Das Zusammenkommen der beiden Königskinder böte Stoff für eine Hollywood-Romanze. Eigentlich war ihre Hochzeit große Politik. Philipp der Schöne, einziger Sohn des römisch-deutschen Königs und Kaisers Maximilian I. und Marias, der Erbin von Burgund, sowie Johanna, Tochter der „katholischen Könige“ Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon, sollten das Bündnis der Habsburger mit den Spaniern besiegeln. Die Hochzeit war im Oktober 1496 in Lier im heutigen Belgien angesetzt.
Aber die beiden jungen Leute hielten sich nicht an den Takt der Staatsräson. Als sie sich vor der Hochzeit auf einer Straße in Lier begegneten, soll es bei beiden sofort gefunkt haben. Das sinnliche Verlangen soll so stark gewesen sein, dass sie noch auf der Straße einen Priester nötigten, sie auf der Stelle zu trauen, um anschließend am Hof die Ehe im Liebesrausch zu vollziehen. So zumindest deutete die Folklore die Blicke, die sich beide während der offiziellen Zeremonie zuwarfen. Und die – tragische – Geschichte der Braut schien die Überlieferung einer alles verzehrenden Liebe zu bestätigen.
Für ihre Eltern waren die Jungvermählten vor allem politisches Kapital. Nach der Eroberung des Emirats von Granada und der Inbesitznahme Amerikas durch ihren Kapitän Christoph Kolumbus im Jahr 1492 herrschten Isabella und Ferdinand über ein ständig wachsendes Reich, das für den Kaiser der ideale Partner im Kampf gegen Frankreich war. Mit einer Doppelhochzeit wurde der Pakt besiegelt. Neben Philipp und Johanna gaben sich auch der spanische Thronfolger Johann und die Kaisertochter Margarete das Ja-Wort.
Dass ausgerechnet Johanna am Tag nach dem Tod ihrer Mutter Isabella am 26. November 1504 Erbin des Spanischen Weltreichs wurde, verdankte sie mehreren Zufällen. Sowohl ihr Bruder Johann, dessen kleiner Sohn, ihre ältere Schwester Isabella und deren Sohn Miguel starben. Zwar beanspruchte ihr Vater Ferdinand die Regentschaft. Ihrem Mann Philipp gelang es jedoch, die Stände Kastiliens zur Anerkennung Johannas und seiner Rechte zu gewinnen. Doch schon im September 1506 starb auch Philipp, sodass Johanna die alleinige Herrschaft zufiel. Wäre da nicht ihr „Wahnsinn“ gewesen.
Zeitzeugen haben die junge Infantin vor ihrer Heirat als zarte, zurückhaltende und sensible Person beschrieben. Sie soll sehr schön gewesen sein, besaß eine gute Gesundheit und war offenbar hochintelligent. Neben ihrer Muttersprache sprach sie fließend Latein, Italienisch und Deutsch, lernte nach ihrer Hochzeit auch noch Französisch. Sie war musikalisch begabt und scheute sich nicht, mit Humanisten wie Erasmus von Rotterdam zu korrespondieren.
Die Ehe mit Philipp galt – ganz im Gegensatz zu den üblichen hochadligen Verbindungen – als Liebesheirat und war es aus Johannas Sicht sicherlich auch. Dafür standen nicht nur die sechs gemeinsamen Kinder, sondern auch die Liebesbezeugungen, mit denen sie ihren Mann ganz gegen das höfische Protokoll überhäufte. Doch die nahmen bald krankhafte Züge an, „denn auf Seiten Philipps verflüchtigte sich die hormonell bedingte Begeisterung schnell“, wie der Historiker Bart Van Loo dessen häufige Seitensprünge erklärt hat.
Johannas Eifersuchtsszenen nahmen immer heftigere Formen an. Ja, sie versuchte, alle potenziellen Rivalinnen aus dem Palast zu entfernen. Bis zum September 1506. Eine schwere Lungenentzündung fesselte Philipp ans Bett. Johanna überschüttete ihn mit Trost und Fürsorge, aber nach neun Tagen starb er, ganze 28 Jahre alt. Doch sie wollte sich von ihrem Mann nicht trennen. Monatelang zog sie mit dem Sarg durch Kastilien, ließ wiederholt den Sarg öffnen, um mit ihm zu sprechen und entzündete ganze Wagenladungen an Kerzen, was zweimal fast zu einer Feuerkatastrophe geführt hätte. Auch am Grab in Granada mochte sie sich nicht von ihm trennen.
In diesem Zustand brachte sie 1507 ihr jüngstes Kind, Katharina, zur Welt. Für sie war es ein letztes Geschenk ihres Mannes. In einem kleinen Zimmer in ihrer Wohnung hielt Johanna sie bei sich, verbot jede Erziehung. Als ihr Sohn Karl, der am Hof seiner Tante Margarete in den Niederlanden aufgewachsen war, sie 1517 in ihrem Witwensitz in Tordesillas besuchte, machte seine kleine Schwester einen verwahrlosten und zurückgebliebenen Eindruck; später rettete er Katharina, indem er sie mit dem König von Portugal verheiratete.
Formal war Johanna da immer noch Königin von Spanien, denn die in den Cortes versammelten Stände hatten ihre Herrschaft bestätigt. Inzwischen aber erreichten ihre Depressionen eine Größenordnung, die als ausreichendes Argument herhalten konnte, sie für „wahnsinnig“ und damit regierungsunfähig zu erklären. Ihr Vater Ferdinand hatte nach dem Tod ihres Mannes die Regentschaft übernommen. Nun war es Karl, der als Erbe von Burgund, Habsburgs und der Wahl zum römisch-deutschen König und Kaiser 1519 zum Herrscher eines Weltreichs aufsteigen sollte, in dem die Sonne nicht unterging.
Ob Johanna wirklich „wahnsinnig“ gewesen ist oder aus politisch-dynastischen Gründen mit entsprechenden Diagnosen von der Macht verdrängt werden sollte, wurde bis heute nicht abschließend geklärt. Man hat ihr Psychosen und Schizophrenie nachgesagt, für kirchliche Kreise soll ihr laxer Umgang mit Glaubensfragen den Irrsinn bestätigt haben. Physisch hat sie sich auf jeden Fall guter Gesundheit erfreut. Erst ein Verbrühungsunfall in ihrem klösterlichen Gefängnis Santa Clara setzte ihrem Leben ein Ende. Sie wurde 75 Jahre alt.
Dieser Artikel wurde erstmals im November 2022 veröffentlicht.