Das Telegramm hatte es nicht an Deutlichkeit fehlen lassen: „Seine Majestät befehlen, dass sie sich vor Abreise melden ... Frack mitbringen“, hatte der Generaldirektor der Königlichen Museen Berlin seinem neuen Mitarbeiter am 10. Dezember 1898 gedrahtet. Das Gespräch mit Wilhelm II. verlief jedoch so harmonisch, dass der Kaiser dem Unternehmen 20.000 Mark aus „Allerhöchstem Dispositionsfonds“ gewährte. Vier Monate später, am 26. März 1899, begann Robert Koldewey (1855–1925) mit der Ausgrabung von Babylon.
Eigentlich war Koldewey Architekt, doch hatte sich der Sohn eines Zollbeamten im Studium in Berlin, Wien und München auch mit Archäologie und Bauforschung beschäftigt, sodass er in den 1880er-Jahren an mehreren Kampagnen in Griechenland, Kleinasien und Italien teilnehmen konnte. Da ihn sein Brotberuf als Lehrer an der Baugewerbeschule in Görlitz nicht ausfüllte, unternahm er 1897/98 eine Reise durch Mesopotamien, um lohnende Ausgrabungsstätten zu sondieren. Denn Archäologie war längst kein Thema mehr für spleenige und vermögende Einzelkämpfer, sondern eine Konkurrenzveranstaltung, in der die Großmächte ihr wissenschaftliches Standing demonstrieren konnten.
Ein farbiger Glasurziegel aus Babylon gab den Ausschlag. Die soeben gegründete Deutsche-Orientgesellschaft und der Kaiser übernahmen die Finanzierung, die Staatlichen Museen die wissenschaftliche Leitung, und Koldewey wurde zum Chef der größten Ausgrabung ihrer Zeit. Bis zu 250 einheimische Arbeiter mussten mehr als 20 Meter hohen Schutt bewegen, bevor die Reste der antiken Metropole ans Licht kamen, auf einem Gelände von rund 1000 Hektar. Bis heute sind weite Teile der Stadt nicht ausgegraben.
Obwohl es laut Instruktion „der Zweck der Expedition“ sein sollte, „neben wissenschaftlicher Ausbeute für die Assyriologie und Kunstgeschichte Sculpturen und andere Altertümer für die Königlichen Museen in Berlin zu gewinnen“, beschränkte sich Koldewey nicht auf die Schatzsuche, sondern setzte ein Forschungsprojekt in Gang, das für die Archäologie Vorderasiens beispielhaft werden sollte. Es gelang ihm, „zum ersten Mal die historische Bedeutung der Schichtung in mesopotamischen Hügeln zu erhellen“, lobte der Brite Seton Lloyd, selbst ein gestandener Ausgräber.
Doch auch die Funde konnten sich sehen lassen. 1900 legte Koldewey die berühmte Prozessionsstraße und das Ischtar-Tor frei. Es folgte das Fundament eines monumentalen Gebäudes mit 91,55 Meter Seitenlänge: des Tempels des Stadtgottes Marduk, des legendären Turms der Sprachverwirrung des Alten Testaments. Hinzu kamen weitere Tempel, Paläste, Stadtviertel sowie zahlreiche Keilschrifttafeln.
Damit konnte Koldewey auch den Aufstieg Babylons im 2. Jahrtausend v. Chr. nachzeichnen. Denn erst da wurde die Stadt zur Metropole und zum „Sitz des ewigen Königtums“ in Mesopotamien.
Am Ende waren es rund 500 Kisten, die nach der Fundteilung nach Berlin kamen und unter anderem die Rekonstruktion der Prozessionsstraße im Pergamon-Museum ermöglichten. Bis kurz vor der Eroberung Bagdads durch britische Truppen 1917 setzte Koldewey seine Grabung fort. Doch zur Publikation der gigantischen Materialfülle kam er nicht mehr. Gezeichnet von den Strapazen seiner Grabung starb er 1925 in Berlin.
Dieser Artikel ist erstmals im März 2021 veröffentlicht.