WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistentfür alle Fragen und Lebenslagen
Tourismus

„Nach NRW kommen überdurchschnittlich viele Trendsetter“

Autorenprofilbild von Andreas Fasel
Von Andreas FaselRedakteur Nordrhein-Westfalen
Veröffentlicht am 08.07.2024Lesedauer: 8 Minuten
Blick vom Aussichtsturm im Naturerlebnispark „Panarbora“ bei Waldbröl im Bergischen Land
Blick vom Aussichtsturm im Naturerlebnispark „Panarbora“ bei Waldbröl im Bergischen LandQuelle: Tourismus NRW e.V

Eine neue Klientel an Gästen entdeckt Nordrhein-Westfalen als Ferienziel. Heike Döll-König, Chefin von Tourismus NRW, erklärt, welche Vorteile dem Land im Bundesvergleich zugutekommen.

Anzeige

Die Sommerferien in Nordrhein-Westfalen haben begonnen. Die Flughäfen sind für den Ansturm der Reisenden gewappnet. Autos werden für weite Fahrten bepackt. Es geht aber auch anders, sagt Heike Döll-König. Die Geschäftsführerin des Dachverbandes Tourismus NRW erklärt, warum es sich lohnt, über Ferien im eigenen Bundesland nachzudenken.

Welt: Wie steht es um den Tourismus in NRW nach den Corona-Jahren?

Anzeige

Heike Döll-König: Er ist schneller zurückgekommen, als wir zu hoffen gewagt hatten. Wir hatten 2023 so viele Übernachtungen wie nie zuvor, auch unsere traditionell starken Segmente wie der Städte- und Eventtourismus sind inzwischen wieder gefragt. Auch die Geschäftsreisenden und ausländischen Gäste kommen wieder.

Welt: Was ist mit den inländischen Gästen, die wegen Corona bevorzugt in heimischen Gefilden Urlaub gemacht haben? Bleiben die nun aus, weil sie wieder in die Ferne reisen können?

Anzeige
„NRW ist gut aufgestellt für aktuelle Tourismustrends“: Heike Döll-König, seit 2010 Geschäftsführerin des Dachverbands Tourismus NRW e.V.
„NRW ist gut aufgestellt für aktuelle Tourismustrends“: Heike Döll-König, seit 2010 Geschäftsführerin des Dachverbands Tourismus NRW e.V.Quelle: Tourismus NRW e.V., Niels Freidel

Döll-König: Nein. Viele sind geblieben. Wir hatten 2023 so viele Urlaubsreisen wie nie zuvor. Wir verzeichnen in diesem sogenannten Leisure-Bereich ein Plus von 30 Prozent im Vergleich mit 2019. Damit schneiden wir übrigens deutlich besser ab als der Bundesdurchschnitt, da sind es nur vier Prozent Zuwachs.

Welt: Kann man also die These wagen: Corona hat eine neue Gästeklientel für NRW hervorgebracht?

Döll-König: Genau so sehe ich es. NRW wetteifert immer mit Baden-Württemberg um Rang zwei bei den Übernachtungszahlen. Im Moment liegen wir vorne, aber das kann sich natürlich im Laufe des Jahres noch ändern.

Welt: Wie sieht es denn bei den Buchungen für diesen Sommer aus?

Döll-König: Wir haben ganz aktuell die Auswertung einer Befragung der Tourismusbetriebe in NRW vorliegen. Ein Großteil gab an, dass die Nachfrage für den Sommer im Vergleich zum vergangenen Jahr gestiegen oder gleich geblieben sei. Allerdings gaben 28 Prozent der Betriebe an, die Nachfrage sei leicht gesunken; bei neun Prozent sank sie stark.

Welt: Woher kommt dieser Dämpfer?

Döll-König: Viele Betriebe nennen als Grund die wirtschaftliche Lage ihrer Gäste. Andere führen den Rückgang der Buchungen auf das Wetter zurück. Trotzdem ist aber zu sagen, dass die positive Grundstimmung für den Sommer weit überwiegt. Zumal wir ja aus der Vergangenheit wissen, dass viele Menschen kurzfristig und wetterabhängig buchen – gerade, wenn es nur für ein paar Tage ist.

Welt: Sie sprachen vorhin Ihren Wettstreit mit den Baden-Württembergern an. Die haben vor einigen Jahren für Aufmerksamkeit gesorgt mit dem deutschlandweit präsentierten Slogan: „Nett hier. Aber waren Sie schon mal in Baden-Württemberg?“ Braucht NRW nicht auch mal eine derart zündende Kampagne?

Döll-König: Ehrlich gesagt: Nein. Wir haben gar nicht den Anspruch, dass die Leute sagen: Wir fahren nach NRW. Dafür ist unser Land zu vielgestaltig. Unser Marketing zielt auf Themen, wir wollen mit exzellenten Angeboten rüberkommen, zum Beispiel zum Radfahren oder für einen besonderen Städtetrip für „Insider“.

