Kürzlich hatte sich durch ein offenes Fenster ein Star in unsere Wohnung verirrt. Als ich heimkam, saß er auf der Innentreppe direkt hinter der Haustür, und ich scheuchte ihn raus, während ich gleichzeitig Jack signalisierte, dass er sich mit der Begrüßung noch kurz gedulden müsse. Auf eine Begegnung dieser ungleichen Gegner in der Enge eines Innenraumes hatte ich keine Lust. Der Star flog in die römische Nacht, Jack aber stand noch lange auf der Treppe, schnüffelte und sinnierte. Seine Nase sagte ihm, dass er hier etwas verpasst hatte.
Denn Vögel sind eine seiner großen Leidenschaften. Wenn er Tauben oder Möwen in seinem Revier auf dem Boden sieht, will er sie zur Strecke bringen. Selbstverständlich sind seine Jagdversuche jedes Mal vergeblich. Die sogenannte Frustrationstoleranz eines Hundes, oder zumindest dieses Hundes, ist enorm.
Über sein Gedächtnis gibt es unterschiedliche Theorien, ich meine, dass er sich genau das merkt, was ihm wichtig ist oder was er sich merken will. Die Regel etwa, dass er an der Leine hinter mir zu laufen hat, vergisst er innerhalb von Millisekunden. An Menschen, denen er einmal begegnet ist, erinnert er sich sehr wohl. Oder er ist ein besserer Schauspieler als ich. Und hat dieses Charisma amerikanischer Politiker, die jeder Zufallsbegegnung das Gefühl geben, dass sie gesehen und ernst genommen wird. Zumindest galt das für die Politiker der alten Schule, als Likeability noch ein wichtiger Faktor war. Donald Trump hat bewiesen, dass ein Politiker heute nicht sympathisch, sondern unterhaltsam sein muss. Was das über unsere Gesellschaft aussagt, weiß ich nicht. Aber sympathisch ist es nicht.
Er träumt vielleicht davon, ein anderer zu sein
Aber wir waren ja bei meinem Vögel jagenden Hund. Ich glaube nicht, dass er vergisst, dass sie jederzeit hochfliegen können. Aber er mag den Adrenalinschub seiner Pseudoangriffe trotzdem. Was mich besonders verblüfft, sind seine Ausbrüche, wenn sie schon in der Luft sind. Er kläfft so vehement seine flatternde Nichtbeute an, dass ich kurz an seinem Verstand zweifele. Aber wahrscheinlich ärgert er sich einfach.
Und möglicherweise träumt er in diesen Momenten davon, andere Fähigkeiten zu haben oder ein anderer zu sein. Ein Jack, der fliegen könnte, wäre interessant. Die ersten Wochen würde er sicherlich mit Vogeljagd verbringen. Dann würde das Interesse nachlassen, wenn er merken würde, dass sie ihm trotz seiner Flugkünste immer noch entkommen, weil sie flinker und wendiger sind, sich in Mauernischen oder unter Dachvorsprüngen verbergen, wo er sie aufgrund seiner Größe nicht aufstöbern kann. Dann würde das Spaßfliegen beginnen. Wie oft schon hat Jack sich auf dem Deck eines Bootes oder am Rand eines Canyons einfach die Aussicht angeschaut. Mich fasziniert das jedes Mal wieder.
Ein Hund, so denken wir, kann weder so gut sehen noch hat er Sinn für die Schönheit einer Landschaft oder eines mäßig bewegten Meeres. Aber wer weiß das schon? Ein Jack, der mit kräftigem Flügelschlag durch die Lüfte gleitet und sich an der eigenen Geschwindigkeit, den stützenden Aufwinden, den waghalsigen Sturzflügen berauscht? Ich traue ihm das jederzeit zu.