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Ruhrgebiet

Das Gift, das aus der Tiefe kommt

Autorenprofilbild von Andreas Fasel
Von Andreas FaselRedakteur Nordrhein-Westfalen
Veröffentlicht am 17.06.2024Lesedauer: 6 Minuten
Arbeiter passen in einen ehemaligen Schacht des Bergwerks ein Rohr ein, durch das künftig Grubenwasser nach oben gepumpt werden soll
Arbeiter passen in einen ehemaligen Schacht des Bergwerks ein Rohr ein, durch das künftig Grubenwasser nach oben gepumpt werden sollQuelle: RAG

In den stillgelegten Bergwerken des Ruhrgebiets steigt das Wasser an – und reichert sich dort mit Salzen und hochgiftigen Stoffen an. Nun soll das Grubenwasser abgepumpt und in die Lippe geleitet werden. Doch was geschieht mit den Schadstoffen?

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Vom Bergbau ist nichts mehr zu sehen, der Förderturm längst demontiert. Auf dem nahen Datteln-Hamm-Kanal schippern Freizeitkapitäne vorbei. Planierraupen bereiten das Gelände der einstigen Zeche Haus Aden für ein Gewerbe- und Wohnviertel vor – das Projekt trägt den paradiesisch anmutenden Namen „Wasserstadt Aden“. Bergkamen, zeitweise größte Kohlestadt Europas und heute mit einer Arbeitslosenquote von mehr als zehn Prozent konfrontiert, soll herausgeputzt werden für den überfälligen Strukturwandel.

Unterdessen arbeitet Stefan Roßbach an der Bewältigung der Vergangenheit. Roßbach leitet bei der RAG, der früheren Ruhrkohle AG, den Fachbereich Wasserhaltung. Sein Team ist schwer zu entdecken, es arbeitet derzeit in einer kreisrunden Vertiefung, von Baugerüsten verdeckt. Dies ist der Zugang zum einstigen Schacht II, dort ging es früher gut tausend Meter in die Tiefe. Nun hat man drei Rohre in den Schacht betoniert. Und durch diese 1,40 Meter breiten Rohre soll das Wasser heraufgepumpt werden, das sich im aufgelassenen Bergwerk sammelt und nun peu à peu höher steigt.

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Ende des Jahrzehnts sollen pro Jahr bis zu 14,9 Millionen Kubikmeter Grubenwasser in die etwas weiter nördlich fließende Lippe geleitet werden, die rund zwei Kilometer lange Rohrleitung dafür wird ebenfalls bereits gebaut. Doch der Verein „Saubere Lippe“ sowie der „Aktionskreis Grubenwasser“ gehen nun gegen die Pläne der RAG vor, denn mit dem Wasser gelangen auch Salze und Giftstoffe aus den einstigen Steinkohlelagerstätten nach oben.

Als die Zechen des Ruhrgebiets aktiv waren, musste das eindringende Grundwasser permanent abgepumpt werden, sonst wären die Bergleute ertrunken. Nach der Schließung der letzten Zeche Ende 2018 konnte man die Bergwerke volllaufen lassen. Doch steigt der Pegel zu hoch, besteht die Gefahr, dass belastetes Grubenwasser unkontrolliert in Flüsse gelangt oder in Trinkwasserreservoirs einsickert.

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Also ist man bemüht, den Wasserspiegel tief genug zu halten. Dazu reicht es, Wasser an wenigen Stellen zu entnehmen, denn viele der unterirdischen Stollen und Schächte sind wie ein gigantisches Röhrensystem miteinander verbunden.

„Unser Plan sieht vor, in Zukunft an sechs Standorten im Ruhrrevier abzupumpen“, erklärt der RAG-Experte Roßbach. Drei davon liegen an der Ruhr, ein Standort befindet sich in Walsum am Rhein, zwei weitere Schächte würden in den nächsten Jahren „für die Annahme von Grubenwasser vorbereitet“.

Die Simulation zeigt, wie das Grubenwasserhebewerk in Bergkamen aussehen soll. Der Entwurf wurde bei einem Wettbewerb ausgewählt
Die Simulation zeigt, wie das Grubenwasserhebewerk in Bergkamen aussehen soll. Der Entwurf wurde bei einem Wettbewerb ausgewähltQuelle: Stadt Bergkamen

Kürzlich hat die RAG bei der Bezirksregierung Arnsberg eine Genehmigung für Bergkamen beantragt. Und die Details dieses Antrags offenbaren die Probleme, die das Wasser an diesem Standort offensichtlich macht. Bisher gültige Regelungen sehen vor, Grubenwasser bei Erreichen eines Pegelstands von 600 Metern unter Normalnull abzupumpen. In der ehemaligen Zeche Haus Aden hingegen will man das Wasser rund 220 Meter höher steigen lassen – bis auf 380 Meter unter Normalnull.

„Ein höherer Anstieg erscheint nicht nur uns, sondern auch den Genehmigungsbehörden als sinnvoll, weil damit die Salzgehalte im Grubenwasser nahezu halbiert werden können“, erklärt Markus Roth, bei der RAG zuständig für die Genehmigungsverfahren.

