Autobauer Ärger um die Autozölle: Wie der Kanzler sie noch stoppen will

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, l.) lässt sich zum 125-jährigen Opel-Jubiläum einen elektrischem Antrieb erklären. Chinas Autobauer machen den europäischen Herstellern zunehmend Konkurrenz. Mit Strafzöllen will die EU-Kommission für mehr Wettbewerbsgleichheit sorgen, doch Scholz will sie in letzter Minute abwenden.  Quelle: Andreas Arnold/dpa

Lassen sich die Strafzölle gegen E-Autos aus China noch verhindern? Beim G7-Gipfel lotet die Bundesregierung ein Abwenden aus – und setzt auf eine bemerkenswerte Strategie. Zwei Minister sollen dafür in China werben.  

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Der Kanzler ist Autofan. Er sei ein „begeisterter Fahrer“, nutze jede der seltenen Gelegenheiten, wenn er sich mal wieder selbst hinters Steuer setzen dürfe, erzählte Olaf Scholz (SPD) kürzlich. Als Regierungschef muss er in der Regel auf der Rückbank gepanzerter Limousinen Platz nehmen. Es sind schwere Wagen, die es noch nicht als Elektroauto gibt. „Das wird aber kommen“, ist Scholz überzeugt – was er dabei nicht erwähnt: dass das erste Modell wohl aus China kommen wird.

Die Volksrepublik ist der weltweit führende E-Auto-Standort. Das Portfolio der Hersteller reicht von günstigen Modellen wie dem BYD Seagull (gibt es umgerechnet etwa ab 9000 Euro) bis zum Luxus-SUV Yangwang U8, der angeblich sogar durchs Wasser schwimmen kann (kostet dann aber auch umgerechnet 140.000 Euro).

Diese Führungsposition habe China allerdings nicht im fairen Wettbewerb erreicht, sondern vor allem deshalb, weil es seine Autoindustrie wettbewerbsverzerrend subventioniere, sagt die EU-Kommission. Sie will nun Strafzölle gegen E-Autos aus China verhängen, teilweise in Höhe von bis zu 48 Prozent – doch das will die Bundesregierung auf den letzten Metern verhindern.



Autozölle in Apulien

Am Rande des G7-Gipfels im italienischen Borgo Egnazio hat die deutsche Delegation um Scholz entsprechende Gespräche mit den Europäern geführt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gehörte neben Gastgeberin Giorgia Meloni ebenso zu den Teilnehmern wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er gilt als Initiator der Zollerhebung. Frankreichs Autoindustrie hat ihn China nichts zu verlieren, die deutschen Hersteller verkaufen dort hingegen mehr als 30 Prozent ihrer Produktion und fürchten sich nun vor Pekings Gegenreaktion.   

„Deutschland ist nach China der zweitgrößte E-Fahrzeughersteller der Welt“, sagt Andreas Rade, Geschäftsführer des Verbands der Automobilindustrie (VDA). „Wir setzen darauf, dass die EU-Kommission und China im Dialog eine Lösung finden. Wir dürfen nicht in einen Überbietungswettlauf geraten, von dem dann auch ganz andere Märkte betroffen sein werden“, warnt er: „Das würde dem exportstarken europäischen Wirtschaftsraum enorm schaden. Es geht dabei nicht allein um die Autoindustrie.“

Wie sieht ein gesichtswahrender Kompromiss aus?

Es werde alles daran gesetzt, dass es noch zu einer Einigung zwischen Brüssel und Peking komme, heißt es aus Kreisen der Bundesregierung. Die Zölle sollen ab dem 4. Juli vorläufig und ab November endgültig greifen. Viel Zeit bleibt nicht, um einen gesichtswahrenden Kompromiss für beide Seiten zu finden. 

Es sei ihm von der Kommission zugesagt worden, dass es eine Verhandlungslösung geben wird, sagte Scholz am Samstagmorgen im Anschluss an den G7-Gipfel. Bis Ende Juni müsse nun ein Weg gefunden werden. In Kreisen der Bundesregierung kursiert schon eine Idee, wie der aussehen könnte – ob China dabei mitmacht, ist allerdings fraglich.

China belegt Autos europäischer Hersteller derzeit mit Einfuhrzöllen von 15 Prozent. Europa setzt dagegen nur zehn Prozent auf Importfahrzeuge aus China an. Um die Strafzölle zu vermeiden, könnte China unter dem Druck der drohenden Zölle nun ebenfalls auf zehn Prozent runtergehen, ist die Hoffnung auf deutscher Seite – ein Ansatz, der gegenläufig zur Idee der Kommission wäre: Zölle runter statt Zölle rauf, um so ein stetiges Hochschrauben und einen drohenden Handelskrieg zu vermeiden.   

