Stromnetz-Ausbau „Wir brauchen 14.000 Kilometer neuer Hochspannungsleitungen“

Quelle: imago images

Hoffnung für die Energiewende: Der Ausbau der Erneuerbaren und der Bau neuer Stromtrassen dürfte schneller vorangehen. Regierungsberaterin Anke Weidlich erklärt, warum der Industriestrompreis keine gute Idee ist.

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WirtschaftsWoche: Das Stromnetz passt immer weniger auf unsere Bedürfnisse. Strom wird im windreichen Norden produziert und muss in den Süden. Die Erneuerbaren liefern, egal ob gerade viel oder wenig gebraucht wird. Was ist aus Ihrer Sicht die größte Schwäche an diesem Netz?
Anke Weidlich: Wir sehen, dass die Netzbetreiber zunehmend abregeln und umregeln müssen, damit das Netz nicht überlastet wird. Die Kapazitäten reichen also nicht immer aus, um den Strom dorthin zu bekommen, wo er benötigt wird. Grade im letzten Jahr war das mehrere Milliarden Euro teuer. Mit viel günstiger erneuerbarer Energie vor allem aus dem Norden und einem hohen Strombedarf im Süden ist klar, dass die Netze noch deutlich ausgebaut werden müssen.

Das ist ja vorgesehen. Warum geht es so langsam und nicht immer dort wo nötig?
Wir brauchen ungefähr 14.000 Kilometer neuer Hoch- und Höchstspannungsleitungen. Das sind die Stromautobahnen. Davon ist nur ein kleiner Teil schon genehmigt oder im Bau, aber es wird erwartet, dass dies nun deutlich schneller vorangeht. Das wird die Situation verbessern. Man kann auch die Auslastung insgesamt verbessern. Da muss man dann auf die Verteilnetze schauen...

... das sind die Leitungen auf den letzten Kilometern zu den Verbrauchern.
Genau. Die werden künftig mehr beansprucht, weil wir Wärmepumpen und Solaranlagen auf dem Dach installieren oder Autos aufladen wollen. Es lohnt, all diese Anlagen flexibler einzusetzen. Wärmepumpen also zum Beispiel nicht laufen zu lassen, wenn grade am meisten Strom nachgefragt wird. Dann muss das Netz nicht ganz so stark ausgebaut werden. Die Smart Meter, die intelligenten Stromzähler, sind dafür die Grundlage. Damit wird es Tarife geben, die Anreize setzen, dass Strom häufiger dann nachgefragt wird, wenn er grade billig ist.

Prof. Dr. Anke Weidlich ist Inhaberin des Lehrstuhls für Technologien der Energieverteilung am Institut für Nachhaltige Technische Systeme (INATECH) der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Quelle: PR

Zur Person

Davon wird schon lange gesprochen und es hat sich wenig verändert. Worauf bauen Sie?
Alle Netzbetreiber müssen spätestens 2025 loslegen, solche Stromzähler einzubauen. Dann gibt es endlich die Voraussetzung, dass sich diese flexible Nutzung lohnt. Inzwischen wird sogar diskutiert, auch die Netzentgelte dynamisch abzurechnen. Das ist der Preis für die Nutzung des Netzes. Das würde bedeuten, dass je nach Last in den Leitungen die Gebühren für die Nutzung schwanken. Beides zusammen kann starke Anreize setzen.

Das Netz soll den Strom dorthin bringen, wo er gebraucht wird. Speicher können helfen, ihn dann verfügbar zu machen, wenn er gebraucht wird. Was braucht es in Deutschland?
Netze auszubauen ist immer die günstigere Maßnahme, damit vorhandener Strom günstig dort hinkommt, wo er benötigt wird, bis hin zu einem europaweiten Austausch. Ebenfalls wichtig ist es, den Verbrauch flexibler zu machen, das schafft quasi indirekte Speichermöglichkeiten. E-Autos können zum Beispiel nachts geladen werden. Das hat Potenzial und wird teilweise schon mit unterschiedlichen Tarifen an Ladesäulen umgesetzt. Ein Solar-Batteriesystem zu Hause kann auch gut genutzt werden, um den eigenen Sonnenstrom zu nutzen und zu speichern, wenn er gerade anfällt. Das sind Speicher, die wir jetzt schon gut nutzen können.

Die Kombination aus Fotovoltaik, Wärmepumpen und E-Autos wird viele Verteilnetze überfordern. Es sind vor allem Versäumnisse in der Digitalisierung, die das Problem auslösen – andere Länder sind längst weiter.
von Stefan Hajek, Thomas Kuhn

Wir beziehen auch Strom von den Nachbarn, Atomstrom aus Frankreich oder Kohlestrom aus Polen. Sind wir unverhältnismäßige Nutznießer davon, weil wir aus Atom und Kohle aussteigen und deshalb viel Strom importieren?
Nein. Ich sehe ganz klar einen gegenseitigen Nutzen. Es ist auch ein europäisches Ziel, die Übertragungsnetze zwischen den Staaten stark auszubauen. Alle profitieren davon. Wir sind manchmal Exporteure von Strom, manchmal importieren wir. Frankreich hatte letztes Jahr große Probleme mit den Kernkraftwerken. Da hat Deutschland viel Strom aus Gas erzeugt und exportiert. An einem windarmen Tag importiert Deutschland  natürlich Strom. Das ist effizienter als eigene Reservekraftwerke anzuwerfen.

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Nun könnte demnächst ein subventionierter Preis den Strom für die Industrie verbilligen, damit sie im internationalen Wettbewerb bestehen kann. Behindern solche Schritte den nötigen Umbau des Stromnetzes?
So ein Schritt hemmt auf jeden Fall alle Bestrebungen, Energie effizienter zu nutzen, daher sollte man Verbilligungen nicht nach dem Gießkannenprinzip gewähren. Strom sollte aber insgesamt günstiger werden, um die Elektrifizierung in allen Bereichen zu fördern. Stellschrauben dafür gibt es unter anderem bei der Stromsteuer und den Netzentgelten. Die EU will außerdem ermöglichen, dass Verbraucher oder auch bestimmte Gruppen wie die Industrie direkter langfristig günstige Energie aus geförderten Erneuerbaren beziehen können.

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