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Fußball Kolumne "Abseits"

Wie Hitler die beste deutsche Nationalelf stoppte

Länderspiel 1937 Deutschland - Dänemark 8:0 Länderspiel 1937 Deutschland - Dänemark 8:0
Die Breslau-Elf gewann 1937 zehn von elf Spielen
Quelle: B3649_Schirner_Sportfoto
Der Mythos Breslau-Elf feiert am 16. Mai seinen 75. Geburtstag. Es war wohl eine der besten deutschen Nationalmannschaften, die es je gab. Aber an einer Weltmeisterschaft durfte sie nie teilnehmen.

Alles dreht sich in diesen Tagen um das Finale der Champions League zwischen den Bayern und Chelsea. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge fordert einen Sieg der Münchner im eigenen Stadion – auch weil Finalverlierer ja schnell vergessen seien.

"Wer spricht schon von der 87er-Mannschaft?", fragt er rhetorisch. Jene Bayern-Elf, die sich vom FC Porto besiegen ließ, taugt nicht für Rückblicke. Nicht bei einem Klub, dessen Hobby das Titelsammeln ist. Der Sieger, wusste schon die Popgruppe Abba, bekommt alles – auch einen Platz im Geschichtsbuch.

Wie schnell die Verlierer vergessen werden, sehen wir in dieser Woche. Am 16. Mai wird die mythische Breslau-Elf, die beste Nationalmannschaft vor dem Krieg, 75 Jahre alt – sofern eine Elf Geburtstag haben kann.

Herberger war begeistert

Jedenfalls demontierte sie am 16. Mai 1937 die Dänen in Breslau 8:0. Das Gerüst dieser Elf gewann 1937 zehn von elf Spielen und schaffte die beste Jahresbilanz einer deutschen Nationalmannschaft überhaupt.

Der damalige Reichstrainer Sepp Herberger notierte in seinen Notizen, die im Frankfurter Archiv des Deutschen Fußball-Bundes lagern, begeistert: "Keiner von uns konnte ahnen, dass wir einer der besten Mannschaften aus der Taufe gehoben hatten, die der deutsche Fußball jemals gehabt hat, wie besser kaum eine auf den europäischen Fußballfelder gefeiert wurde: Die Breslau-Mannschaft". Zweimal hat er ihren Namen unterstrichen.

Was aber hat sie mit Verlierern zu tun? In einem Finale hat sie ja nie gestanden. Aber sie hat nie etwas gewonnen außer Herzen, und das kommt im Laufe der Zeit aufs Selbe heraus.

Zwangsvereinigung

Die hohe Politik stoppte diese Zauberer, deren Namen damals jedes Kind kannte. Jakob – Janes, Münzenberg – Kupfer, Goldbrunner, Kitzinger – Lehner, Gellesch, Siffling, Szepan, Urban. Als nämlich Diktator Adolf Hitler im März 1938 Österreich annektierte, wurden auch die Nationalmannschaften zwangsvereinigt.

Der Reichssportführer verlangte von Herberger, die Elf im Verhältnis 6:5 aufzustellen. Zwei Systeme, zwei Mentalitäten, zwei Fraktionen – ein einziges Chaos.

Schon in der Vorrunde flog Deutschland bei der WM 1938 raus, von der Breslau-Elf war nur noch ein Fragment geblieben. Und während in der Folge noch jeweils drei deutsche Nationalmannschaften Welt- und Europameister wurden, verschwand die als unbesiegbar geltende Elf allmählich aus dem kollektiven Gedächtnis.

Fünferpack von Siffling in 32 Minuten

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Dabei spielten in Breslau Männer von Weltklasse. Kapitän Fritz Szepan, Schwungrad des legendären Schalker Kreisels, war einer der ersten Superstars des Fußballs. Als er das im Grunde bedeutungslose 8:0 erzielte, brach im Publikum großer Jubel aus, als wäre er ein Lokalmatador.

Der Düsseldorfer Paul Janes avancierte mit 71 Länderspielen zum Rekordnationalspieler, ehe ihn Uwe Seeler 1970 ablöste. Alle anderen verdienen auch Erwähnung, aber einer ragte heraus in Breslau: Mittelstürmer Otto Siffling von Waldhof Mannheim schoss binnen 32 Minuten fünf Tore in Folge, einmalig in der DFB-Historie.

Siffling stellte sich laut Herbergers Unterlagen selbst auf, denn der listige "Chef" klagte ihm vor der Partie sein Leid über die Mittelstürmermisere und fragte ihn: "Wissen Sie keinen?". Siffling ließ sich nicht lange bitten…

Ausstellung ab dem 1. Juni

An Siffling immerhin erinnert eine Ausstellung, die am 1. Juni in Mannheim eröffnet wird – anlässlich seines 100. Geburtstages. Die Initiatoren des Waldhof Fanklubs "Doppelpass – Waldhof-Fans gegen Gewalt und Rassismus" haben viel zusammen getragen, aber vergeblich nach Bewegtbildern von der Breslau-Elf gefahndet.

Es gibt nur Fotos vom historischen Triumph, bei dem vieles anders war als heute. Der DFB, damals als Fachamt Fußball vom Reichsbund für Leibesübungen einverleibt, wies seine Auserwählten, alles blutige Amateure, darauf hin: "Eventueller Lohnausfall wird nicht vergütet."

Nationalspieler anno 1937 spielten noch ausschließlich für die Ehre und einen Spesensatz von drei Reichsmark am Tag. Weiter schreibt der Verband: "Für Anfahrten zum Bahnhof usw. sind die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Unkosten für Autobenutzung werden nicht erstattet!"

Gemeinsamer Operettenbesuch

Die Anreise mit dem Auto hatte noch mehr Nachteile. Torwart Hans Jakob machte sich aus Regensburg mit dem Wagen nach Schlesien auf und kam viel zu spät. Er verpasste das gemeinsame Frühstück und sogar das Abschlusstraining am Samstag.

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Nur gut, dass er von den Dänen so gar nicht geprüft wurde. Interessant auch die Freizeitgestaltung in jenen Tagen: Gemeinsam mit den Dänen, die erst Samstagabend mit dem Zug aus Kopenhagen ankamen, besuchten die Nationalspieler eine Operette.

Komplett unvorstellbar in der Gegenwart ist die Rolle des Nationaltrainers. Herberger war in seinem ersten Amtjahr ein Erfüllungsgehilfe. Sein Vorgänger Otto Nerz war noch einflussreich und ihm weisungsbefugt.

Vier Siege mit 17:2 Toren

Formell hatte Verbandspräsident Felix Linnemann das letzte Wort über die Aufstellung. Und doch war es Herbergers Elf, die am Pfingstsonntag 1937 bei strahlendem Sonnenschein vor 40.000 in der renovierten Schlesier-Kampfbahn auflief. Nicht ohne Stolz notierte er: "Die Breslau-Elf spielte nach meinem Konzept!"

Otto Nerz hatte ihm zwei Wochen zuvor nach dem 1:0 gegen die Schweiz beim Züricher Bankett eine andere Formation genannt und den Nürnberger Willi Billmann statt Janes in der Abwehr sowie Siffling als Halbstürmer vorgesehen. Herberger: "Ich reichte meinen Zettel mit meinen Korrekturen wieder über den Tisch zurück, er überflog ihn, nickte mir zu und sagte kopfnickend: ‚In Ordnung!’" So war der Weg frei für die Breslau-Elf, über die wahre Hymnen gedichtet werden sollten.

"Unsere Mannschaft spielte wie aus einem Guss, der Ball lief, dass es eine wahre Freude war", jubelte der "Kicker". Es folgten vier weitere Siege in meist identischer Formation mit 17:2 Toren.

Erst Hitler konnte sie stoppen.

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