Habeck und Wissing reisen nach China 

Auch die deutsche Autoindustrie setzt auf diese Möglichkeit. Die neue EU-Kommission müsse mehr Wettbewerbsfähigkeit zu ihrer Top-Priorität machen, fordert Rade: „Wenn zum Auftakt der neuen Legislaturperiode gleich ein Zollkonflikt mit China angezettelt wird, ist das sicher kein guter Start für eine Kommission, die den Standort stärken will.“

Gleich zwei Bundesminister fliegen in den nächsten zwei Wochen nach China. Für Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geht es am Mittwoch nach einem Stopp in Südkorea nach Peking, Shanghai und Hangzhou. Nur wenige Tage später folgt Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing (FDP).  Er reist vom 24. bis 27. Juni in die Volksrepublik und dürfte die drohenden Tarife ebenfalls zum Thema machen. 

Wissing besucht unter anderem Asiens größte Transportmesse, die Transport Logistic China in Shanghai, auch ein Besuch beim deutschen Automobilzulieferer Bosch ist geplant. „Einen Handelskrieg mit China kann sich niemand wünschen“, sagte Wissing vergangene Woche: „Es wäre für Deutschland eine Katastrophe und es wäre auch für die Europäische Union nicht von Vorteil“. In Abstimmung mit Scholz sollen Habeck und Wissing bei ihren Versuchen mögliche Kompromisse ausloten.  

Grundstücke werden unter Marktpreis verscherbelt

Doch selbst wenn China zur Zollabsenkung bereit wäre, würde dies nichts an den offensichtlich wettbewerbsverzerrenden Subventionen ändern, die nach Angaben der Kommission die gesamte Produktions- und Lieferketten umfassen.  

China stelle seinen Herstellern den für Batterien unverzichtbaren Rohstoff Lithium bevorzugt bereit, beschaffe Batterien unter Marktpreis, biete Vorzugsfinanzierungen und direkte Finanzhilfen, setze Anreize mit Körperschaftssteuerprogrammen und der Bereitstellung von Grundstücken für Fabrikbauten unter Marktpreis, lauten nur einige der Vorwürfe der EU-Kommission. Diese Subventionen hätten fatale Folgen.

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Die chinesischen Hersteller könnten ihre Fahrzeuge unter Preis anbieten, weshalb europäische Hersteller ihre Preise nicht anheben und damit nicht kostendeckend arbeiten könnten. Zwar ist die Zahl chinesischer E-Autos in Europa noch immer gering, doch wächst der Anteil rasant: von 3,9 Prozent im Jahr 2020 sei er heute auf 25 Prozent gestiegen.

Joe Biden forciert Ausweichmanöver

China drückt seine E-Autos so sehr auf den europäischen Markt, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von einer regelrechten Schwemme spricht. Durch die mangelnde Nachfrage auf dem heimischen Markt sind in China Überkapazitäten entstanden. Derweil verschließen die USA ihren Markt zunehmend vor chinesischen Produkten. Präsident Joe Biden hat kürzlich Einführzölle in Höhe von 100 Prozent auf E-Autos aus China verhängt – umso attraktiver und wichtiger wird der europäische Markt deshalb für die Chinesen.

Doch die Zölle sind aus Sicht der deutschen Autoindustrie die völlige falsche Reaktion auf diese Entwicklung. Zumal die Tarife eben nicht nur auf chinesische E-Autos anfallen würden, sondern auf alle Autos, die in China produziert werden – und damit auch auf zahlreiche Modelle deutscher Hersteller. Dazu zählen etwa der Smart von Mercedes oder der iX3 und der Mini von BMW. „Die Zölle könnten dazu beitragen, dass die E-Mobilität insgesamt teurer wird – was wir brauchen, ist aber genau das Gegenteil“, sagt VDA-Geschäftsführer Andreas Rade.

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Keine individuelle Prüfung für die Europäer

Tatsächlich würden die Maßnahmen der Kommission sogar dazu führen, dass europäische Hersteller zum Großteil mit höheren Zöllen belegt werden würden als die Chinesen: so hat die Kommission für BYD 17,4 Prozent angesetzt, für Geely 20 Prozent, für den Volkswagen-Partner SAIC sowie Hersteller, die nach Angaben der Kommission nicht in der Subventionsprüfung kooperiert haben, 38,1 Prozent.

