufen. Vor wenigen Tagen vermeldete Tennet das Scheitern der Verhandlungen, der Grund: „Haushaltsprobleme“ der Deutschen. Nun will der Bund zumindest eine Sperrminorität erwerben. Ab weshalb ist der Deal genau geplatzt? Als Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestags und Berichterstatter seiner Partei für Energiewirtschaft im Wirtschaftsausschuss des Parlaments hat sich der Duisburger Abgeordnete Felix Banaszak (Grüne) mit den Details befasst. Hier spricht er über die Rolle des Finanzministers, die Folgen für die Energiewende – und einen möglichen Umstieg auf Freilandleitungen bei Stromautobahnen.

WirtschaftsWoche: Herr Banaszak, die Ampel hat die deutschen Netze des Übertragungsnetzbetreibers Tennet nicht gekauft, weil im Haushalt angeblich nicht genug Geld dafür da war – geschätzt 20 bis 25 Milliarden Euro. Was sagen Sie als grüner Haushaltspolitiker dazu: Stimmt das?
Felix Banaszak: Ich hätte mir gewünscht, dass dieser Kauf zustande kommt. Für die Energiewende und für den Netzausbau ist die Absage eine schlechte Nachricht, die Unsicherheit über den weiteren Verlauf schürt. Die haushälterische Begründung kann ich nicht nachvollziehen. Bei einer Entscheidung dieser Tragweite hätte ich mir von Finanzminister Lindner mehr Flexibilität und Weitsicht gewünscht.

Bindet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds dem Finanzminister nicht die Hände?
Was hätte ein Erwerb des deutschen Tennet-Netzes für den Haushalt bedeutet? Die Bundesregierung und die niederländische Regierung, der Verkäufer, haben über den Kaufpreis Stillschweigen vereinbart. 20 bis 25 Milliarden Euro dürften keine vollkommen falsche Schätzung sein. Im Haushalt wäre diese Summe aber gar nicht angefallen, weil der Kauf über die Förderbank KfW als Zuweisungsgeschäft abgewickelt worden wäre. Damit wäre dieser Erwerb als finanzielle Transaktion auch schuldenbremsenneutral gewesen. Das Einzige, was im Haushalt aufgetaucht wäre, wären die Finanzierungskosten gewesen.

Quelle: imago images

Zur Person

Die Zinsen.
Genau. Und das wäre sehr viel weniger gewesen, vermutlich maximal ein kleiner einstelliger Milliardenbetrag. Das ist eine Summe, die man gut hätte abbilden können - auch während laufender Haushaltsverhandlungen. Dem hätte ein enormer energie- und wirtschaftspolitischer Gewinn gegenübergestanden, der aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren sogar noch Zuflüsse in den Haushalt mit sich gebracht hätte. Eine Regierung ist auch handlungsfähig, wenn der Haushalt für das nächste Jahr noch nicht steht. Es werden regelmäßig politische Verabredungen getroffen, die Haushaltsverbindlichkeiten mit sich bringen, oftmals mit wesentlich höheren Summen. Es gab im vergangenen Jahr kostenintensive Vereinbarungen zu einem Strompreispaket - da stand der Haushalt auch noch nicht.

Aber bei dem Strompreispaket ist doch genau das Geld, was für die Entlastung der Netzentgelte eigentlich versprochen war, nicht gekommen, weil Karlsruhe den KTF gekippt hat.
Mir geht es bei dem Vergleich um die Haushaltstechnik. Die politische Einigung in der Bundesregierung über ein Strompreispaket wäre ohne das Urteil des Verfassungsgerichts hinterher im Haushaltsgesetz nachvollzogen worden. Wenn der Bundeskanzler, der Bundesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister sich auf so etwas verständigen, tun sie das ja nicht, ohne einen Blick in den Haushalt geworfen zu haben. Wenn alle drei das Tennet-Netz hätten kaufen wollen, hätte man sich auch darauf verständigt.

Wenn ich Sie richtig verstehe, unterstellen Sie, dass der Bundesfinanzminister dieses Vorhaben mit einem vorgeschobenen Argument gekippt hat und damit einem zentralen Projekt der grünen Energiewende geschadet hat.
Ich unterstelle nichts. Aber ich muss zur Kenntnis nehmen, dass ich auf meine ausdrückliche Frage, ob es neben den haushälterischen auch andere Abwägungsgründe gab – zum Beispiel ordnungspolitische – keine Antwort bekommen habe. Auch kein Nein.

Sie beziehen sich auf eine Sitzung des Haushaltsausschusses des Bundestags in der vergangenen Woche, in der es um den Hergang und die Erklärung dieses geplatzten Deals ging.
Ja. In dieser Sitzung des Haushaltsausschusses haben Vertreter sowohl des Wirtschafts- und Klimaministeriums als auch des Finanzministeriums sowie des Kanzleramts eine gemeinsame Position der Bundesregierung dargestellt und auch viele Fragen für mich nachvollziehbar beantworten können. Meine Frage nach möglichen weiteren Gründen ist leider trotz mehrfacher Nachfrage unbeantwortet geblieben. Ich habe deswegen vermerkt, dass ich mir dann wohl selbst einen Reim darauf machen soll.

