Die Wiedersehensfreude war groß, als meine Eltern und ich aus dem römischen Hotel „Casa di Santa Francesca“ traten, das für katholische Pilgergruppen bestimmt ist, und auf Jack trafen, der draußen wartete. Mich hatte er drei Minuten vorher schon stürmisch begrüßt, meine Eltern hatte er zwei Jahre nicht gesehen. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen war ich zuerst dran. Dann erst schien er sich zu besinnen, dass er diese beiden netten Menschen auch schon mal getroffen hatte. Wie gesagt: Es war zwei Jahre her, und wir waren damals auf diesem Berg auf Sizilien, aber Hunden sagt man ja ein Elefantengedächtnis nach.
Und umgekehrt waren auch meine Eltern total vertraut mit Jack. Sie wissen von seinen Ernährungsgewohnheiten, seiner Spielgefährtin Mina, seinen Zerstörungsanfällen, wenn er allein zu Hause ist (selten geworden). Sie wissen das, weil sie sich bei jedem Telefonat nach ihm erkundigen – und weil sie treue Leser dieser Kolumne sind. Gefühlte Nähe durchs Studium der Texte: Ich nenne das insgeheim den Taylor-Swift-Effekt.
Die Stimmung war also aufgeräumt, als wir zur Isola Tiberina rüberschlenderten. Bei Jack äußerte sich das darin, dass er spielerisch nach meiner Hand schnappte. Das war der allererste Minuspunkt, den er bei meiner Mutter machte. Aber ich beruhigte sie: Sie solle sich sein Gebiss anschauen. Wenn er es ernst meinte, hätte er mich schon aufgefressen.
Wir bewunderten den Sonnenuntergang, entdeckten die Kuppel des Petersdoms, ein netter Passant machte Gruppenfotos. Er hatte wohl selbst schon zu oft erlebt, dass freundliche Fremde die Füße abschneiden oder beim schiefsten Lächeln abdrücken, sodass er einfach in Sekundenschnelle eine ganze Serie produzierte.
Jack zeigte seine besten Seiten und überzeugendsten Fotogesichter. Lässig, aber doch präsent. Hochpreisig, aber zugänglich. Sexy, aber diskret. Er sieht auf den Fotos aus, als wollte er sich für die nächste Polo-Ralph-Lauren-Kampagne in den Hamptons bewerben. Ein sizilianischer Straßenhund statt der üblichen Retriever aus ihren Luxuszuchtbetrieben – das wäre aus seiner Sicht wahrscheinlich der wichtigste Beitrag zu Diversität und Inklusion in der Modelwelt.
Jeden Tag ein neuer Kampf
Was man auch merkte: Jack nutzte die Größe der Gruppe, um seine mittlerweile guten Manieren wieder schleifen zu lassen. Er zerrte an der Leine, trat einen Spontanstreit mit einer Möwe los, flirtete mit weiteren Spaziergängerinnen. Man kann nicht behaupten, dass er sich schlecht benahm. Er machte einfach, was er wollte. Als wir mit ihm zusammenzogen, nahmen wir an, dass ein Hund eine gute Erziehung brauchte und machten uns an die Arbeit.
Zweieinhalb Jahre später haben wir verstanden, dass diese Arbeit nie beendet ist. Sie beginnt jeden Tag aufs Neue. Sobald wir unsere Aufmerksamkeit woanders hinlenken oder Schwäche zeigen, spürt das Jack und füllt die Autoritätslücke mit seinem eigenen starken Willen. Er meint das nicht böse, es ist eher ein physikalisches Gesetz. Ich bin nicht der Meinung, dass sich das auf Menschen übertragen lässt (in dieser Hinsicht bin ich Humanozentriker). Aber zwischen Mensch und Hund gilt: Investierte Energie gleich Frieden.