Auch Gutachten der Landesregierung hätten bestätigt, dass der Anstieg des Grubenwassers die Qualität wesentlich verbessere. Je mehr frisches Wasser von oben dem mit Salzen angereicherten Tiefenwasser beigemengt wird, so die Annahme, desto geringer der Salzgehalt des Wassers, das am Ende in die Lippe gepumpt werden muss. Gerät zu viel Salz in einen Fluss, sterben Fische und andere Lebewesen. 200 Milligramm Chlorid pro Liter Flusswasser – das ist die Vorgabe der europäischen Wasserrahmenrichtlinie, die es einzuhalten gilt. Ansonsten drohen drastische Geldstrafen.

So sah es im Jahr 2016 aus: Stark salzhaltiges Grubenwasser aus dem Bergwerk Haus Aden fließt in die Lippe
So sah es im Jahr 2016 aus: Stark salzhaltiges Grubenwasser aus dem Bergwerk Haus Aden fließt in die LippeQuelle: Werner Engelhardt

Viele Anwohner der Lippe können sich noch an Zeiten erinnern, als dort eine dicke weiße Brühe aus der Zeche Haus Aden in die Lippe floss. Bis zu 800 Milligramm Chlorid pro Liter Flusswasser wurden da gemessen. Erst 2019 beendete die RAG diese Einleitungen. Die Lippe erholte sich langsam. Clemens Overmann, der Vorsitzende des vor wenigen Monaten gegründeten Vereins „Saubere Lippe“, befürchtet, dass es mit dem geplanten Grubenwasserhebewerk von Neuem losgehen wird.

Zu den Chlorid-Salzen kämen außerdem Polychlorierte Biphenyle, kurz PCB, die zu den zwölf gefährlichsten organischen Stoffen zählen – hochgiftig, krebserregend und seit 2001 weltweit verboten. Doch in den Tiefen der Bergwerke sind sie noch reichlich vorhanden, die Hydrauliköle der dort zurückgelassenen Maschinen enthalten PCB.

Bei der RAG setze man auf einen Filter, eine Anlage, die dem Grubenwasser das Eisen entziehen soll, bevor es in die Lippe strömen darf, sagt Markus Roth. „Eine solche Enteisenung hat zusätzliche Vorteile. Erstens können wir damit dem Wasser auch Schwermetalle entziehen. Zweitens holen wir so auch jene PCB heraus, die an Feststoffe gebunden sind.“ Bei den übrigen, im Wasser gelösten PCB, die mit dieser Methode nicht entfernt werden könnten, handele es sich um zu „Spurenstoffe, für die es derzeit keine Filteranlagen gibt“.

Clemens Overmann und seine Mitstreiter von „Saubere Lippe e. V.“ hinterfragen diese Behauptung, es gebe inzwischen sehr wohl geeignete Filterverfahren. Und sie kritisieren die Planänderung der RAG, die vorsieht, das Wasser auf 380 Meter ansteigen zu lassen – und nicht schon in einer Tiefe von 600 Metern abzupumpen. Denn damit steige auch die Gefahr, dass Grubenwasser in die Nähe der Trinkwasser-Speicher in der geologischen Schicht der sogenannten Halterner Sande gelange.

Auch solche Bedenken versucht man bei der RAG zu zerstreuen – mit dem Hinweis, dass die Halterner Sande rund 20 Kilometer weiter westlich liegen. Auch bei einem Wasserpegel bis 380 Meter unter Normalnull bestehe keine Gefahr für die dortigen Trinkwasservorkommen, sagt Roßbach. Er erklärt das anhand des sogenannten Boxmodells.

Die Wasserregionen des Ruhrgebiets werden in diesem Modell wie nebeneinander stehende Badewannen dargestellt, die teilweise durch Überläufe miteinander verbunden sind. Doch die Badewanne der Zeche Haus Aden ist von den Halterner Sanden getrennt.

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Der Umweltgutachter Harald Friedrich bescheinigt solchen Aussagen der RAG „sehr viel Prinzip Hoffnung“. Friedrich war bis 2006 Abteilungsleiter für Wasserwirtschaft im NRW-Umweltministerium, mithin kennt er das Thema aus dem Effeff. Und nun gibt er seine Kenntnisse an die Bergkamener Bürgerinitiativen weiter. „Das Boxmodell ist immer für Überraschungen gut“, sagt er. Als Beispiel nennt er rechtsrheinisch gelegene Bergwerke, aus denen Wasser ins Linksrheinische abfloss – laut Boxmodell ein Ding der Unmöglichkeit.

Friedrich zweifelt auch an, dass eine Enteisenung des Grubenwassers das PCB-Problem löse. Niemand könne vorhersagen, „was für eine Suppe von da unten hochkommen wird“, sagt er. „Es rächt sich nun, dass die RAG viele Maschinen in den Bergwerken gelassen hat, ohne vorher die gefährlichen Öle zu bergen.“ So werde das Unternehmen kaum darum herumkommen, Grubenwasser „mit großen technischen Aufbereitungsanlagen“ zu entsalzen – und Gifte „mit modernsten Filtermethoden nach Stand der Technik“ herauszuholen. Billig werde das nicht, sagt Friedrich.

Ewigkeitskosten, so nennt man die Kosten, die der Bergbau auch nach seiner Einstellung noch verursacht.