Und Sie reimen, dass die FDP dieses Projekt aus ordnungspolitischen Gründen gekippt hat?
Ich muss ja zur Kenntnis nehmen, dass unser Koalitionspartner einem hundertprozentigen Ankauf dieses Netzes auch sehr grundsätzliche Bedenken entgegengebracht hat. Eine Minderheitsbeteiligung mit Sperrminorität anzustreben, ist jetzt zwar richtig, aber nur die zweitbeste Option. Es wäre klug gewesen, zuerst 100 Prozent zu übernehmen - und dann im Anschluss einen Großteil etwa an Infrastrukturfonds weiter zu verkaufen. Jetzt muss Deutschland darauf hoffen, dass die niederländische Regierung weiterhin ein Interesse daran hat, sich mit uns zu einigen.

Das kann sich ziehen.
Die Verhandlungen waren weit fortgeschritten und sind in letzter Minute geplatzt. Wenn man jetzt über einen anderen Gegenstand verhandelt, werden Diskussionen über die Konditionen neu beginnen. Und man führt diese Verhandlungen mit einer Regierung, die man noch nicht kennt. Das wird sicher nicht leichter. Welchen Vorteil es haben soll, dass statt der deutschen die niederländische Regierung über die Entwicklung des deutschen Netzes entscheidet, erschließt sich mir nicht. Deshalb: Mit der Absage an den Kauf ist erst einmal ein Schaden entstanden. Jetzt geht es darum, diesen Schaden abzuwenden oder zumindest einzudämmen.

Was erwarten Sie jetzt von Finanzminister Lindner?
Ich erwarte, dass bei Verhandlungen über eine solche Minderheitsbeteiligung alle Koalitionspartner an einem Strang ziehen. Es darf nicht dazu kommen, dass Gründe gesucht oder gefunden werden, diesen Schritt nicht zu gehen. Denn auch wenn man 25 Prozent eines Netzes erwirbt, entstehen Kosten.

Sie sprechen von Gemeinsamkeit innerhalb der Bundesregierung. Jetzt ist von dieser Gemeinsamkeit nicht nur beim Beispiel Tennet nicht allzu viel zu sehen. Die FDP hat auch den von Ihnen geforderten Resilienzbonus für die Solarindustrie scheitern lassen.
Man muss bei aller Kontroverse in einigen Punkten sehen, wie viel diese Koalition gemeinsam entschieden hat. Die Ampel hat mit den Stimmen aller drei Partner die Energiewende vom Kopf auf die Füße gestellt und die Blockaden aus der Zeit der Großen Koalition gelöst. Gleichzeitig bleibt es so, dass die FDP mit einem anderen ordnungspolitischen Blick auf viele Fragen blickt. Als Grüne hätten wir es für notwendig gehalten, die deutsche Solarindustrie – und zwar in allen Teilen der Wertschöpfungskette — zu unterstützen. Es kann nicht unser Interesse sein, dass wir uns bei der Energiewende zu großen Teilen von China abhängig machen. Resilienz hat natürlich einen Preis - auch im Haushalt. Keine Resilienz hat aber auch einen Preis, und der wird noch wesentlich größer sein. Wir haben an dieser Stelle eine Chance vertan. Als Gesellschaft hätten wir davon profitiert, wenn die FDP über ihren Schatten gesprungen wäre.

Vollfinanzierung Immobilie kaufen ohne Eigenkapital? So geht's

Ein Leser möchte gerne eine Immobilie kaufen – doch ihm fehlen die Rücklagen dafür. Kann der Kauf dank einer Vollfinanzierung trotzdem klappen?

Immobilie als Geldanlage 5 Faktoren, die den Wert Ihres Hauses steigern

Eigentümer schätzen den Wert ihrer Immobilie oft falsch ein und was den Wert steigert, wird in der Praxis zu wenig beachtet. Diese fünf Eigenschaften zahlen sich bei einer Immobilie wirklich aus.

Künstliche Intelligenz Dieser Shopbetreiber macht eine Million Euro Umsatz – mit ChatGPT als einzigem Mitarbeiter

Viele Mittelständler hadern noch mit dem Einsatz generativer KI. Dabei zeigen Praxisbeispiele wie das von Niko Dieckhoff, wie sich ChatGPT effizient einsetzen lässt – und dabei wenig kostet.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Die Diskussion über die Kosten des Netzausbaus geht jetzt weiter – und macht sich an der Frage fest, ob ein Umstieg von erdverkabelten Leitungen auf Freileitungen nicht zwingend, weil günstiger wäre. Nicht nur Tennet, sondern auch Transnet BW sagen, das könnte deutlich billiger werden. Was meinen Sie?
Für uns sind zwei Dinge wichtig: Es braucht eine Verständigung der Länder, damit wir Planungssicherheit haben. Und: Der Netzausbau darf sich nicht weiter verzögern. Das muss das oberste Ziel sein. Als Haushälter habe ich natürlich auch ein Interesse daran, die Kosten zu senken. Aber man muss das mit möglichen Verzögerungen abwägen. Deshalb wäre eine Variante: Die Abschnitte, die bereits genehmigt sind, müssen möglichst schnell gebaut werden. Und bei jenen, bei denen Genehmigungen noch ausstehen, kann man prüfen: Lassen sich die Kosten durch Freileitungen senken? Und wenn ja, geht das in der Umsetzung mindestens genauso schnell wie bei erdverkabelten Leitungen? Dieses Dilemma hätten wir uns ersparen können, wenn die Grundsatzentscheidung schon vor Jahren für Überlandleitungen ausgefallen wäre.

Lesen Sie auch: „Wir brauchen 14.000 Kilometer neuer Hochspannungsleitungen“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%