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„Familienunternehmer des Jahres“

Topmotive liefert den Maßanzug für Werkstätten

Von Jürgen Hoffmann
Veröffentlicht am 08.07.2024Lesedauer: 6 Minuten
Anja Pleus (CEO) und Thies Schmeling (COO) sind die Co-Inhaber der Softwarefirma
Anja Pleus (CEO) und Thies Schmeling (COO) sind die Co-Inhaber der SoftwarefirmaQuelle: Bertold Fabricius

In Bargteheide vor den Toren Hamburgs hat sich der Familienbetrieb Topmotive durch die Entwicklung von spezialisierter Software zu einem Marktführer in der Automobilbranche entwickelt – eine nunmehr preisgekrönte Erfolgsgeschichte.

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Die Nummer 1 in Europa, jährliche Umsatzzuwächse von rund zehn Prozent, eine Mitarbeiterfluktuation von weniger als zwei Prozent, eine eigene Bushaltestelle vor der Tür und Moos an den Wänden im Versammlungsraum – die Topmotive-Gruppe in Bargteheide ist in mehrerlei Hinsicht ein außergewöhnliches Unternehmen. So richtig bekannt ist der Familienbetrieb mit 350 Mitarbeitern nicht, und doch ist er Markt- und Technologieführer in einem Segment mit einem Gesamtvolumen von rund 100 Milliarden Euro. Der Hidden Champion aus der Lise-Meitner-Straße verkauft dabei keine Autos, keine Reifen und keine Ersatzteile – sondern Softwarelösungen. Diese Programme werden von 800 Herstellern und Händlern von Bremsscheiben und Kotflügeln, Stoßdämpfern, Scheinwerfern und Schalthebeln genutzt, die 70 Prozent aller europäischen Fahrzeugwerkstätten beliefern. Am Montagabend wurde Topmotive als „Familienunternehmer des Jahres“ ausgezeichnet, die WELT AM SONNTAG ist Medienpartner dieser traditionsreichen Verleihung der Verbände „Die Familienunternehmer“ und der „Jungen Unternehmer“.

Ein kurzer Blick in den Rückspiegel: Im April 1994 gründete Udo Knabe-Paulsen die DVSE Gesellschaft für Datenverarbeitung, Service und Entwicklung. Seine Geschäftsidee: Datenstandards für den sogenannten Independent Automotive Aftermarket und elektronische Kataloge für Autoteile zu schaffen. Ein Jahr später lieferte der damalige Drei-Mitarbeiter-Betrieb, in den mittlerweile auch Rainer Schmeling eingetreten war, den ersten markenübergreifenden Händlerkatalog für Ersatzteile aus. Es folgten individuelle digitale Aufstellungen für einzelne Händler. Den ersten „Maßanzug“ bekam die Firma Coparts. Sie ist noch immer Kunde der Bargteheider Software-Schmiede, die Ende der 1990er-Jahre auch Arbeitswerte und Preise in die Kataloge aufnahm. Das veranlasste viele Werkstätten, die Systeme aus dem Kreis Stormarn in ihre internen Prozessabläufe zu integrieren. 2007 entschlossen sich die Shootingstars aus dem Norden dann dazu, eine Dachmarke einzuführen: Topmotive. Unter diesem Namen treten heute alle elf Tochterfirmen in fünf Ländern auf.

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Durch Kooperationen, strategische Zukäufe, Sprünge auf neue Auslandsmärkte und die Integration zusätzlicher Datenquellen entwickelte sich Topmotive in den Folgejahren zu einem Full Service Provider, der auf dem freien Ersatzteilmarkt wichtige Standards setzte. 2013 begann der sukzessive Generationswechsel: Anja Pleus, Tochter von Knabe-Paulsen, und Thies Schmeling traten in die Fußstapfen ihrer Väter. Pleus wurde 2018 in die „Beletage“ des Unternehmens berufen und übernahm die Stimmrechte. Fünf Jahre später folgt die Abberufung der Senioren als Geschäftsführer. Neben Pleus fungieren heute Krunoslav Bagaric als Co-CEO, Stefan Schneider als CIO und Thies Schmeling als COO.

Topmotive wuchs und platzte irgendwann aus den Nähten. Ein Headquarter musste her. Das wurde 2019 in der Lise-Meitner-Straße bezogen. Investitionsvolumen: zehn Millionen Euro. „Die Bearbeitung unseres Bauantrags hat nur drei Wochen gedauert“, lobt Anja Pleus die örtlichen Behörden. „Auch unser Wunsch nach einer nahen Bushaltestelle wurde erfüllt.“ Die Zentrale bietet neben klassischen Schreibtischen offene Teamboxen, Gemeinschaftsräume und Ad-hoc-Arbeitsplätze für mobiles und agiles Arbeiten. „Zudem fördern wir mit einer Open-Door-Policy den kontinuierlichen Austausch und flache Hierarchien“, sagt die Firmenchefin. Das Signal an die Belegschaft soll lauten: „Ich bin jederzeit ansprechbar und habe immer ein offenes Ohr für euch.“

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Thies Schmeling unterstreicht das Bestreben, ein gemeinschaftsorientiertes Arbeitsklima zu schaffen: „Wir wollen die moderne Arbeitswelt, also Agilität und digitales Learning, mit einem gelebten Familiensinn verknüpfen.“ Und das beginne bei den Räumlichkeiten. Wer durchs Haus geht, sieht das: Die Arbeitsplätze sind hell und ergonomisch gestaltet, es gibt Tischtennisplatten und Billardtische, Yoga-Kurse und die Möglichkeit für die Mitarbeiter, sich kostenlos mit Obst, Softdrinks und Kaffee zu versorgen.