Alle anderen Hersteller, die in der Untersuchung kooperiert haben, aber nicht individuell geprüft wurden, werden mit Zöllen in Höhe von 21 Prozent belegt. Das trifft auch die europäischen Autobauer und die Amerikaner mit Tesla. Obendrauf kommen jeweils noch die bestehenden Importzölle von 10 Prozent. Ein Vorgehen, dass aus Sicht der deutschen Automobilindustrie nicht nachvollziehbar ist. 

Es könne doch nicht beabsichtigt sein, dass deutsche und europäische Autohersteller nun mehr zahlen müssten, sagt VDA-Geschäftsführer Rade. Diese Berechnung führe „das eigentlich genannte Ziel der Prüfung, für mehr Wettbewerbsfähigkeit der Europäer zu sorgen, ad absurdum“.

Geringere Marge statt höherer Preis

Hinzu kommt: die Chinesen dürften Zölle in dieser Höhe verschmerzen können, weil ihre Kostenvorteile so viel größer sind. Es ist wahrscheinlich, dass sie die höheren Preise gar nicht an die Kundinnen und Kunden weitergeben, sondern eine geringere Marge in Kauf nehmen. Für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie wäre dadurch nichts gewonnen – im Zweifel ist sie sogar der große Verlierer. 

So hat China als eine mögliche Gegenreaktion bereits angekündigt, auf Verbrenner mit großem Motor künftig höhere Zölle zu erheben. Das würde dann vor allem die deutschen Autobauer mit margenreichen Limousinen und SUV treffen.   

China setzt die Märkte allerdings nicht nur mit seinen Überkapazitäten im Bereich der E-Mobilität unter Druck. In der Abschlusserklärung des G7-Gipfels warnen die Mitglieder, zu denen neben Deutschland die USA, Japan, Kanada, Großbritannien, Frankreich und Italien gehören, vor dieser Strategie, wenngleich eher sanft.  

China verweist auf die komparativen Kostenvorteile

Es gebe „Bedenken hinsichtlich der anhaltenden industriepolitischen Ausrichtung Chinas und seiner umfassenden nicht-marktwirtschaftlichen Politiken und Praktiken“, heißt es in der Erklärung. Diese Ausrichtung führe zu „globalen Übertragungen, Marktverzerrungen und schädlicher Überkapazität in einer wachsenden Anzahl von Sektoren“ und untergrabe „unsere Arbeitnehmer, Industrien sowie unsere wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit und Sicherheit“.

Aus Sicht von Chinas Staatspräsident Xi Jinping gibt es solche Überkapazitäten dagegen nicht. Er verweist vielmehr auf die komparativen Kostenvorteile, die die Europäer doch nutzen sollten: Durch Chinas Produkte könne die Klimatransformation sogar schneller und günstiger gelingen, argumentiert er. Das sehen die Amerikaner jedoch freilich anders.

Im US-Wahlkampf überbieten sich Joe Biden und sein Herausforderer Donald Trump derzeit mit Ankündigungen, wer härter gegen China vorgehen wird – im Blick haben sie dabei die Wählerinnen und Wähler in den sogenannten Rust-Belt-Staaten wie Pennsylvania, Michigan und Wisconsin. Dort begrüßen die starken Gewerkschaften protektionistische Maßnahmen als richtige Reaktion gegen China.

„China is eating our lunch“

„China is eating our lunch“, wetterte der selbsternannte „Tariff-Man“ Trump kürzlich. Er wolle alle chinesischen Waren mit Zöllen von 60 Prozent oder mehr belegen, falls er für eine zweite Amtszeit gewählt wird. Biden geht hingegen strategischer gegen einzelne Sektoren vor, von Rohstoffen über Solarzellen und E-Autos bis hin zu medizinischen Produkten. Dadurch wird der europäische Markt für die Chinesen umso attraktiver.

Scholz warnt dennoch vor einer Abschottung. In diesen Tagen habe man oft den Eindruck, dass manche „die Idee vom freien Wettbewerb und freien Märkten für überholt halten“, sagte der Kanzler kürzlich beim Festakt zum 125-jährigen Bestehen von Opel in Rüsselsheim. Das Gegenteil von dieser Idee „heißt Protektionismus, heißt Abschottung und regelwidrige Zollschranken“, sagte Scholz: „Das macht letztlich alles nur teurer und uns alle zusammen nur ärmer.“

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Fraglich, ob er die Europäer und allen voran den wahlkämpfenden Emmanuel Macron davon überzeugen kann. In China dürfte derweil längst an der gepanzerten E-Limousine geschraubt werden.

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