Handelskonflikt mit China Scholz scheitert in Brüssel: Warum der Kanzler die Zölle auf E-Autos nicht verhindern konnte

Der Autofrachter BYD Explorer No. 1 Quelle: Lars Penning/dpa

Die EU-Kommission verhängt Strafzölle auf E-Autos aus China. Das trifft auch die deutschen Autobauer. Sie hoffen, dass Brüssel und Peking noch eine Lösung finden, auch mithilfe von Scholz. Doch das ist wenig wahrscheinlich. 

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Noch wird in Zwickau im Dreischichtbetrieb produziert: E-Autos für Volkswagen, Audi und Cupra, Luxuskarosserien für Bentley und Lamborghini, fast 10.000 Mitarbeiter sind in dem Werk von Volkswagen beschäftigt – doch Ende 2025 könnten rund 1000 Jobs wegfallen. VW wird befristete Verträge wohl nicht verlängern, im August will der Konzern dazu eine Entscheidung treffen. Schon vorher soll die Nachtschicht gestrichen und nur noch im Zweischichtbetrieb gearbeitet werden. Grund ist die schleppende Nachfrage nach E-Autos.

Das ist nicht nur eine bittere Nachricht für den Standort in Sachsen, sondern sie steht beispielhaft für die enorme Herausforderung des Autolands Deutschland. Seit Ende 2020 war das Werk in Zwickau zum reinen E-Mobilitätsstandort umgebaut geworden und sollte das größte Kompetenzzentrum für Elektrofahrzeuge in Europa sein. Nun ist klar, dass die Zukunft des Werks anders aussehen wird als gedacht.

Mit Milliardensubventionen zum Weltmarktführer 

Während in Deutschland Werke heruntergefahren werden, die für eine prosperierende Zukunft der Branche stehen sollten, will China seine Elektroautoindustrie mit Milliardensubventionen zum Weltmarktführer pushen – und genau das will sich die EU-Kommission nicht länger gefallen lassen.

von Max Haerder, Sonja Álvarez, Daniel Goffart, Leonard Frick, Bert Losse

Am Donnerstag hat sie Strafzölle auf E-Autos aus China verhängt in einer Höhe von bis zu 38 Prozent. Dabei hatte Olaf Scholz (SPD) sogar gehofft, dass sich die Strafzölle ganz verhindern lassen – und zwar mit einer Idee, die am Ende offensichtlich niemanden in den entscheidenden Stellen der Kommission überzeugt hat.

Unter dem Druck der drohenden Zölle könnten sich die Chinesen womöglich darauf einlassen, ihre Zölle runterzusetzen, so die Hoffnung des Kanzlers. Derzeit verlangt China 15 Prozent für die Einfuhr von Autos aus Europa, die EU setzt für Importe aus China nur zehn Prozent an.

Scholz fürchtet sich offensichtlich vor den Gegenreaktionen aus Peking. Und tatsächlich hat China bereits mit Zöllen auf großmotorige Verbrenner gedroht, was vor allem die margenreichen Luxusmodelle deutscher Hersteller treffen würde. 

Die deutsche Autoindustrie hat viel zu verlieren 

In den vergangenen zehn Jahren haben BMW, Volkswagen mit Audi und Mercedes-Benz 19,2 Millionen Autos in China verkauft, was 30 bis 40 Prozent des weltweiten Absatzes jedes dieser Automobilhersteller ausmacht, wie Daten von Schmidt Automotive Research zeigen.

von Annina Reimann, Daniel Goffart, Sonja Álvarez

Doch mit der Idee des gemeinsamen Zoll-Abrüstens ist Scholz in Brüssel auf bemerkenswerte Weise gescheitert. Solche Vorschläge seien für die Verhandlungen mit den Chinesen nicht einmal in Betracht gezogen, heißt es aus Kreisen der Kommission. Der Kanzler des Autolands Deutschland hat in Brüssel offensichtlich nicht den Einfluss, den er für sich in dieser Sache in Anspruch nimmt.

