Kaum ein Römer wird sich das Schauspiel entgehen gelassen haben, das sich den Bewohnern der Hauptstadt der Welt am 26. Mai des Jahres 17 n. Chr. bot. „Beutestücke, Gefangene, Abbildungen der Berge, Flüsse und Schlachten wurden vorgeführt. Das Interesse der Zuschauer wurde noch gesteigert durch die stattliche Erscheinung des (Feldherrn) Germanicus und die fünf Kinder, die seinen Wagen zierten“, beschreibt der römische Historiker Tacitus die Szenerie. Dass der Kaiser jedem Bürger außerdem ein Geschenk von 300 Sesterzen zukommen ließ, dürfte die Begeisterung noch einmal gesteigert haben.
Auf diese pompöse Weise zelebrierte Rom seinen Triumph über Germanien oder, wie es konkret hieß, „über die Cherusker, Chatten, Angrivarier und die anderen Völkerschaften bis zur Elbe“. Seit dem Jahr 13 hatte Germanicus das Land östlich des Rheins verwüstet und damit Rache genommen für die vernichtende Niederlage, die der Statthalter Varus vier Jahre zuvor gegen eine Koalition unter Arminius im Teutoburger Wald erlitten hatte. Am 26. Mai des Jahres 17 zog die kaiserliche Propaganda offiziell den Schlussstrich.
Mit dem Triumph konnten seine beiden Hauptakteure, Kaiser Tiberius (42 v. bis 37 n. Chr.) und der Feldherr Germanicus (15 v. bis 19 n. Chr.), endlich die Hypothek tilgen, die ihnen der Kaiser Augustus (63 v. bis 14 n. Chr.) hinterlassen hatte. In seinem Tatenbericht, der im ganzen Imperium bekannt gemacht worden war, hatte der Begründer des römischen Kaisertums sich nämlich gerühmt, Germanien „bis zur Mündung der Elbe befriedet“ zu haben. Doch als Augustus im Jahr 14 n. Chr. starb, waren die Worte aus dem Bericht sehr weit von der Realität entfernt.
Zwar waren acht Legionen samt Hilfstruppen – rund 80.000 Mann, mindestens ein Viertel der römischen Militärmacht – am Rhein zusammengezogen worden, zwar hatte ihr Oberkommandierender Germanicus erste Vorstöße über den Fluss unternommen. Aber das Versprechen der „Befriedung“ einzulösen war als vergifteter Auftrag an die Erben des Augustus gefallen.
Das war zum einen Tiberius. Als erfolgreicher General hatte er sich an zahlreichen Fronten ausgezeichnet, nicht zuletzt in Germanien. Aber seine verschlossene, manchmal auch ruppige Persönlichkeit mag ein Grund dafür gewesen sein, warum er in den dynastischen Plänen des Augustus stets wie eine zweitklassige Figur behandelt wurde. Erst nachdem dem Herrscher seine Enkel und Tiberius’ beliebter Bruder Drusus weggestorben waren, hatte sich Augustus dazu herabgelassen, ihn als Thronfolger aufzubauen. Er hatte Tiberius adoptiert, doch zugleich gezwungen, seinerseits mit Germanicus den Sohn des Drusus zu adoptieren. Tiberius’ eigener Sohn rückte damit in der Erbfolge hinter jenen – mit der Folge, dass er sich als eine Art Platzhalter fühlen musste.
Mit seiner Jugend, seinem einnehmenden Wesen, seinem vom Vater geerbten Charisma wirkte Germanicus dagegen als Heldengestalt, dem eigentlich der Thron gebührte. „Man kann das Verhältnis zwischen beiden mit Prinz William und Prinz Charles vergleichen“, sagt der Bamberger Althistoriker Hartwin Brandt. „Der eine gilt als strahlender Held, der andere als mürrischer Eigenbrötler.“
Dass sich die persönlichen Spannungen leicht zu politischen Krisen ausweiten konnten, zeigte sich umgehend bei Tiberius’ Regierungsantritt. Die Legionen am Rhein wollten Germanicus zum Imperator proklamieren. Dieser widerstand der Versuchung, blieb loyal und beendete die Meuterei mit einer Mischung aus Feingefühl und Härte. Aber der Kaiser musste erkennen, wem im Konfliktfall die Sympathie seiner Legionen galt.
Der Krieg in Germanien sollte die Soldaten ablenken. Wiederholt teilte Germanicus sein Heer und führte es tief nach Germanien hinein. „Alles Volk, das wegen Alters und Geschlechts nicht wehrfähig war, wurde gefangen genommen und erschlagen“, resümiert Tacitus das übliche Vorgehen. Aber die wehrfähige Mannschaft zog sich in „unwegsame Gegenden“ zurück. Dabei entdeckten die Legionen auch das Schlachtfeld, auf dem Varus sein Ende gefunden hatte und wo „die bleichenden Gebeine“ der gefallenen Römer noch immer „zerstreut und in Haufen“ lagen. Sie wurden in Gruben bestattet (von denen man möglicherweise Spuren in Kalkriese nördlich von Osnabrück gefunden hat). Doch diese Vorgehensweise provozierte die Kritik des Tiberius.
Als erfahrener General sorgte er sich um die Moral seiner Truppen. Gründe dafür gab es genug. Denn über alles Blutvergießen wollten sich durchschlagende Erfolge nicht einstellen. Vielmehr mussten Germanicus oder seine Generäle, zumal auf dem Rückzug in Winterquartiere am Rhein, wiederholt schwere Verluste hinnehmen.