Radfahren in Industriekulisse: Der Rheinradweg führt auch durch den Landschaftspark Duisburg-Nord
Radfahren in Industriekulisse: Der Rheinradweg führt auch durch den Landschaftspark Duisburg-NordQuelle: Tourismus NRW e.V.

Welt: Wie bewerten Sie die Fußball-Europameisterschaft. Bringt sie den vier NRW-Austragungsorten nur einen kurzen Anstieg im Bierabsatz, oder profitiert der Tourismus langfristig?

Döll-König: Ich sehe das sehr optimistisch. Wir sprechen heute noch immer vom Sommermärchen bei der WM 2006, obwohl das 18 Jahre her ist. Die Städte haben sich auch dieses Mal wunderbare Sachen einfallen lassen, nicht nur mit ihren Fanzones. Da entstehen einmalig schöne Bilder, die über den Tag hinaus etwas bewirken werden.

Welt: Kürzlich hat ein englischer Fußballblogger über Gelsenkirchen gelästert. Das ging dann durch alle Medien. Bereitet Ihnen so etwas Kummer?

Döll-König: Wenn ich sehe, was das ausgelöst hat, dann muss man sich bei dem Herrn bedanken. Es sind danach überall Beiträge über Gelsenkirchen gelaufen, die die schönen Seiten der Stadt herausstellen. Gelsenkirchen hat zwar keine Altstadt, in der sich Restaurants und Kneipen aneinanderreihen. Aber es ist doch eine Stadt, in der man noch ganz wunderbar Fußball-DNA spüren kann.

Welt: Sie sprachen über Event- und Städtetourismus sowie die Freizeit-Urlauber. Gibt es denn so etwas wie den typischen NRW-Urlauber?

Döll-König: Nein. Was man aber sagen kann: Es kommen überdurchschnittlich viele Reisende nach NRW, die sich als Trendsetter verstehen. Die sagen: „Ich will etwas Anderes, etwas Besonderes für mich – und ich muss dafür nicht jedes Mal besonders weit oder lange verreisen.“ Nepal und Neandertal – das schließt sich nicht mehr aus.

Welt: Und wie macht sich das bemerkbar?

Döll-König: Wir haben vor allem Zuwächse bei den Kurzurlaubsreisen bis zu vier Tagen. Und wir haben keine großen Saisonschwankungen – anders als in den deutschen Küstenländern, wo es diese Schwankungen sehr stark gibt. Die beneiden uns übrigens genau darum. Dort gibt es in der Hauptsaison einen extremen Peak, an dem man kein Bett mehr bekommt. Bei uns verteilt sich die Auslastung über das ganze Jahr.

Gilt als eine der schönsten Steinbrücken Deutschlands: die Kanzelbrücke über den Möhnesee am Rande des Sauerlands
Gilt als eine der schönsten Steinbrücken Deutschlands: die Kanzelbrücke über den Möhnesee am Rande des SauerlandsQuelle: Tourismus NRW e.V.

Welt: NRW ist also besonders gut aufgestellt für aktuelle Tourismustrends?

Döll-König: Ja. Die Angebote in NRW passen zu dem steigenden Interesse an allem, was wir unter Work-Life-Balance verstehen. Häufiger den Alltag unterbrechen, häufiger mal raus. Wenn ich nur drei Tage freihabe, muss ich doch nicht zwei davon auf der Autobahn verbringen – so denken viele. Ich verspreche mir künftig noch einiges von dem Trend, mobiles Arbeiten oder Homeoffice mit einem Ortswechsel zu verbinden. Reiseziele sind dann gut, wenn sie junge Leute ziehen.

Welt: Welche Rolle spielen die Themen Klima und Nachhaltigkeit beim NRW-Tourismus?

Döll-König: Bei vielen unserer Angebote gehören diese Themen zum Wesenskern. Wenn ich einen Wander- oder Radurlaub mache, bin ich ohnehin in einem ganz guten Format unterwegs. Kultur ist ebenfalls eine Säule der Nachhaltigkeit. In einigen Angeboten machen wir Regionalität erfahrbar, etwa mit regionaler Küche oder regionalen Produzenten – auch das ist Nachhaltigkeit. Ich erlebe auch viele Gastgeber, die sehr bewusst damit umgehen. Und zwar nicht, weil sonst die Gäste ausbleiben würden. Sie tun es vielmehr aus innerer Überzeugung. Das ist vor allem bei jüngeren Anbietern zu spüren. Etwa in Hotels, in denen gerade ein Generationenwechsel stattgefunden hat, gibt es oft einen Spirit hin zur Nachhaltigkeit.

Welt: Vor 20 Jahren wurde in NRW der Nationalpark Eifel eröffnet. Die Landesregierung macht derzeit Werbung für einen zweiten Nationalpark im Land. An den infrage kommenden Standorten scheint es aber schwierig zu sein, eine Einigkeit zu erreichen. Wie beurteilen Sie die Idee für einen zweiten Nationalpark?

