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Ausland Massud Peseschkian

Was der Sieg des „Reformers“ im Iran für den Westen bedeuten könnte

Senior Editor
Präsidentschaftswahlen im Iran Präsidentschaftswahlen im Iran
Massud Peseschkian, Irans neuer Präsident
Quelle: dpa/Vahid Salemi
Kein Hardliner, sondern einer, der gegen eine „Talibanisierung“ kandidierte, regiert nun im Iran. Echte Reformen sind zwar nicht zu erwarten – im Hintergrund steuern weiter die Geistlichen. Massud Peseschkians Wahl könnte dennoch Irans Kurs im Atom-Wettrüsten verändern.

Es war ein Slogan, der die Bürger in die Wahllokale locken sollte: „Nein zu Sanktionen, nein zu Krieg, nein zur Talibanisierung“, so hieß es in den letzten Tagen vor der zweiten Runde der Präsidentenwahl im Iran überall auf persischsprachigen Internet-Kanälen. Der Kandidat, dem die Parole zugutekommen sollte, hat tatsächlich das Rennen gemacht: Der Reformpolitiker Massud Peseschkian, 69, wird neuer Präsident des Iran.

Verhindert wurde damit eine Regentschaft des 59-jährigen Said Dschalili, einem altbekannten Ultrakonservativen, der für Kompromisslosigkeit im Atomstreit und eine konsequente Durchsetzung der rigiden Gesellschaftspolitik der islamischen Republik steht – also in den Worten seiner Kritiker für Talibanisierung. Eines ist nicht gelungen: durch eine höhere Wahlbeteiligung weitreichende Unterstützung für das von Klerikern bestimmte System der Islamischen Republik zu demonstrieren. Nach dem historischen Tiefpunkt von 40 Prozent im ersten Wahlgang, nahmen auch an der zweiten Runde nur 49,8 Prozent der Wahlberechtigten teil.

Doch selbst der Sieg des Reformers Peseschkian dürfte der Stabilität des Systems dienen.

„Schon im ersten Wahlgang hatte ein großer Teil der traditionellen Reform-Wähler nicht teilgenommen“, sagt Vali Nasr, Professor an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore und ehemaliger Berater der Administration von US-Präsident Barack Obama. „Möglicherweise dachten viele dieser reformorientierten Wähler, der Kandidat der ultrakonservativen Revolutionsgarden, Mohammed Bagher Ghalibaf, würde sowieso gewinnen. Aber auch viele prominente Regime-Gegner hatten sich gegen die Teilnahme an der Wahl ausgesprochen.“

Hinter den Kulissen steuern die Kleriker

Viele iranische Dissidenten sehen keinen Sinn mehr in dem Versuch, die Machtverhältnisse im Land durch Wahlen zu verändern. Wer überhaupt zur Wahl antreten darf, entscheiden Gremien von Geistlichen. Wer die Herrschaft der Kleriker infrage stellt, hat keine Chance. Frei ist die Wahl also keineswegs. Peseschkian, von Beruf Arzt und einst Gesundheitsminister unter dem Reform-Präsidenten Muhammad Chatami, repräsentiert wie dieser keine Perspektive für eine grundlegende Demokratisierung des Landes, sondern nur für einen liberaleren Umgang mit den Prinzipien der sogenannten Islamischen Republik.

Dass Peseschkian gewählt wurde, dürfte paradoxerweise an zwei Entwicklungen innerhalb des konservativen Lagers liegen.

„Tatsächlich scheint Peseschkian auch etliche Stimmen konservativer Wähler geholt zu haben“, glaubt Nasr. „Das liegt daran, dass die Konservativen derzeit tief gespalten sind.“ Im ersten Wahlgang traten mit dem nun unterlegenen Dschalili, Ghalibaf und dem ehemaligen Justizminister Mustafa Pourmohammadi gleich drei Konservative gegen den Reformer Peseschkian an. Das Wählerpotenzial der Hardliner spaltete sich.

Die Wurzel der Gegensätze liege in der Politik des letzten Präsidenten, des ultrakonservativen Ebrahim Raissi, der im April bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben kam. „Raissi hat eine ganze Reihe eigener Leute in die Administration mitgebracht und so den Einfluss der anderen Konservativen geschmälert. Aber seine Leute haben für eine derartige Misswirtschaft gesorgt, dass die eigentliche Führung um Revolutionsführer Ali Khamenei umsteuern wollte, um den Volkszorn zu besänftigen.“ Der Kandidat dafür war Ghalibaf, der nicht nur den Revolutionsgarden nahesteht, sondern auch die Millionenmetropole Teheran regiert hat.

„Eigentlich war geplant, dass sich Dschalili zugunsten von Ghalibaf zurückzieht“, sagt Nasr. Aber der Alt-Konservative Dschalili, dessen einziges hohes Staatsamt bisher jenes des Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrats war, habe sich geweigert. So blieb das konservative Kandidatenfeld zerklüftet und der wenig charismatische und als korrupt geltende Ghalibaf unterlag.

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„Im zweiten Wahlgang haben viele konservative Wähler lieber für Peseschkian gestimmt, weil der Konservatismus von Dschalili dann doch zu altertümlich ist und er auch keine praktische Regierungserfahrung hat.“ In Sachen internationale Sanktionen habe Dschalili einen vollständigen Konfrontationskurs gegenüber dem Westen vertreten. „Dschalilis Programm implizierte den Fortbestand aller Sanktionen. Das wollen selbst unter den Konservativen nur noch die wenigsten akzeptieren.“

„Peseschkian kann und will das iranische System als solches nicht grundlegend umwälzen“, sagt Nasr. Aber für die meisten Iranerinnen und Iraner könnten schon praktische Veränderungen im Alltag viel bewirken. „Peseschkian kann etwa den Kopftuchzwang nicht an sich infrage stellen“, sagt Nasr. „Aber es macht einen großen Unterschied, ob Patrouillen der Religionspolizei die Regelung kontrollieren und bei Verstößen Frauen festnehmen. So war es unter Raissi. Unter Peseschkian kann sich das ändern.“

Auch die Internetzensur könne Peseschkian lockern, einige politische Gefangene freilassen und ein paar der zuletzt massenhaft entlassenen kritischeren Professoren wieder einsetzen. Tatsächlich dürften einige der wichtigsten Veränderungen, die jetzt möglich sind, das Feld der Außenpolitik betreffen.

Die neue Hoffnung im Atom-Aufrüstungsstreit

„Peseschkian hat im Wahlkampf eine Lockerung der internationalen Sanktionen gegen den Iran in Aussicht gestellt“, sagt Nasr. „Das würde eine Annäherung an die Forderungen der internationalen Gemeinschaft erfordern.“ Auch wenn das Atomabkommen von 2015 kaum mehr zu retten sei, könnten neue Regelungen gefunden werden. „Es könnte schon helfen, wenn der Iran nicht noch näher an die Fähigkeit um Bau von Kernwaffen heranrückt. Spätestens, wenn Peseschkian zur nächsten UN-Generalversammlung nach New York kommt, können westliche Regierungschefs mit ihm über einen Wiedereinstieg in Verhandlungen brainstormen.“

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Eine Lockerung der Sanktionen könne auch der Stabilität des Regimes zugutekommen, meint Nasr. Revolutionsführer Chamenei brauche eine einigermaßen funktionierende Wirtschaft, wenn er seine Nachfolge vorbereite. Der iranische Rial hat in den letzten Jahren dramatisch an Wert verloren, die Arbeitslosigkeit liegt selbst nach offiziellen Zahlen um die zehn Prozent, infolge der Sanktionen fehlt es an Investitionen.

„Die herrschenden Kleriker haben Peseschkian antreten lassen, um die Beteiligung der Bevölkerung an den Wahlen zu stärken“, sagt Nasr. Das ist nicht gelungen. Doch wenn Peseschkian durch einen gemäßigteren Kurs eine Lockerung der Sanktionen wirtschaftliche Fortschritte erreicht, kann er der Führung dennoch nutzen.

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