Die Region Ostbelgien
Für alle, die sich darüber wundern, dass Belgiens König Philippe in seiner alljährlichen Weihnachtsansprache Teile seiner Festrede neben Französisch und Niederländisch auch auf Deutsch hält, hier die Erklärung: Philippes Königreich umfasst nicht nur das niederländischsprachige Flandern im Norden, die französischsprachige Wallonie im Süden und die Landeshauptstadt Brüssel dazwischen, sondern auch die Deutschsprachige Gemeinschaft (DG) ganz im Osten des Landes.
Deren Gebiet ist zweigeteilt: im Norden liegt das Eupener Land mit der Hauptstadt Eupen, im Süden die belgische Eifel, dazwischen findet sich das Hohe Venn, eine europaweit einmalige Moorlandschaft. Das deutschsprachige Gebiet wurde, zusammen mit dem französischsprachigen Malmedy, infolge des Ersten Weltkriegs vom Deutschen Reich nach einer umstrittenen Volksabstimmung an Belgien abgetreten.
Heute hat das deutschsprachige Ostbelgien gut 79.000 Einwohner, ein eigenes Parlament, eine eigene Flagge und genießt weitgehende Autonomie. Deutsch ist als eine der drei Amtssprachen des Königreichs anerkannt.
Während Wallonen und Flamen im ständigen Clinch miteinander liegen, zeigen die deutschsprachigen Belgier, wie ein vereintes Europa geht: mit Mehrsprachigkeit und grenzüberschreitenden Projekten wie der Eurregio Maas-Rhein, in deren Mitte Eupen liegt. Spannend ist auch eine Rundwanderung im Dreiländereck Belgien–Deutschland–Niederlande.
Wandern im Moor
Mit dem Hohen Venn kann sich Ostbelgien rühmen, das gr��ßte Hochmoor Europas zu besitzen: 5000 Hektar Tümpel und Wiesen mit knorrigen Birken, ein paar Fichten und ausladenden Ebereschen, drumherum Gebirgskämme und Wald. Bei Nebel ist das die perfekte Gruselfilmkulisse.
Besonders unheimlich wird es, wenn die markierten Wege durch die Torfheidelandschaft mal nicht über Holzstege verlaufen, sondern direkt auf dem Moorboden – das Laufgefühl zwischen schwammig und federnd sorgt für einen Nervenkitzel der besonderen Art. Gemeinsam mit dem Naturpark Nordeifel bildet die ostbelgische Moorlandschaft den grenzübergreifenden belgisch-deutschen Naturpark Hohes Venn–Eifel.
Die Mini-Hauptstadt Eupen
Eupen ist mit knapp 20.000 Einwohnern die größte Stadt und Verwaltungssitz der Deutschsprachigen Gemeinschaft – mit dem Charme einer Kleinstadt. Von hier ist man schneller im deutschen Aachen als in der belgischen Provinzhauptstadt Lüttich (Liège). Durch die Lage im Grenzgebiet haben die Bewohner oft ihre Nationalität wechseln müssen, sie waren im Laufe der Jahrhunderte Limburgisch, Burgundisch, Österreichisch, Spanisch, Niederländisch, Französisch, Preußisch, Deutsch und Belgisch; gut 90 Prozent sind heute deutschsprachig.
Im 17. Jahrhundert startete die Textilindustrie mit der Tuchfabrikation; sie brachte Reichtum, der heute noch in Form prächtiger Patrizierhäuser im flämischen Stil zu bewundern ist, zum Beispiel in der Gospertstraße. Hier steht auch das Stadtmuseum, das eine Zeitreise durch die wechselvolle Geschichte bietet. Unbedingt sehenswert ist der Marktplatz mit der St. Nikolauskirche. Auch lohnt ein Aufstieg zur Moorenhöhe, die einen schönen Ausblick auf die Unterstadt und den umliegenden Hertogenwald bietet.
Die Spezialität Ardenner Schinken
Welche Qualität ein echter Ardenner Schinken haben muss und wie er hergestellt wird, beschreibt ein königlicher Erlass von 1974, der nach wie vor gültig ist.
Live erleben lässt sich die Prozedur beispielsweise in der Montenauer Schinkenräucherei bei Amel. Hinter großen Glasscheiben können Besucher zuschauen, wie das Schweinefleisch in Salz oder Salzlake eingelegt wird, das nach einer mehrwöchigen Ruhephase mit Buchenholz und Wacholderbeeren geräuchert wird und dann weiter reift – insgesamt sechs Monate.
Die Weser in Belgien
70 Kilometer lang ist Belgiens Weser – und damit sechsmal kürzer als ihre Namensvetterin in Deutschland. Das belgische Flüsschen entspringt im Hohen Venn einen Kilometer westlich der deutsch-belgischen Grenze und mündet als Vesdre – so der französische Name – in Lüttich in die Ourthe.
Zwischendrin wird der Fluss aufgestaut: Die Wesertalsperre bei Eupen ist nicht nur einer der größten Stauseen Belgiens, sondern auch ein beliebtes Ausflugsziel mit Wald- und Wasserlehrpfad. Der 33 Meter hohe Aussichtsturm kann zwar nicht mehr bestiegen, wohl aber erklettert werden.
Das Zitat
„Döö dech derr Tiid aa“
Im Eupener Platt bittet man jemanden mit diesen Worten, sich doch Zeit zu nehmen. Zwar verwenden die deutschsprachigen Belgier weitgehend die hochdeutsche Standardsprache, doch Dialekte spielen noch immer eine große Rolle in der Region.
Wer mehr erfahren möchte: Rund 10.000 Stichwörter und Redewendungen hat Siegfried Theissen in seinem „Neuen Wörterbuch der Eupener Mundart“ zusammengefasst. Die Wahrscheinlichkeit, den Dialekt zu verstehen, dürfte nach ein paar Gläsern Eupener Bier sicher größer sein.
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