Döll-König: Aus touristischer Sicht gibt es dafür ein ganz klares Ja – und zwar an allen Standorten, die zur Debatte stehen. Ein Nationalpark hebt eine Region heraus, er adelt eine Landschaft. Der Nationalpark Eifel ist das beste Beispiel dafür. 1350 Arbeitsplätze sind dadurch in der Region gesichert. Das zeigt auch, dass wir Tourismus, der im Einklang mit der Regionalentwicklung steht, wirklich als Leitökonomie betrachten müssen. Auch davon hängt ab, ob eine Region lebenswert ist, ob sie Einwohner halten oder anziehen kann.

Welt: Rund um die Kulturhauptstadt Ruhr im Jahr 2010 erlebte der Tourismus im Revier eine große Blüte. Wie hat sich das seitdem entwickelt?

Döll-König: Der Tourismus hat sich dort fest etabliert. Mittlerweile geht es nicht mehr nur um die Zeugnisse der Industriekultur, sondern um das, was man dort außer einer Besichtigung noch so machen kann. Radfahren zum Beispiel und demnächst auch Wandern. Urban Trails oder Urban Hiking – das sind Trends, die dort aufgegriffen werden. Man muss sich in einer althergebrachten Kulisse immer neu erfinden. Das gilt auch für viele andere Orte in NRW, ob das nun das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald oder die Drachenburg im Siebengebirge ist. Und die Digitalisierung hilft uns dabei, die Leute neugierig zu machen und Orte überhaupt erst auffindbar zu machen.

Welt: Welche Aufgaben stehen für den NRW-Tourismus außerdem an?

Döll-König: Wir starten gerade eine Kampagne, bei der wir verschiedene Themenrouten mit dem öffentlichen Nahverkehr zu attraktiven Reisezielen anbieten. Eine Kulturroute, eine Route für Wanderer und so weiter. Wir wollen die Menschen ermuntern, das Ganze doch mal mit der Bahn zu versuchen. Wir haben zwar schon recht gute Zahlen vorzuweisen: 2023 sind 38 Prozent der Gäste, die in NRW einen Urlaub von mindestens fünf Tagen gebucht haben, mit der Bahn gekommen. Deutschlandweit waren es nur 14 Prozent.

Welt: Aber mit dem öffentlichen Nahverkehr steht es in NRW nicht zum Besten, das ist immer wieder das Ergebnis von deutschlandweiten Auswertungen.

Döll-König: Natürlich muss das besser werden. Gar nicht so sehr im ÖPNV-Angebot, sondern in der Zuverlässigkeit und Zugänglichkeit. Wir werben sehr dafür, dass Gäste eine NRW-Karte bekommen, mit der sie übergreifend über die verschiedenen Verkehrsverbünde im Land Zugang zu Bus und Bahn haben – und zu Sharing-Angeboten für Auto, Fahrrad und so weiter. Ich gebe aber zu: Da bohren wir im Moment ein dickes Brett.

Natur, Kultur und Sport: Bei einer Radtour zum Schloss Moyland am Niederrhein ist alles dabei. Im Schloss ist eine der wichtigsten Sammlungen mit Kunst von Joseph Beuys zu sehen
Natur, Kultur und Sport: Bei einer Radtour zum Schloss Moyland am Niederrhein ist alles dabei. Im Schloss ist eine der wichtigsten Sammlungen mit Kunst von Joseph Beuys zu sehenQuelle: Tourismus NRW e.V.

Welt: Könnten Sie unseren kurz entschlossenen Lesern einen Tipp geben, wo sie in NRW noch ein Urlaubsziel für den Sommer finden?

Döll-König: Wenn man sich ein bisschen umschaut und sich nicht auf die Wochenenden festlegt, findet man vielerorts noch etwas. Wie gesagt: Die Saisonalität ist bei uns nicht so stark ausgeprägt. Das hat Vorteile, auch für die Gäste.

Heike Döll-König ist seit 2010 Geschäftsführerin beim Tourismus NRW e.V., zuvor war die Germanistin und Literaturwissenschaftlerin im NRW-Wirtschaftsministerium für Standortmarketing und Kommunikation zuständig. Unter ihrer Leitung erhielt Tourismus NRW verschiedene Auszeichnungen für innovative Marketing-Kampagnen. Derzeit verfolgt sie eine konsequente Digitalisierungsstrategie. Privat unternimmt sie gerne Kulturreisen und interessiert sich für mentale Balance- und Work-Life-Strategien. Tourismus NRW, 1997 auf Initiative des Wirtschaftsministeriums gegründet, ist der touristische Dachverband für NRW. Er hat rund 70 Mitglieder, darunter regionale und städtische Tourismusorganisationen. Gemeinsam mit seinen Partnern arbeitet der Landesverband daran, Nordrhein-Westfalen national und international als Tourismusdestination zu positionieren.