Auch Träume haben eine soziale Komponente. Das zumindest behauptete der bekannte Wahrsager Artemidoros von Daldis. Wenn etwa eine Frau aus der Unterschicht des Römischen Reiches träumte, sie werde einen Adler zur Welt bringen, werde sich das in einer Karriere als Legionär niederschlagen. Dem Sohn der Aristokratin winkten höchste Ämter, während in der Mittelschicht „der Sohn Athlet werden und auf diese Weise zu Berühmtheit gelangen“ sollte.
So zumindest beschreibt Artemidor in seinem berühmten „Traumbuch“ idealtypische Karrieremuster im 2. Jahrhundert n. Chr. Sportler wurden also mit einem deutlich höheren Sozialprestige bedacht als etwa die Legionäre, denen immerhin regelmäßige Soldzahlungen, umfassende Gesundheitsfürsorge und sichere Altersversorgung winkten. Denn auch Athleten eröffneten sich lukrative Erwerbsquellen. Vor allem aber bot sich ihnen die Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg.
Am Beispiel eines gewissen Athenodoros spielt dies der Mannheimer Althistoriker Christian Mann in der Zeitschrift „Antike Welt“ durch. Danach hatte Athenodoros bereits mit mehreren Siegen bewiesen, dass er das Zeug zum Champion hatte. Weil die Kassen der Stadt Ephesos aber leer waren, verfielen die Behörden auf einen Trick. Sie verkauften das Bürgerrecht an zwei solvente Interessenten. Mit dem Geld finanzierten sie das Training und die Reisen zu den Wettkämpfen. Am Ende erhielt auch der Sportler das Bürgerrecht von Ephesos, hatten seine Siege doch den Ruhm der Stadt gemehrt.
„In antiken Texten ist nie von Arbeit, Lohn und Gehalt die Rede, wenn es um Athleten geht, sondern von Wettkampf, Ruhm und Ehrenpreisen“, schreibt Mann. Aber dazwischen klafften gewaltige Grauzonen. Denn das Idealbild, das vor allem durch Beschreibungen der Olympischen Spiele auf uns gekommen ist, hatte wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Vielmehr zeugt die Vision, in den Wettkämpfen hätten sich nur ehrbare Amateure beteiligt, vor allem von dem Klischee der Gentlemen-Sportler, die die wiederbelebten Spiele der Neuzeit im Sinne eines Friedensprojekts bevölkern sollten.
Denn der Weg zum Ruhm kostete Geld. Aber da ein Sieg auch auf Förderer zurückstrahlte, fanden sich Leute wie der wohlhabende Geschäftsmann Zenon, der im Ägypten des 3. Jahrhunderts v. Chr. einen talentierten Jungen namens Pyrrhos finanzierte. Das Training übernahm Hierokles, Leiter eines Gymnasiums in Alexandreia, der Zenon in einem Brief versicherte, sein Schützling werde die „anderen jungen Athleten ... bald überflügeln“. Dann, so Hierokles weiter, „wirst Du (Zenon) bekränzt werden!“
Pyrrhos, folgert Mann, entstammte also keiner wohlhabenden Familie, sondern war auf einen Gönner angewiesen. Für den jungen Mann wurde der Sport zu einem Katalysator für den sozialen Aufstieg. Das war über die sogenannten gymnischen Wettbewerbe möglich, die wie Lauf-, Sprung- oder Kampfsportdisziplinen nackt absolviert wurden. In den hippischen Disziplinen (mit Pferden) standen dagegen von vornherein die Besitzer der teuren Rennställe im Rampenlicht – was im Übrigen zu dem Kuriosum führte, dass Frauen, obwohl in Olympia nicht zugelassen, als wohlhabende Eigentümerinnen von Pferden sich sehr wohl in die Siegerlisten eintragen konnten. Im römischen Circus dagegen stiegen die Fahrer – den Gladiatoren ähnlich – zu populären Stars auf.
Anders als in den Amphitheatern Roms mit ihren höchst blutigen Kämpfen traten in den griechischen Stadien freie Männer gegeneinander an. Bis in die Spätantike waren auch zahlreiche Angehörige privilegierter Schichten darunter. Das befreite sie jedoch nicht von hartem, täglichem Training. Das spiegelte sich in dem hämischen, von dem Tragiker Euripides überlieferten Topos, Athleten seien „das schlimmste aller ��bel“. Sie seien Sklaven ihrer Mägen und glänzten wie Schmuckstücke, taugten aber nicht für den Krieg.
Die Sportbranche boomte, weil nicht nur Olympia und die drei anderen „Grand-Slam“-Turniere der Antike in Delphi, Korinth und Nemea lockten, sondern Feste in zahlreichen Orten der griechischen Welt. Bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. zählt Mann mehr als 100 Agone (Wettkämpfe), im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. sind mehr als 500 nachgewiesen. Das erklärt, warum sich ein Profi wie Theogenes von Thasos bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. rühmen konnte, als Boxer und Ringer in 22 Jahren 1300 Kämpfe gewonnen zu haben.
Solche Karrieren zahlten sich auch finanziell aus. Denn der Olivenzweig, den es in Olympia für den Sieger (und nur für ihn) zu gewinnen gab, wurde von dankbaren Heimatstädten oft mit Prämien unterfüttert. Andere Agone lobten Preise aus, die auch materiell etwas darstellten.
Das mag erklären, warum Athleten bereit waren, hohe Risiken einzugehen. Mann verweist auf zahlreiche Fälle von Sportlern, die sich Geld für Unterhalt und Training liehen, das sie nach einem Sieg zurückzuzahlen hatten, mit entsprechenden Zinsen, versteht sich. Dagegen verwahrte sich der Kaiser Severus Alexander (reg. 222–235). Offenbar, so Mann, wollte man die Athleten vor der Ausbeutung durch geschäftstüchtige Darlehensgeber schützen.
Dieser Artikel wurde ursprünglich im Juli 2021 veröffentlicht.