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Fußball Kolumne "Abseits"

Länderspiele im Krieg - Hitler verbot Niederlagen

Länderspiel 1942 Deutschland - Spanien 1:1 Länderspiel 1942 Deutschland - Spanien 1:1
Es war eines der letzten Länderspiel für mehr als acht Jahre, als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft 1942 gegen Spanien spielte (1:1)
Quelle: pa/dpa/dpaweb/B3649_Schirner_Sportfoto
Vor 70 Jahren fand das letzte Länderspiel unter NS-Herrschaft statt. In den 35 Partien seit Kriegsausbruch galt es, der Welt die Überlegenheit der "Herrenrasse" auf allen Schlachtfeldern zu beweisen.

Länderspiele sind zuweilen ein zweifelhaftes Vergnügen. Der torlose Klassiker gegen die Niederlande in der Vorwoche etwa dürfte schon bald in Vergessenheit geraten. Dennoch ist die Vorfreude stets aufs Neue groß, und niemand will auf sie verzichten, sonst hätte es wohl kaum schon über 860 Partien gegeben. Manchem wird schon die fast dreimonatige Pause zu lang sein, ehe es im Februar in Paris weitergeht.

Heute kaum vorstellbar ist jedoch die Zäsur, die sich vor 70 Jahren ergab: Acht Jahre lang wurden nach dem 22. November 1942 keine Länderspiele mehr ausgetragen. Das 5:2 in Pressburg gegen die Slowakei war der 100. Sieg der Historie des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), schon deshalb war es ein besonderes Spiel. Dass es das letzte Spiel im Krieg sein würde, mag mancher zwar geahnt haben angesichts der militärischen Lage. Fakt war es damals nicht.

Für das Frühjahr 1943 waren bereits vier Länderspieltermine abgeschlossen worden, natürlich nur mit befreundeten Nationen – von denen es damals nicht mehr viele gab. Spanien, Italien, Rumänien standen parat, auch ein Rückspiel gegen die Slowakei war vereinbart. Dann wohl in besserer Atmosphäre, wie Reichstrainer Sepp Herberger hoffte.

Er notierte nach dem letzten Spiel unter NS-Herrschaft, das im Zeichen politischer Proteste stand: "Das Publikum fanatisch und undiszipliniert. Der Schiedsrichter Bazant ein glatter Versager." In der Heimat wurden die Deutschen natürlich auch in der Sportpresse belogen. Die "Fußball-Woche" fabulierte, die Mannschaft "erhielt wie immer den allerherzlichsten Empfang". Die heile Welt fand 1942 in Wahrheit nur noch in den vom Propagandaministerium kontrollierten Medien statt – und der Sport, insbesondere der Volkssport Fußball, hatte gefälligst auch dazu beizutragen.

Wenn es auch rein sportlich um nichts ging in den 35 Partien seit Kriegsausbruch am 1. September 1939 – Turniere fanden keine statt – stand doch jedes Mal viel auf dem Spiel. Es galt, der Welt die Überlegenheit der "Herrenrasse" auf allen Schlachtfeldern zu beweisen. Verlieren war quasi verboten. Hin und wieder geschah es dennoch, schon das erste Spiel im Krieg endete mit einem 1:5 in Budapest. Herberger wusste, warum: "Diese drei Wochen Krieg hatten alle und alles, was an Leistungsvermögen vorhanden war, narkotisiert."

1:2 am Geburtstag des Führers

Die Nazis forderten trotzdem Erfolge. Im "Kicker" stand Ende 1942: "So ein Fußball-Länderspiel im Krieg wirbt und wirkt für das Reich mehr und tiefer im Volk des gastgebenden Landes als alle Komitees und Bücher." Dass die Elf ausgerechnet am Geburtstag von Führer Adolf Hitler 1941 in der Schweiz 1:2 verlor, sorgte dementsprechend für Verstimmung in Berlin.

"Es grenzte an Hochverrat und Majestätsbeleidigung", erinnerte sich Nationalspieler Helmut Schön, später Bundestrainer. Propagandachef Joseph Goebbels ließ den Sportminister antanzen und ausrichten, dass "kein Sportaustausch mehr gemacht werden soll, wenn das Ergebnis im Geringsten zweifelhaft ist".

Lieber sahen sie ein 13:0 gegen Sparringspartner wie Finnland. Aber auch die Nazis konnten nicht ändern, dass der Ball rollt, wohin er will. Und es war ihre Schuld dass ihre Spieler an der Front physische und psychische Kräfte ließen – und viele (insgesamt 48) sogar das Leben.

"100.000 gingen deprimiert heim"

Das galt für manchen Gegner nicht. Und so kamen etwa die Schweden im September 1942 in Berlin in ausgeruhtem Zustand zu einem 3:2-Sieg. Wieder tobte Goebbels: "100.000 sind deprimiert aus dem Stadion weggegangen; und da diesen Leuten ein Gewinn dieses Fußballspiels mehr am Herzen lag als die Einnahme irgendeiner Stadt im Osten, müsste man für die Stimmung im Inneren eine derartige Veranstaltung ablehnen."

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Vier Monate später war es so weit, aber das lag nicht an den Schweden. Die Ereignisse in Stalingrad, wo die Reste der 6. Armee kapituliert hatten, führten zum "totalen Krieg". Da war für Sport kein Platz mehr; jedenfalls nicht, wenn die Sportler dafür mehr als 100 Kilometer reisen mussten. Erlaubt war nur noch der "nachbarliche Sportverkehr".

Einen Tag nach der berühmten Goebbels-Rede im Berliner Sportpalast verkündete Sportminister Hans von Tschammer und Osten: "Länderkämpfe, internationale Wettkämpfe sind bis auf Weiteres abzusetzen." Herberger unterstrich in seinen Notizen die Worte "bis auf Weiteres".

Heute erscheint vieles beinahe grotesk

Ihm ging es schon lange nicht mehr nur um Fußball. Die Spiele waren eine Chance, Leben zu retten. 1942 setzte er durch, dass vor jedem Länderspiel dreiwöchige Lehrgänge stattfanden. Damit holte er seine Spieler buchstäblich aus der Schusslinie. Noch Anfang 1943 versammelte er in Frankfurt 35 Spieler vor einem Test gegen Hessen-Nassau zu einem Lehrgang.

Aber auch in der Heimat war es nicht mehr sicher, schon 1940 verbrachten die Nationalspieler in Hamburg einige Stunden im Luftschutzkeller. Im Mai 1942 musste Herbergers Training in Wuppertal mehrmals unterbrochen werden – wegen Fliegeralarms.

Heute erscheint es da beinahe grotesk, dass Spieler wie Fritz Walter oder Helmut Schön auch positive Erinnerungen an diese Zeit hatten. Schön etwa schrieb in seinen Memoiren: "Trotz des sinnlosen Krieges war es für uns Sportler eine herrliche Fußballzeit. Für uns war mit jedem Länderspiel die verlockende Aussicht verbunden, über die Grenzen zu kommen. Es war immer ein extra Einkaufsnachmittag eingeplant. Auf zum nächsten Kaufhaus."

Einmal gab Herberger seinen Schützlingen sogar Spielgeld fürs Kasino. Auch das war nur eine kurze Flucht in eine scheinbar heile Welt.

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