Ungewöhnliche Regelung im Todesfall

Damit nicht genug: Topmotive-Mitarbeiter können in Gleit- und Teilzeit arbeiten und Poolfahrzeuge auch privat nutzen. „Schon unsere Väter haben die Wünsche ihrer Mitarbeiter oft über ihre eigenen gestellt“, erklärt Schmeling die Philosophie. Bis heute gelte im Haus zudem ein ungewöhnliches Familienversprechen: Verstirbt eine Person, die fünf Jahre oder länger im Unternehmen war, zahlt Topmotive weiter fürs jüngste Kind bis zum 18. Geburtstag ein halbes Gehalt.

Bei Topmotive sei jeder IT-Experte willkommen, das gelte aber auch für Quereinsteiger, „die richtig Bock haben, in einer Familie zu arbeiten“. Aktuell bildet das Unternehmen 15 junge Leute aus. Für Azubis und nichtdeutschsprachige Fachkräfte haben Topmotive, der Landesverband des Kfz-Gewerbes Schleswig-Holstein und die Deutsche Automobil Treuhand das digitale Bildungstool „kfz-translator“ entwickelt. Der Clou: Deutsche Fachbegriffe können sekundenschnell in 27 Sprachen übersetzt werden. Krunoslav Bagaric: „Ein kleines Instrument, das hilft, mehr Fachkräfte zu gewinnen.“ Das zahlt sich aus: Trotz des harten Wettbewerbs auf dem IT-Arbeitsmarkt um die besten Talente, verlassen jährlich weniger als zwei Prozent der Mitarbeiter das Unternehmen. Kein Wunder, dass Topmotive regelmäßig Arbeitgeberpreise abräumt.

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Beim inhabergeführten Mittelständler zwischen Hamburg und Lübeck spielt zudem Nachhaltigkeit eine große Rolle. „Wir wollen langfristig Verantwortung übernehmen, gegenüber unseren Kindern, unserer Umwelt, unseren Mitarbeitenden, Kunden und Partnern“, sagt Anja Pleus. „Das gilt gleichermaßen für den sozialen, ökologischen und ökonomischen Bereich.“ Beispiele: Es wurden 64 Photovoltaikpanels und ein klimaneutrales Heiz- und Kühlsystem installiert und Elektro- und Hybrid-Fahrzeuge in den Fuhrpark aufgenommen. Eine weitere „grüne“ Maßnahme: die Wandverkleidung aus konserviertem Moos im Versammlungsraum. Die schluckt bis zu 60 Prozent der Geräusche und Gerüche. Thies Schmeling: „So schaffen wir ein angenehmes und gleichbleibendes Raumklima.“

Wie steht der Familienbetrieb kurz nach seinem 30. Geburtstag dar? Topmotive hat 800 Online-Katalogsysteme in 37 Sprachen ausgeliefert, die monatlich von mehr als 50 Millionen Usern genutzt werden, um Kfz-Ersatzteile, Typen und Modelle zu finden, zu bestellen oder zu verwalten. Der Umsatz der Gruppe in Europa betrug im vergangenen Jahr rund 50 Millionen Euro. Zu den wichtigsten Kunden des komplett eigenfinanzierten Unternehmens gehören Großhändler wie die Alliance Automotive Group, LKQ Europe, Wessels & Müller und SAG Autonet Gruppe.

Monatliche Gebühr ermöglicht Planungen

„Jede Werkstatt zahlt für die Nutzung unserer Systeme eine monatliche Gebühr“, erklärt Anja Pleus. „Das gibt uns unternehmerische Sicherheit.“ Auch mit Warenwirtschaftssystemen, Beratung, Konzeption und Projektmanagement verdient Topmotive Geld. Und das Unternehmen rollt langsam auch direkt an die Autofahrer heran: Über die App „Cartelligence“ können die mit nur wenigen Klicks herausfinden, wo sich die nächste Werkstatt befindet und was eine Reparatur kostet. Auch der Termin lässt sich online vereinbaren.

Etwa 40 Prozent des jährlichen Ertrags reinvestiert Topmotive in Forschung und Entwicklung. Geschäftsführer Schneider: „Nur durch ständige Innovationen können wir vorn bleiben.“ Eine Neuerung ist etwa die Plattform Fahrzeugschein.de, über die die Werkstatt die Daten des Kundenfahrzeugs in Sekundenschnelle einscannen und ins Katalogsystem übernehmen kann. Schneider: „Die Zahlen, Ziffern und Zeichen müssen nicht mehr mühsam abgetippt werden.“ Außerdem setzen die IT- und Autoteile-Spezialisten verstärkt auf künstliche Intelligenz, um beispielsweise anfallende Reparaturen „vorherzusehen“. Stichwort: Predictive Maintenance. Das bedeutet nicht, dass Topmotive mit weniger Mitarbeitern auskommt. Im Gegenteil. Schneider: „Wir brauchen mehr Leute. Bis Ende 2025 wollen wir 400 bis 500 Mitarbeiter beschäftigen.“

Fischer-Appelt: Innovationskraft und Leidenschaft

Bei der Verleihung der zum 30. Mal vergebenen Auszeichnung – in Form eines „Schalthebels der Wirtschaft“ – lobte der Regionalvorsitzende des Verbandes „Die Familienunternehmer“, Andreas Fischer Appelt, das Vorgehen des Unternehmens: „Unsere Preisträger zeigen im besten Sinne, welche Innovationskraft und Leidenschaft hinter inhaber- und familiengeführten Unternehmen steht. Mit der Auszeichnung ‚Familienunternehmer des Jahres’ unterstreichen und veranschaulichen wir als Verband die Bedeutung und genauso auch die Bedürfnisse der Unternehmerinnen und Unternehmer hier in der Region.“ Die Laudatio auf die Preisträger hielt Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD).