In London habe ich meine Lieblingslokale, in die ich gern zurückkehre. Ich gehe ins „Zuma“ von Rainer Becker oder in den „Clove Club“ zu meinem Freund Isaac Hale. Bei unserem letzten Besuch hatte meine Frau Sarah jedoch den dringenden Wunsch, einmal bei Clare Smyth im „Core“ essen zu gehen.
Clare zählt zu den wenigen Drei-Sterne-Köchinnen auf der Welt, für meine Frau, die auch meine Sous-Chefin ist, stellt sie ein großes Vorbild dar. Ich habe die Nordirin vor ungefähr zwölf Jahren kennengelernt, als sie noch Küchenchefin im Restaurant von Gordon Ramsay war und Harald Wohlfahrt und mich nach einen Dinner in der Küche begrüßte. Zuvor hatte bereits sie einige Jahre bei Alain Ducasse im „Louis XV“ in Monaco gearbeitet.
In ihrem 2017 eröffneten „Core“ holte sie erneut den dritten Stern, den sie schon bei Ramsay erkocht hatte. Man betritt das Restaurant durch einen Barbereich, in dem man auch essen kann. Dann geht es vorbei am Chef’s Table und an der verglasten Küche gegenüber, in der auffallend viele Frauen am Herd stehen. Ich schätze, dass hier mindestens die Hälfte der Brigade weiblich ist. Mit eingelassenen Bücherregalen, einigen gepolsterten Nischen und frei stehenden, runden Tischen fühlt sich der Speiseraum wie ein geschmackvoll eingerichtetes, sehr feminines Wohnzimmer an. Auf den Servietten liegen kleine Kräutersträußchen, die Platzteller sind mit einem großen Daumenabdruck von Smyth bedruckt. Mit hohem Serviceaufwand und einer umfangreichen Weinkarte wird alles aufgefahren, was ein großes Restaurant ausmacht.
Die Grüße aus der Küche kommen alle auf einen Schlag: geräucherte Chicken-Wings, mit Comté-Creme gefüllte Gougères sowie zwei kleine Tartelettes. Alles tadellos. Weil wir zum ersten Mal im „Core“ sind, bestellen wir das Klassikermenü. Clare Smyth verwendet nur heimische Produkte: Austern, Steinbutt, Ente, Lamm oder Wild kommen aus Großbritannien und werden auf der Karte auch so angekündigt. Als ersten Gang gibt es einen glasigen Kaisergranat aus schottischen Gewässern, der auf einem Erbsensalat mit Wasabi-Aromen angerichtet wird und von zwei Kreisen farblich alternierender Pünktchen aus einer Erbsen- und einer Zitronenmayonnaise umrahmt ist. Die Inszenierung macht das Gericht schon optisch zum Genuss.
Danach kommt eine Tarte mit gebackenem Boden, die mit einer grünen Gemüse-Royale gefüllt und mit vielen kleinen Morcheln belegt ist. Obendrauf liegen noch etwas Bärlauch, Bärlauchblüten und kleine weiße Ringe von Frühlingszwiebeln. Am Tisch wird dazu eine Reduktion aus Vin Jaune angegossen – ein sehr reduzierter, geschmacksintensiver Gang.
Zu ihren Signature-Gerichten zählt eine in Lamm-Jus geschmorte Karotte, die mit einer Art Bolognese aus Lammnacken bedeckt wird. Dazu gibt es eine Creme aus Schafsmilch-Joghurt, Petersilien-Pesto und eine frisch gebackene Brioche. Das mag nach einem simplen Gericht klingen, ist in meinen Augen aber das Highlight im Menü. Nach einem Glattbutt mit Kaviar und pochierter Auster kommt der Hauptgang: Ente mit lackierter Haut und Kampotpfeffer, die von einer Traubentarte begleitet wird. Nach zwei Desserts erreicht der Abend für meine Frau den Höhepunkt, als Clare Smyth uns in der Küche empfängt und ein Foto mit uns macht.
Leider ist es immer noch die Ausnahme, dass sich eine Frau in zwei so anspruchsvollen Küchen hocharbeitet, um sich dann im eigenen Restaurant in kürzester Zeit selbst an die Spitze zu kochen. Wir brauchen mehr Köchinnen wie Clare Smyth.
Unser Kolumnist Christian Bau kocht im „Victor’s Fine Dining“ in Perl-Nennig, das mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet ist.