Peking sieht das Problem nicht   

Bereits am 12. Juni hatte die EU-Kommission die Zölle auf E-Autos aus China angekündigt. Daraufhin gab es in den vergangenen zwei Wochen zwar Gespräche mit den Chinesen, aber ohne entscheidend voranzukommen. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hätte kürzlich versucht, während seiner Chinareise zu vermitteln

Am Donnerstag verkündete die Kommission deshalb, dass sie die Zölle in Kraft setzt – zunächst nur vorläufig, aber es ist kaum vorstellbar, wie Brüssel bis November überhaupt zu einer Einigung mit Peking kommen will.

Denn im Gegensatz zu Scholz geht es Brüssel gar nicht um die höheren Zölle, die China verlangt – sondern um die Milliardensubventionen, mit denen Peking die Volksrepublik zur führenden Autonation der Welt machen will. Laut Kommission subventionieren die Chinesen die gesamte Lieferkette: vom Abbau des Lithiums-Vorkommens, über die Finanzierung und Produktion von E-Autos und Batterien bis hin zur Verschiffung der Fahrzeuge nach Europa. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft taxiert die Subventionen auf 200 Milliarden Euro.



Peking streitet bisher jedoch ab, dass es diese Subventionen überhaupt gibt oder sie auch nur ansatzweise wettbewerbsverzerrend wirken könnten – was keine gute Voraussetzung für Brüssels Taktik ist. Denn in einem ersten Schritt soll mit China Einvernehmen dazu hergestellt werden, dass es wettbewerbsverzerrende Subventionen gibt. Erst dann könne in einem zweiten Schritt über Lösungen verhandelt werden – die dann jedoch die gleiche Wirkung wie die Zölle haben müssten.

Kommission korrigiert die Zollhöhe 

Bei der Höhe selbst hat die EU-Kommission in den vergangenen zwei Wochen noch einmal eine Korrektur vorgenommen – und zwar zugunsten der Autohersteller, wenn auch teils minimal: So wird auf Importe von Geely jetzt ein Zoll in Höhe von 19,9 Prozent statt 20 Prozent fällig. Für den VW-Partner Saic sind es 37,6 Prozent statt 38,1 Prozent. Der chinesische Marktführer BYD wird mit 17,4 Prozent so hoch taxiert wie bereits im Juni. Andere Unternehmen, die in die Stichprobe eingezogen wurden und kooperiert haben, werden nun mit einem Zollsatz von 20,8 statt 21 Prozent belegt, sogenannte „nichtkooperierende Unternehmen“ in der gleichen Höhe wie Saic: 37,6 Prozent statt 38,1 Prozent.



Die Korrekturen sollen aber kein politisches Zugeständnis an die Chinesen sein, sondern offenbar sind bei der Prüfung einige Benchmarks falsch bewertet worden, die nun neu berücksichtigt worden sind. Die Details hat die Kommission am Donnerstag in ihrer Verordnung zur Einführung der vorläufigen Ausgleichszölle veröffentlicht – mit 208 Seiten eine, wenn nicht sogar die längste Maßnahmenverordnung, die zum Handelsschutz von Brüssel bisher jemals veröffentlicht worden ist.

Mitte September 2023 hatte sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur „Lage der Union“ so scharf gegen Pekings Industriepolitik gewandt wie wohl nie zuvor. „Die Weltmärkte werden mit billigeren chinesischen Elektroautos überschwemmt“, kritisierte von der Leyen. „Der Preis dieser Autos wird durch riesige staatliche Subventionen künstlich gedrückt. Das verzerrt unseren Markt.“ Gegen solch „unfaire Praktiken“ werde sich Brüssel nun mit einer Antisubventionsuntersuchung gegen E-Autos aus China wehren. Mehr als 100 Unternehmen hatten die Kommissionsvertreter seit dem Start der Untersuchung besucht und auf ihre Praktiken hin überprüft.   

Gegen China ermitteln und dann einen Freispruch erteilen? Das wäre ein Gesichtsverlust, den sich die Kommissionspräsidentin zum Start ihrer zweiten Amtszeit wohl kaum leisten will. Das dürfte eigentlich auch Scholz gewusst haben, als er seine Idee vom Runterschrauben der Zölle vorbrachte.  

„Das macht letztlich alles nur teurer“  

In seiner Rede zum 125-jährigen Bestehen von Opel in Rüsselsheim warnte der Kanzler vor den Folgen. Er habe in diesen Tagen „oft den Eindruck, dass manche die Idee vom freien Wettbewerb und freien Märkten für überholt halten“, sagte er. Protektionismus, Abschottung und regelwidrige Zollschranken, „das macht letztlich alles nur teurer und uns alle zusammen nur ärmer.“

Scholz hat die deutsche Autoindustrie dabei auf seiner Seite. Im Gegensatz zu von der Leyen sieht sie sich offensichtlich nicht bedroht von einer „Schwemme“ aus China, sondern gerade, weil die Nachfrage in der Heimat noch schleppend verläuft, ist der chinesische Markt für sie umso wichtiger.

Industrie warnt vor Risiko von Handelskonflikten 

Die Zölle für E-Pkw aus China „sind nicht geeignet, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie zu stärken“, warnt Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA). Jede protektionistische Maßnahme – dazu zählten zusätzliche Zölle genauso „wie ungerechtfertigte und marktverzerrende Subventionen“ – schränkten freien Handel ein und würden das Risiko von Handelskonflikten bergen, „die sich letztlich zum Nachteil aller Seiten auswirken“, kritisiert Müller.

Zwar würden die Ergebnisse der Anti-Subventionsuntersuchung zeigen, dass das Ausmaß und die Art und Weise von staatlicher Unterstützung in China „eine Herausforderung“ sind. „Doch der potenzielle Schaden, der von den jetzt vorläufig angesetzten Ausgleichszöllen ausgehen könnte, ist voraussichtlich höher als der mögliche Nutzen einer zunehmenden Marktabschottung für die europäische – und insbesondere die deutsche – Automobilindustrie“, erklärt Müller.

Deutsche müssen mehr zahlen als Chinesen 

Zumal die deutsche Autoindustrie selbst von den Zöllen auf E-Autos aus China betroffen sein wird, da sie dort einige Modelle für den europäischen Markt produziert. Dazu zählen etwa der Smart von Mercedes, der iX3 und der Mini von BMW und künftig der Cupra von VW – und sie müssen nun teils höhere Zölle zahlen als die chinesischen Hersteller selbst.

Was dabei besonders absurd wirkt: Europäische Hersteller, die noch keine E-Autos in China produzieren und von dort importieren, dies aber künftig tun wollen, wurden unter der Kategorie „nicht kooperierende“ Unternehmen erfasst und deshalb mit dem höchsten Zollsatz belegt. Ein Vorgehen, das die Branche nicht nachvollziehen kann – schließlich will die Kommission mit ihrer Verordnung ja eigentlich dafür sorgen, dass die europäische Autoindustrie wettbewerbsfähiger wird.

Denkbar ist deshalb, dass sich die Kommission solche Fälle noch einmal ansehen wird. Auch Tesla hat bereits eine individuelle Prüfung beantragt. Die Entscheidung über den Zollsatz für die Modelle des US-Herstellers, die in China produziert und dann nach Europa geschifft werden, soll wohl erst mit der endgültigen Entscheidung über die Zölle im November kommen.



Bis zur endgültigen Entscheidung müssen alle Hersteller die Zollbeträge im Rahmen einer Banksicherheit hinterlegen. Für die Umsetzung und Kontrolle sind jeweils die einzelnen Mitgliedstaaten mit ihren Zollbehörden zuständig. Sowohl deutsche als auch chinesische Hersteller wollten sich bisher nicht dazu äußern, ob sie solche Sicherheiten bereits vorbereitet haben.   

Gefährden die Zölle das Erreichen der Klimaziele?

Die Sorge, dass sie mit den Strafzöllen nicht nur die europäischen Hersteller ausbremst, sondern auch das Erreichen der Klimaziele gefährdet, wenn die E-Autos jetzt womöglich teurer und deshalb noch schleppender nachgefragt werden, kann die Kommission offenbar nicht nachvollziehen.

12,9 Millionen Menschen sind laut EU-Kommission direkt und indirekt in der Automobilindustrie beschäftigt, das ist ein Anteil von sieben Prozent an der Gesamtbeschäftigung in der EU. Diesem Wirtschaftszweig drohe durch die subventionierten E-Autos aus China eine „bedeutende Schädigung“, die „eindeutig vorhersehbar“ ist und „unmittelbar bevorsteht“, warnt die Kommission. Sie geht zudem davon aus, dass die chinesischen Hersteller die Zollbeträge nicht in voller Höhe an die Käuferinnen und Käufer weitergeben.

EU-Markt ist so offen wie kein anderer 

Tatsächlich ist der europäische Markt für die Chinesen nicht nur wegen der vergleichsweise hohen Kaufkraft attraktiv, sondern er gehört auch zu den offensten Märkten. Länder wie die Türkei, Brasilien und Indien erheben bereits Zusatzzölle und Einfuhrsteuern auf E-Autos zwischen 40 und 70 Prozent. 

Die Amerikaner machen ihren Markt jetzt quasi ganz dicht. Bisher werden in den USA Zölle in Höhe von 27,5 Prozent auf E-Autos aus China fällig, ab August werden es 102,5 Prozent sein, kündigte US-Präsident Joe Biden vor wenigen Wochen an – eine Ansage an China, vor allem aber eine Botschaft an die sogenannten Rust-Belt-Staaten Pennsylvania, Michigan und Wisconsin, wo die nächsten US-Präsidentschaftswahl entschieden werden und starke Gewerkschaften protektionistische Maßnahmen eher befürworten.

In der EU wird sich nun in den nächsten Monaten zeigen, wie verhandlungsbereit China ist. Die EU-Staaten selbst können die Zölle dann nur stoppen, wenn sich eine sogenannte qualifizierte Mehrheit gegen den Vorschlag ausspricht – das bedeutet: mindestens 15 EU-Staaten, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen, müssten gegen den Vorschlag stimmen. 

Haxen gegen Hightech 

Scholz dürfte sich nun also bemühen, möglichst viele Mistreiter auf seine Seite zu holen – Frankreich dürfte allerdings nicht dazu gehören. Präsident Emmanuel Macron gilt als entscheidender Treiber der Subventionsuntersuchung. Mehr Glück könnte er beim spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez haben. Spanien ist einer der größten europäische Exporteure von Schweinefleisch, China hatte als Reaktion auf die Autozölle bereits mit höheren Zöllen auf die Haxen gedroht.   

Scholz machte bei seinem Besuch in Rüsselsheim bereits klar, wofür er in Brüssel wohl stimmen dürfte. „Wenn ich dynamische deutsche Unternehmen wie Opel sehe, dann bin ich überzeugt: Sie werden in einem fairen Wettbewerb bestehen, auch gegen neue Konkurrenten zum Beispiel aus China“, sagte er. Genau das sei doch in der Vergangenheit auch gelungen, als neue Wettbewerber aus Japan und Korea bei uns auf den Markt gekommen sind. „Wir verschließen unsere Märkte nicht gegenüber ausländischen Unternehmen. Denn das wollen wir umgekehrt für unsere Unternehmen auch nicht“, betonte Scholz. Die deutsche Automobilindustrie sei ja schließlich auch China „sehr aktiv und wahrscheinlich auch in Zukunft wirtschaftlich erfolgreich.“  

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Wie erfolgreich, hängt allerdings nicht nur vom Ausgang des Zollstreits ab, sondern vor allem von der Innovationsfähigkeit der europäischen Hersteller – die Chinesen arbeiten inzwischen nicht nur am Band im Dreischichtbetrieb, sondern auch in ihren Forschungsabteilungen.  

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