Nichtsdestoweniger zeichnete Tiberius seinen Adoptivsohn Ende des Jahres 15 mit einem Triumph für seine Siege aus – ein deutliches Zeichen dafür, das Unternehmen endlich zu einem Abschluss zu bringen. Germanicus dürfte den Wink erkannt haben und intensivierte im Jahr 16 noch einmal seine Vorstöße. Auf dem Gebiet der Cherusker gelangen ihm zwei Siege gegen germanische Koalitionen. Dabei fiel ihm Thusnelda in die Hände, die schwangere Frau des gegnerischen Anführers Arminius. Auch konnten zwei der drei von Varus verlorenen Legionsadler zurückgewonnen werden. „Doch ohne dass es zu einer Entscheidung kam, trennte man sich“, zog Tacitus das ernüchternde Fazit.
Nun war die Geduld des Tiberius am Ende, es ging darum, die Pattsituation gut zu verkaufen. Mit dem Triumphzug, dem Angebot des Konsulats in Rom, vor allem aber der Übertragung eines außerordentlichen Kommandos im Osten konnte er Germanicus die Führung der Rheinarmee entziehen, ohne dass diese und die Öffentlichkeit darin einen politischen Affront sehen konnten.
Germanicus, der zunächst eine weitere Feldzugskampagne für das Jahr 17 gefordert hatte, beugte sich. Seine Legionen folgten ihm, wohl nicht zuletzt wegen der Verluste, die bereits die Größenordnung des Varus erreicht hatten, sondern auch wegen der ernüchternden Erfahrung, dass sich die Chance auf Beute im unwirtlichen Germanien doch einigermaßen in Grenzen hielt.
Die Germanen ihren „inneren Streitereien überlassen“
Das scheint auch Tiberius erkannt haben. Zum einen verwies er in immer drängenderen Briefen auf die schweren Verluste und die damit verbundenen Kosten. Zum anderen dürfte sich aber bei ihm die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass eine rechtsrheinische Provinz Germanien kaum die Summen einbringen würde, die ihre Sicherung verlangte, und dass es daher besser wäre, ihre Bewohner „ihren inneren Streitereien zu überlassen“. Mit anderen Worten: Das Land, das Varus einst in eine Provinz hatte verwandeln sollen, blieb frei.
Die Rivalität zwischen Tiberius und Germanicus war mit dieser Lösung lange noch nicht ausgestanden. Nach seinem offiziellen Sieg über die Germanen galt nun der Adoptivsohn vielen als die Lichtgestalt, die hoffentlich bald den mürrischen alten Kaiser beerben würde. Ganz unempfänglich war der Prinz für solche Reden nicht, könnte es doch eine Grenzüberschreitung erklären, die er während seiner Reise in den Orient beging.
Im Frühjahr 19 wagte er es nämlich, Ägypten zu besuchen, wo man ihm einen rauschenden Empfang bereitete. Nicht nur wurde er als Gott verehrt, was allenfalls dem Kaiser zugestanden hätte, sondern er griff darüber hinaus in die Verwaltung des Nillandes ein, indem er die Getreidespeicher öffnete. Damit aber hatte Germanicus eine Grenze überschritten, die Augustus gesetzt hatte: Jedem Senator war das Betreten Ägyptens ohne kaiserliche Zustimmung verboten. „Mit seinem Handeln beanspruchte Germanicus eigene Spielräume und stellte damit sein Verhältnis zu Tiberius infrage“, erläutert der Historiker Brandt.
Was nun folgte, lässt sich aus den Quellen nicht abschließend klären. Germanicus schlug sein Hauptquartier in Syrien auf, wo ein gewisser Gnaeus Calpurnius Piso die Statthalterschaft ausübte. Als Oberkommandierender der römischen Orientarmee bekleidete dieser damit den wichtigsten Posten im Osten des Imperiums, sah sich aber nun von Germanicus als „Helfer“ ins politische Abseits gedrängt.
Aber Piso wollte nicht klein beigeben. Er ging daran, Erlasse des Germanicus für ungültig zu erklären und sogar dessen Klienten zu verfolgen, wie der Historiker Sueton schreibt. Das kann nur mit Rückendeckung des Tiberius erfolgt sein. Doch was zunächst als Kontrollmaßnahme gedacht war, nahm im Oktober 19 eine dramatische Wendung. Germanicus starb in Antiochia im Alter von 33 Jahren. Man sprach von Mord, für den Piso – und damit mittelbar Tiberius – verantwortlich gemacht wurde.
Piso entzog sich dem Prozess durch Selbstmord
In Rom kam es daraufhin zu Demonstrationen, Denkmäler wurden Germanicus geweiht, die Beisetzung des Leichnams im Grabmal des Augustus geriet zu einer öffentlichen Misstrauensbekundung gegen Tiberius. Der suchte sein Heil in einem Schauprozess gegen Piso, in dem der Senat sogar Einsicht in die kaiserliche Korrespondenz erhielt. Dem zu erwartenden Schuldspruch entzog sich Piso durch Selbstmord, während Tiberius vom Senat als fürsorglicher Herrscher rehabilitiert wurde.
So weit die offizielle Version. In den Berichten von Tacitus oder Sueton wird die Entfremdung deutlich, die den Kaiser fortan von seinen senatorischen Standesgenossen trennte.
Dieser Artikel wurde erstmals im Mai 2022 publiziert.